Fragen von Teilnehmern an MC Brigitte während des Retreats vom 01. bis 07. November 2022 im Sorn Thawee Meditationszentrum, Thailand. Teil 2
Was bedeutet es, sich mit etwas zu identifizieren?
MC Brigitte: Buddha sagte, es ist nicht die Situation, die wir erfahren, sondern das Anhaften, das Identifizieren, das Leiden schafft. Zum Beispiel sagt jemand zu dir: „Du bist ein Idiot“. Du kannst an diesen Worten festhalten und dich damit identifizieren, indem du etwa denkst: „Wie kann man MICH derart beleidigen“. In diesem Augenblick entstehen Emotionen wie Verletzung, Traurigkeit, Ärger und Zorn. Das bedeutet, wir leiden unter diesen Worten. Wir fühlen uns angegriffen. Doch was passiert wirklich? In Realität passiert nur Hören. Wir haben Ohren, die funktionieren und sie kommen in Kontakt mit Geräuschen, die laut genug sind, um sie wahrzunehmen. Aber wir identifizieren uns und nehmen es somit persönlich. Jemand anderes hört dieselben Worte vielleicht auch, doch lässt sich davon nicht berühren.
Es ist die gleiche Situation, doch wer wird besser damit zurechtkommen? Die Person, die sich beleidigt und gekränkt fühlt oder jene Person, die die Situation wahrnimmt, wie sie wirklich ist? Nämlich nur Kontakt zwischen Ohr und Geräusch – Hörbewusstsein entsteht. Ganz neutral. Alles was über das Hören hinausgeht, ist ein Einteilen des Geistes. Man wertet und gibt dem Gehörten Bedeutung und dann leidet man. Man könnte idealerweise aber auch erkennen, dass dies nur hören ist, keine spezielle Bedeutung hat und wenn ich zugreife, leide ich. Also lasse ich los. Es ist ein einfaches Beispiel, doch es zeigt die Wahl, die wir zu jeder Zeit haben.
Wir haben immer die Wahl, uns mit z. B. Gehörtem zu identifizieren und darunter zu leiden, oder aber das Gehörte als hören wahrzunehmen und loszulassen. Willst du Leiden, dann greife zu identifiziere dich. Leiden bringt aber keine Veränderung. Die wahre Natur der Situation zu erkennen, durch das Anwenden von Weisheit, führt zum Loslassen und damit zum Verlöschen des Leidens. Die Wahl ist immer unsere: Anhaften und als Resultat zu leiden oder loszulassen und das Leiden damit zum Verlöschen zu bringen.
Leiden ist überall
Buddha sagt, Leiden ist überall. Wir können das Leiden des Körpers nicht verhindern. Unser Körper altert, erkrankt und stirbt irgendwann. Das gilt für jeden von uns, ohne Ausnahme. Wir können den Körper unterstützen, damit er länger gesund bleibt, doch früher oder später wird er sterben. Da haben wir keine Wahl.
Doch wir können wählen, ob wir geistiges Leid erlauben. Der Geist muss nicht leiden. Der Geist kann frei sein. Das können wir üben, indem wir loslassen. Anfangs ist es einfacher kleinere Dinge loszulassen, aber je öfter man das Loslassen übt, umso stärker wird die innere Fähigkeit auch jenes Loszulassen, was uns tiefer berührt.
Wie verhalte ich mich, wenn ich plötzlich bunte Lichter während der Meditation sehe?
MC Brigitte: Verzückung (piti ist das Pali Wort) entsteht, wenn die Konzentration besser wird. Piti ist ein Erleuchtungsglied. Es entsteht, wenn wir am Weg der Geistesentwicklung sind. Es muss also entstehen. Piti zeigt sich unter anderem darin, dass wir Farben und Licht sehen. Der Körper kann sich zudem leichter anfühlen. Manchmal kann sich Verzückung auch in unangenehmen Gefühlen äußern, z.B. dass wir den Eindruck haben, Ameisen laufen über unsere Haut. Solche Eindrücke sollen uns zeigen, dass die Dinge nicht unbedingt so sind, wie wir denken, dass sie sind. Die Konzepte, die wir vom Leben und den Erfahrungen haben, werden sich verändern, wenn Piti entsteht.
Die Gefahr dabei ist, dass wir leicht an Verzückung anhaften, speziell, wenn es sich angenehm anfühlt und auch interessant erscheint. Wir erleben Dinge, welche wir nie zuvor erlebt haben. Für unseren Geist ist das sehr interessant. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Geist jeden Trick anwendet, um sich aus dem „Achtsam bleiben“ zu stehlen. Das gilt auch für das Schreiben von Tagebüchern oder das Lesen von Büchern während eines Retreats. Der Geist versucht durch jedes mögliche Schlupfloch zu entkommen.
In Thailand ist das Erreichen von diesen Verzückungszuständen sehr beliebt. Die Menschen meditieren, um Lichter, Engel oder Geister zu sehen. Sie wollen spezielle Dinge erfahren. Erst dann ist es für sie eine gute Meditation.
Äußeres und inneres Sehen
Es ist wahr, dass Lichter und andere Phänomene als Teil des Weges zur Erleuchtung auftauchen, aber es ist wie mit allen anderen Phänomenen auch, die wir während der Meditation erfahren: Sie sind es nicht wert, daran anzuhaften. Selbst wenn du den Buddha mit deinem inneren Auge siehst, sei dir bewusst, dass dies nur Sehen ist. Wir können mit unseren äußeren Augen oder mit unserem inneren Auge sehen, doch beides ist nur Sehen.
Es gibt sieben Erleuchtungsglieder (sambojjhangas) Verzückung (piti-sambojjhanga) ist ein Faktor und erzeugt Freude. Diese gibt uns die Motivation, weiter zu praktizieren, denn wir bemerken, es tut sich etwas, während der Meditation.
Die anderen Erleuchtungsglieder sind: Achtsamkeit (sati-sambojjhanga), Wahrheitsergründung (dhammaviaya-sambojjhanga), Willenskraft (viriya-sambojjhanga), Gestilltheit (passaddhi-sambojjhanga), Sammlung (samadhi-sambojjhanga) und Gleichmut (upekkha-sambojjhanga).
Wie kann ich verhindern, dass ich während der Liegemeditation einschlafe?
MC Brigitte: Du kannst das Einschlafen zum Beispiel durch die Veränderung der Position vermeiden, indem du zur Sitz- oder Gehmeditation wechselst. Buddha gab dazu eine gute Unterweisung für seinen Schüler Moggallana: „Wenn du dich schläfrig fühlst, ist das erste, was du tun kannst, dies zu Wissen. Wisse, dass du müde bist. Versuche die Schläfrigkeit zu überkommen, indem du sie dir bewusst machst. Hilft das nicht, verändere die Position, falls du liegst, setze dich auf. Falls du sitzt, stelle dich hin oder gehe, um mehr Energie zu bekommen. Hilft dies nicht, wasche dein Gesicht mit kaltem Wasser. Hilft dies auch nicht, dusche kalt. Hilft das nicht, nimm eine Hühnerfeder und kitzle damit die Innenseite deiner Ohren (man kann heutzutage auch Wattestäbchen verwenden). Und wenn das immer noch nicht hilft, dann leg dich hin. Schlafe aber nur so lange, bis du zum ersten Mal aufwachst. Erwachst du, stehe sofort auf und drehe dich nicht zur Seite, um wieder einzuschlafen.“
Müdigkeit kann viele Gründe haben, körperliche oder geistige. Es kann sein, dass wir zu viel gegessen haben, uns etwas unwohl fühlen oder wir haben ein Verdauungsproblem. Auch das Wetter kann eine Rolle spielen, wenn es ungewöhnlich heiß oder kalt ist. Zudem ist unser Geist so daran gewöhnt, von einem Gedanken zum nächsten zu springen, dass die Fokussierung auf ein Objekt ebenfalls ermüdend wirken kann. Der Geist wandert, du bringst ihn zurück, er wandert wieder, du bringst ihn zurück. Diese geistige Aktion benötigt Energie und kann daher zu Müdigkeit oder auch zu einer Art Benommenheit führen. Meditation ist keine passive Aufgabe. Es ist mehr, als nur sitzen. Meditation ist eine aktive Handlung, die Ausdauer und Energie benötigt, um den Geist immer wieder zum Meditationsobjekt zurückzubringen.
Schläfrigkeit oder Benommenheit kann auch daherkommen, dass wir Dinge tief in unserem Inneren verborgen haben, die wir uns nicht anschauen wollen. Manchmal sind wir uns dessen gar nicht bewusst, dennoch können diese unverarbeiteten Ereignisse zu Müdigkeit während der Meditation führen.
Die fünf Hindernisse
Es gibt fünf Hindernisse, die während der Meditation auftauchen können und es meist auch tun. Besonders dann, wenn unsere Konzentration sich verbessert. Ein Hindernis ist Müdigkeit. Die anderen vier sind Ruhelosigkeit, Zweifel, Verlangen und Abneigung. Diese Hindernisse kommen auf, wir können sie nicht verhindern. Können wir über diese Hindernisse hinausgehen dann entstehen fünf Kräfte im Geist. Energie, Konzentration, Weisheit, Vertrauen und Achtsamkeit.
Für diese fünf positiven Kräfte, gibt es ein sehr schönes Bild von meinem ersten Lehrer Acharn Thawee. Er verglich sie mit einer Kutsche, die von vier Pferden gezogen wird. Auf einer Seite sind die Pferde Energie und Konzentration, auf der anderen Seite sind es Vertrauen und Weisheit. Beide Pferdegruppen müssen in Balance sein, damit die Kutsche geradeaus fährt. Energie und Konzentration sollen im gleichen Tempo laufen. Vertrauen und Weisheit auch. Hindernisse kommen immer dann auf, wenn die vier Pferde nicht ausbalanciert sind. Laufen die Pferde im Gleichschritt, können wir unser Ziel sehr schnell erreichen. Die Kraft, die Energie, Konzentration, Vertrauen und Weisheit und damit unseren Geist ins Gleichgewicht bringt, ist die Achtsamkeit. Die Achtsamkeit sitzt auf dem Kutschbock und navigiert die Pferde. Sie hält die Zügel und die Peitsche. Achtsamkeit ist die wichtigste Kraft, denn davon können wie nie zu viel haben.
Sieht die Achtsamkeit, dass zu wenig Energie vorhanden ist, man müde wird, so gibts sie dem Pferd Energie die Peitsche, man sollte in dem Fall aktiver meditieren und z. B. mit Gehmeditation weitermachen, und sati zügelt die Konzentration z.B. indem man weniger sitzt, weil das zu mehr Ruhe führt. Ist der Geist zu unruhig, zügelt die Achtsamkeit die Energie und gibt der Konzentration die Peitsche, in dem Fall wäre mehr Sitzmeditation angesagt.