Weisheit ist die vierte der zehn Vollkommenheiten im Buddhismus. Warum ist die Weisheit die vierte Vollkommenheit? Manche Lehrer sind der Ansicht, das Parami der Weisheit müsste am Ende der Vollkommenheiten stehen. Der Grund ist, dass ohne Weisheit nicht viel funktioniert. Nur durch Wissen ist es überhaupt möglich den Edlen Pfad zu entwickeln.
Dana, Sila und Nekkhama
Die zehn Parami beginnen mit Großzügigkeit (dana), weil Großzügigkeit das Herz öffnet. Man öffnet sich dabei nicht nur der Hilfsbedürftigkeit von anderen, sondern auch der buddhistischen Lehre. Durch diese Offenheit entsteht die Tendenz zu einem ethischen Lebensstil (sila), wo versucht wird, heilsame Dinge zu tun, die zu heilsamen Resultaten führen. Man tendiert mehr und mehr dazu, Dinge zu vermeiden, die zu Leiden führen. Daher ist die Ethik das zweite Parami.
Nekkahma, das dritte Parami, ist der Verzicht. Wenn man erkennt, dass bestimmte Dinge dazu führen, dass Leiden für einen selbst und für andere entsteht, dann übt man automatisch Verzicht, das Loslassen von unheilsamen Geisteszuständen. Deshalb ist das Loslassen das Dritte der Parami. Durch diesen Prozess entsteht Weisheit.
Weisheit kann erreicht werden, indem man drei Dinge praktiziert. Zuerst durch das Studium. Indem man Bücher liest oder einem Lehrer zuhört, erreicht man ein größeres Verständnis. Dazu kommt die Meditation und anschließend die Realisation, das Entstehen von Weisheit durch Verstehen.
Das nächste Parami wäre Energie. Dieses Parami beinhaltet die Anstrengung, in eine bestimmte Richtung zu praktizieren. Wenn dabei Weisheit oder Verständnis nicht vorhanden ist, können diese Anstrengungen in die falsche Richtung gehen. Dann praktiziert man voller Anstrengung unheilsame Dinge. Daher ist es so wichtig das Weisheit oder zumindest Wissen vorhanden ist.
Das Schwert der Weisheit
Es ist also wichtig, dass Weisheit zu den ersten Parami zählt. Das Haupt-Parami des historischen Buddha war Weisheit. Jeder Buddha hat unterschiedliche Vollkommenheiten. Alle Buddha haben die zehn Vollkommenheiten verwirklicht, doch jedem ist individuell ein Haupt-Parami zugeordnet.
Weisheit wird immer verglichen mit einem Schwert mit sehr scharfer Schneide. Wie ein Messer, das durch weiche Butter schneidet, so ist das scharfe Schwert der Weisheit. Schnell schneidet es alle Unwissenheit ab. Deshalb wurde Gotama Buddha sehr schnell erleuchtet. Er benötigte „nur“ vier kalpas und einhunderttausend Äonen, um die Buddhaschaft zu erreichen.
Der nächste Buddha wird Maitreya Buddha sein. Ihm wird das Haupt-Parami Anstrengung (viriya) zugeordnet. Maitreya benötigt 16 kalpas für das Erreichen der Buddhaschaft.
Die Täuschung von Vergänglichkeit, Glück und Substanz
Normalerweise sehen wir die Dinge immer etwas verdreht und nicht ganz klar. Das wird in Pali vipallasa genannt, die Dinge nicht so sehen, wie sie wirklich sind.
Zum Beispiel die Vergänglichkeit. Wir wissen zwar, dass alles vergänglich ist und wir eines Tages sterben müssen, doch wir betrachten dies wie etwas, was noch in weiter Ferne liegt. Dabei passiert Vergänglichkeit jeden Moment. Dieses Bewusstsein fehlt den meisten von uns. Wir denken, die Dinge sind stabil. Sie werden sich irgendwann verändern, aber nicht jetzt. Das ist falsche Ansicht, da ist nicht weise.
Wir denken, die Dinge sind glücksbringend und das wir glücklich sein werden, wenn wir diese Dinge haben. Dabei verändern sich die Dinge dauernd. Kaum haben wir etwas Gewünschtes bekommen, sind wir schon wieder unzufrieden und wollen mehr davon oder etwas anderes, dass dann vielleicht zum wirklichen Glück verhilft. Wir sehen das Leiden (dukkha), das in den Dingen und in Erfahrungen steckt, nicht.
Die dritte verdrehte Ansicht ist, dass wie glauben, Dinge haben eine Substanz. Wenn man sich etwa den Körper ansieht. Der ist nicht substanziell, er verändert sich andauernd. Auch gibt es keine tiefere Substanz, wie etwa eine Seele. Denn wenn man mit Weisheit darüber reflektiert, wird man nichts erkennen, was Substanz hat. Auch der Geist verändert sich ständig. Auch wenn wir gute Menschen sind und gute Dinge tun, unterliegen wir dennoch der ständigen Veränderung. Nirgends ist eine Substanz, die dauerhaft ist. Das sind nur Täuschungen. Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind. Und daran können wir erkennen, dass Weisheit fehlt.
Klarheit durch Weisheit
Weisheit bedeutet also, diese drei Daseinsmerkmale, die immer präsent sind, zu erkennen: Vergänglichkeit, die unbefriedigende und die unkontrollierbare Natur von Körper und Geist. Man sollte sich dies immer wieder in Erinnerung rufen. Manchmal hat man vielleicht eine kurze Einsicht in die wahre Natur, aber auch die ist vergänglich. Darum sollte man sich die drei Daseinsmerkmale immer wieder zu sich holen und darüber reflektieren, bis sie zu einem Teil unseres Selbst werden. Es ist wie ein Puzzel. Je mehr Puzzelteile man zusammenfügt, umso klarer wird das Bild.
Weisheit beinhaltet zudem die Befreiung von allen Geistesunreinheiten wie Hass, Gier und Verblendung. Das Loslassen dieser Geisteszustände passiert durch das Erkennen der wahren Natur der Dinge.
Weisheit hat den Überblick. Sie sieht die Dinge im Ganzen. Wenn wir Achtsamkeit praktizieren, sehen wir nur ein Ausschnitt, den gegenwärtigen Moment. Weisheit hingegen hat die Weite des vollkommenen Verstehens des Zusammenhangs aller Dinge.
Die drei Arten der Weisheit
Die erste Stufe ist suta-maya-pañña, das durch Lesen oder Hören übernommene Wissen. Dann kommt cinta-maya-pañña, die durch eigene Reflektion erworbene Weisheit. Man hört oder liest etwas und dann reflektiert man darüber, was das für einen selbst bedeutet und wie man das Gehörte oder Gelesene im eigenen Alltag anwenden kann. Die dritte Stufe ist bhavana-maya-pañña, die auf Geistesläuterung beruhende Weisheit. Bhanava-maya-pañña ist die Einsicht, die man durch Wissen, Reflexion und Meditation erlangt. Sie ist die wahre und absolute Weisheit.
Weisheit im Edlen Achtfachen Pfad
Der historische Buddha hat in der Nacht seiner Erleuchtung verstanden, dass alle Dinge vergänglich, leidhaft und substanzlos sind. Im ersten Teil dieser Nacht sah der Buddha alle seine bisherigen Existenzen und deren Ursachen und erkannte dabei die Bedingtheit der Existenz. Dann erkannte er auch die Ursachen aller existierenden Wesen.
Daraufhin lehrte er den Edlen Achtfachen Pfad, in dem Weisheit einen wichtigen Teil einnimmt. So sind die ersten beiden Teile des Edlen Achtfachen Pfades der Weisheit gewidmet. Zuerst rechte Ansicht und rechtes Denken, denn das ist es, was das Rad der Lehre zum Drehen bringt. Alle acht Speichen müssen vorhanden sein, doch Weisheit ist ausschlaggebend, weil es sonst nicht in die richtige Richtung geht.
Im Samyutta Nikkaya heißt es: „Echtes Wissen, ihr Bhikkhus, geht dem Auftreten heilsamer Dinge voran, gefolgt von Schamempfinden (hiri) und der Scheu falsch zu handeln (ottappa). Dem Weisen, der zu echtem Wissen gelangt ist, entsteht rechte Ansicht. Wer rechte Ansicht hat, dem entsteht rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebensunterhalt, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung’.“
Die fünf heilsamen Kräfte
Weisheit ist ein Teil der fünf heilsamen Kräfte, die wie entwickeln sollen. Die anderen sind Energie, Konzentration, Vertrauen und Achtsamkeit.
Weisheit sollte dabei in Balance mit Vertrauen sein. In der Praxis wird es oft zu einem Problem, wenn diese zwei Kräfte nicht ausgeglichen sind. Wenn das Vertrauen zu stark und die Weisheit zu schwach entwickelt ist, kann das zu blindem Glauben führen. Wenn auf der anderen Seite Wissen zu stark entwickelt ist und Vertrauen fehlt, führt das dazu, dass man alles hinterfragen will und der Geist dadurch nicht zur Ruhe kommt. Da ist der Mittelweg wichtig.
Was fördert Weisheit?
Dazu sagte Buddha: „Vier Dinge, ihr Mönche, führen zum Wachstum der Weisheit. Welche vier? Der Umgang mit guten Menschen, das Hören der Guten Lehre, weises Erwägen und lehrgemäßes Leben. Diese vier Dinge, ihr Mönche, führen zum Wachstum der Weisheit. Diese vier Eigenschaften, ihr Mönche, entfaltet und ausgebildet, führen dazu. Das wichtigste aber ist der Umgang mit guten, edlen Freunden.“