SELBER KLARBLICK ÜBEN
Ein Leitfaden für Achtsamkeit
von Phra Acharn Thawie Baladhammo
(übersetzt von Christoph Bank)
Inhalt
VORWORT
EINFÜHRUNG
TEIL I
DIE ÜBUNG
Die vier Grundlagen der Achtsamkeit
Die fünf Anhäufungen
Sitzmeditation
Gehen und Stehen
Die weiteren Schritte
MEDITATIVE PHÄNOMENE (SABHAVA)
HINDERNISSE IN DER KLARBLICKÜBUNG
Hindernisse der Ungeübten
Die fünf geistigen Hindernisse
Hindernisse der mittleren Stufe
Hindernisse der entwickelten Stufe
AUSGLEICH DER FÄHIGKEITEN
Die fünf geistigen Fähigkeiten
JENSEITS VON EINTRÜBUNG UND HANDELN
Eintrübung, Handeln und Ergebnis
Der Achtfache Pfad im Klarblick
Für das Verlöschen des Verlangens üben
TEIL II
DIE ERGEBNISSE DER ÜBUNG
Die Reinheitsstufen und Klarblickschritte
DER VOBEREITENDE PFAD
Wissen von Geist und Körper
Wissen der Bedingtheit
Wissen des Begreifens
Wissen vom Entstehen und Vergehen
Verzerrungen des Klarblicks
Vier Arten der Selbstvergessenheit
DER KLARBLICKPFAD
Wissen der Auflösung
Wissen der Furcht
Wissen des Elends
Wissen des Überdrusses
Wissen des Verlangens nach Befreiung
Wissen der Großen Bemühung
Wissen des Gleichmuts vor Gebilden
Sechs Eigenschaften des Gleichmuts
DER ÜBERWELTLICHE PFAD
Klarblick, der zum Entrinnen führt
Wissen der Anpassung
Wechsel der Zugehörigkeit
Pfad, Frucht und Rückblick
Wiederkehr des Fruchtbewußtseins
Die Vorzüge des Klarblicks
Über den Autor
Durchschaue Dich Selbst
VORWORT
Die Gesellschaft ist heute ganz materialistisch geworden. Das Bedürfnis nach
materiellen Gütern wächst und wächst. Und nie hört man das Wort “Genug!”
Mächtige Begierden zwingen die Menschen, unablässig für die Befriedigung
ihrer Wünsche zu arbeiten. So steht es in der heutigen Zeit um die
Gesellschaft und den Einzelnen. Aufgrund dieser Entwicklung interessieren
sich die Leute nicht mehr für ihr eigenes geistiges Wohl. Sie halten sich fern
von den Lehren, die sie aus ihrer Hetze herausführen könnten.
Die Menschen sind heutzutage wie Vögel. Morgens verlassen sie ihr Nest,
um Futter für den Tag zu suchen. Wenn der Abend naht, kehren sie müde
und erschöpft nach Hause zurück. Morgens raus, abends zurück, so ist das
Leben im Alltag – besonders für Leute, die in Hochhäusern ihr Nest haben,
da liegt der Vergleich auf der Hand.
Aus solchen Gründen sind die Menschen geistig starr und angespannt. Das
macht sie egoistisch und ihre Handlungen chaotisch. Sie geben jeder Laune
nach, und es fehlt ihnen die Achtsamkeit, die sie davor bewahren würde, sich
in Situationen zu bringen, die ansonsten unmöglich wären. Und es sieht nicht
nach einer Besserung der Lage aus.
Gegenwärtig leiden immer mehr Menschen unter geistigen Störungen und
Neurosen. Ob sie nun Akademiker oder Industrielle sind, Banker,
Geschäftsleute, oder Politiker – egal welchen Beruf sie ausüben, alle sind
mehr oder weniger nervenkrank. Man muß kein Neurologe sein, um zu
ergründen, woran es liegt, daß mehr und mehr Menschen nervenkrank
werden. Vor allem in den Großstädten ist es offenbar: Man ist kaum
aufgewacht, da geht es schon los mit Anspannung und Hetze. Kinder wie
Erwachsene, alle müssen loshetzen, um noch den Bus zu kriegen: Zur
Schule, zur Arbeit, ins Geschäft, Frühstück kaufen, und was es sonst noch
gibt. Wenn man dann unter Druck gerät, fehlt einem die Toleranz und man
regt sich leicht auf. Kommt man schließlich an den Arbeitsplatz, muß man
sich mit unfreundlichen Kollegen oder verheerenden Arbeitsbedingungen
herumärgern. Davon wird man auch nicht ruhiger.
Wenn man dann abends nach Hause kommt, und da erwarten einen nur
Familienprobleme, dann ist die neurotische Spannung schon bedenklich. Wie
soll man in diesem Zustand schlafen? Man liegt wach und wälzt Probleme:
Arbeit, Geld und all die tausend Dinge, die einem auf dem Herzen liegen.
Geist, Nerven und Gehirn wollen sich auf natürliche Weise regenerieren,
müssen aber weiter arbeiten. Genau das sind doch die Probleme, die uns
tagaus, tagein nur neurotischer machen.
Da dürfte ein Handbuch für Vipassana von Nutzen sein für diejenigen, die
keine Gelegenheit haben, in ein Meditationszentrum zu gehen, wo sie bei
einem Lehrer üben könnten. Oder auch für diejenigen, die zu viele
Verpflichtungen haben und nicht von zu Hause weg können.
Sie können dieses Buch als Handbuch für die Übung benutzen, indem Sie mit
zehn, zwanzig oder dreißig Minuten als Übungszeit beginnen. Üben Sie
abwechselnd im Sitzen und im Gehen, und setzen Sie die Übung fort,
solange Sie sich dafür aussehen.
Zwingen Sie sich nicht zu sehr. Tun Sie es vertrauensvoll, mit freudigem
Geist. Entspannen Sie sich, sodaß die geistige Starre und Verkrampfung von
Ihnen abfällt und der Geist friedlich und ruhig wird.
Aus dieser Ruhe entsteht inneres Glück. Dann werden Sie selber verstehen,
wie man die vielfältigen Alltagsprobleme ablegen kann. Sie werden gesund
werden an Leib und Seele und die Kraft finden, die Alltagsprobleme zu
bewältigen, egal ob es sich um geschäftliche Dinge handelt, oder um die
chaotischen globalen Verhältnisse, die aus der Zerstörung der Umwelt
entstehen. Fortschritt im Leben des Einzelnen und gesellschaftlicher
Aufschwung wird das Ergebnis sein.
August 2527 / 1984
Acharn Thawie Baladhammo
SORN
Bangkhla / Chachoengsao/THAILAND
EINFÜHRUNG
F: Meditation heißt in Pali kammatthana. Was bedeutet dieses
Wort kammatthana eigentlich?
A: Das Wort kamma bedeutet Handeln oder Übung, und das
Wort thana bedeutet Basis oder Grundlage. Kammatthana ist also die
Grundlage des Handelns, oder die Ursache der Entwicklung.
F: Was bedeutet samatha kammathana?
A: Das Wort samatha bedeutet Ruhe oder Frieden des Geistes. Samatha
kammatthana bedeutet daher Übung für Geistesruhe oder geistige
Entwicklung, die auf Beruhigung aufbaut.
F: Was bedeutet vipassana kammatthana?
A: Die Silbe vi- bedeutet überaus, klar-, oder vielfältig. Das Wort –
passana bedeutet sehen, direkte Wahrnehmung und rechte Ansicht der
Wirklichkeit.
Vipassana kammatthana ist also die Übung der rechten Ansicht der
Wirklichkeit, oder geistige Entwicklung, um ein klares Wissen zu erreichen
über die allen Wirklichkeiten zugrundeliegende Wahrheit.
F: Warum gibt es in der Buddhalehre nur zwei Aufgaben zu erfüllen, die
Aufgabe, die Lehre zu studieren (ganthadura) und die Aufgabe, Klarblick zu
üben (vipassanadhura), aber samatha wird nicht erwähnt?
A: Buddha hat mit äußerster Geduld, Beharrlichkeit und Anstrengung nach
der Befreiung von den Leiden der Wiedergeburt im Samsara gesucht – dem
Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Er suchte das Mittel, das
weltliche Voreingenommenheit (sava) und geistige Trübung (kilesa)
auslöschen kann, denn die sind dafür verantwortlich, daß wir weiter in diesem
Kreislauf verbleiben.
Zunächst lernte er von zwei namhaften Lehrern, Alara Kalama und Uddaka
Ramaputta, bis er ihnen an Wissen ebenbürtig war und die höchsten
unkörperlichen Vertiefungen beherrschte. Aber dann wurde ihm klar, daß
diese Disziplinen nicht zur vollen Erleuchtung führen, und er suchte weiter auf
eigene Faust, bis er die Vier Edlen Wahrheiten entdeckte, die den Geist völlig
von allen Eintrübungen befreien. Und so wurde er Buddha, der Erwachte.
Dann verkündete er, daß er die volle Erleuchtung aus eigener Kraft erlangt
hatte. In seiner ersten Lehrrede vor den fünf Asketen im Hirschpark von
Isipatana, in der Nähe von Benares – dem Ingangsetzen des Rads der Lehre
(Dhammacakkappavattana-sutta) – erklärte Buddha den Edlen Achfachen
Pfad, den Mittleren Weg, dessen wichtigster Bestandteil rechte Ansicht
(sammaditthi) ist. Damit ist die Weisheit (panna) gemeint, welche die Vier
Edlen Wahrheiten erkennt. Die Übung des Achtfachen Pfades besteht in der
Übung der Klarblickmeditation. Das ist die Aufgabe der praktischen Übung
(vipassanadhura).
Was aber nun ganthadhura betrifft, da geht es darum, die Grundlagen der
Klarblickmeditation zu studieren, um die Übungsmethode zu verstehen. Den
größten Teil seines Lebens verbrachte Buddha damit, den Leuten zu
erklären, daß Körper und Geist vergänglich, leidhaft und kein Selbst sind.
Solche Lehren gab er denjenigen seiner Schüler, die die Übungsmethode
noch nicht verstanden, bis sie selber begriffen hatten. Dann verneigten sich
die Schüler vor dem Buddha, zogen sich in die Waldeinsamkeit zurück und
übten die Lehre mit voller Entschlossenheit, bis sie die höchsten Stufen der
Verwirklichung gewannen. Sie wurden Edle Menschen (ariya puggala) zu
Buddhas Lebzeiten.
Samatha kamatthana gab es allerdings schon lange bevor Buddha in der
Welt erschien. In jeder Religion gab und gibt es diese Art der Meditation,
geübt von den Weisen, Asketen, Einsiedlern und Mönchen dieser Religionen.
Nachdem Buddha diese Dinge gründlich studiert und geübt hatte, erkannte
er, daß er den Weg zur Überwindung weltlicher Voreingenommenheit noch
nicht gefunden hatte.
Vipassana kammatthana ist aber die Übung, die Buddha selbst entdeckt und
praktiziert hat. Sie ist nur in der Lehre des Buddha zu finden. Deshalb gibt es
in der Buddhalehre nur zwei Aufgaben: Klarblickmeditation zu üben und die
Theorie dieser Methode zu studieren.
F: Was ist der Unterschied zwischen samatha kammatthana und vipassana
kammatthana?
A: Sie unterscheiden sich in den Objekten der Betrachtung und haben
verschiedene Methoden und Ziele. Samatha kammatthana beruht auf
vorgestellten Objekten, oder Objekten, die hergestellt werden müssen, wie
die zehn Scheiben (kasina) – Objekte, die kreisförmig vorbereitet werden
müssen und zum Beispiel die vier Elemente darstellen. Die Übung
von samatha kammatthana hat als Ziel die Geistesruhe. Die Methode hängt
im Wesentlichen von der Entwicklung der Konzentration auf das Objekt – hier
‘Bild’ genannt – ab, vom ursprünglichen Objekt, dem Vorbereitenden Bild
(parikamma nimitta), über das Erworbene Bild (uggaha nimitta) bis zur
Erlangung des Abstrakten Bildes (patibhaga nimitta). Durch die Übung
werden die fünf Vertiefungsglieder entwickelt – anfängliche und fortgesetzte
Auffassung, Freude, Glücksgefühl und Objektausrichtung – und wenn sie die
nötige Stärke erreicht haben, tritt man in die erste Vertiefung (jhana) ein, die
erste der feinkörperlichen Bewußtseinsebenen.
Die Objekte der Klarblickmeditation, andererseits, sind die fünf Anhäufungen
(pancakkhandha ) von Körper (rupa) und Geist (nama). Das Ziel der
Klarblickübung ist die Verinnerlichung der höchsten Qualitäten der Lehre und
damit der Eintritt in die vier Ebenen der Edlen: Stromeintritt,
Einmalwiederkehr, Niewiederkehr und Heiligkeit. Auf dieser höchsten Ebene
ist die Notwendigkeit beseitigt, immer wieder zurückzukommen, um Geburt
und Tod zu durchlaufen. Die Einzelheiten dieser Übung werden in den
folgenden Kapiteln erklärt werden.
F: Müssen wir die Richtlinien der Klarblickmeditation erst kennen, bevor wir
mit der Übung beginnen können?
A: Wir sollten zumindest die Grundbegriffe oder den Kern der Lehre kennen:
Die Vier Edlen Wahrheiten, oder die zwei Wege der Wahrheit – den Weg des
Leidens und den Weg der Aufhebung des Leidens.
Der Weg, der zum Leiden führt, ist Begierde (tanha), das Verlangen nach
weltlichen Objekten – also Formen und Farben, Geräuschen, Düften,
Geschmäcken, und Berührungen, sowie feinkörperlichen Objekten und
Geisteszuständen. Das Verlangen führt zum Anhaften an weltlichen Objekten,
die Geburt, Alter, Krankheit und Tod mit sich bringen und uns hineinziehen in
den Strudel des unaufhörlichen Wechsels.
Der Weg der Aufhebung des Leidens, das ist der Achtfache Pfad, der Mittlere
Weg, der in der Erkenntnis der Wirklichkeit besteht, zur Gewinnung des
Edlen Pfades und seiner Frucht führt, und in Nibbana mündet. Dies ist der
Weg, die Eintrübungen des Geistes (asava-kilesa) vollständig aufzulösen. Es
ist der Weg derer, die ein religiöses Leben (brahmachariya) führen, der Weg
der Geläuterten. Es ist der Weg des Entkommens aus dem ständigen
Geborenwerden und Sterben im Kreislauf des Samsara, indem man die
Wahrheit selbst erfährt, daß Leiden (dukkha) erkannt werden muß, daß die
Ursache (samudaya) beseitigt werden muß, daß das Verlöschen (nirodha)
verwirklicht und der Pfad (magga) entwickelt werden muß.
F: Besteht für den Meditierenden, der diese Methode übt, irgendeine Gefahr?
A: Die Übung kann gefährlich werden, wenn der Übende die Richtlinien der
Klarblickmeditation noch nicht richtig versteht, oder wenn man anhand von
Büchern meditiert und sich ein eigenes Verständnis zurechtlegt. Wenn man
ohne die Führung eines qualifizierten Lehrers üben muß, der beständig auf
den rechten Weg hinweist, und im Laufe der Übung tauchen meditative
Phänomene (sabhavadhamma) auf, dann glauben manche, sie hätten einen
Durchbruch erreicht und die Erleuchtung erfahren. Einige Übende entwickeln
eine Vorliebe für bestimmte geistige Wahrnehmungen
(nimitta), Lichterscheinungen, Bilder oder plastische Vorstellungen. Das kann
bis zur Besessenheit gehen. So etwas ist allerdings eher in der
Sammlungsübung anzutreffen. Da arbeitet man ja mit vorgestellten Objekten
(kasina), man konzentriert sich auf geistige Bilder mit Verblendung, d. h. man
erkennt nicht die wahre Natur der Sinneserfahrung. Wenn sich das Objekt,
auf dem die Konzentration beruht, plötzlich verändert, oder ein
erschreckendes Bild taucht plötzlich auf, kann es passieren, daß man die
Kontrolle verliert und durchdreht.
Aber die Klarblickmeditation besteht darin, daß man in jedem Moment des
Ausatmens und Einatmens die Achtsamkeit anwendet. Durch die Übung
werden Weisheit (panna) und klare Auffassung (sampajanna), sowie
Anstrengung (viriya) entwickelt. Diese drei Geisteskräfte arbeiten zusammen
in der Bemühung, das gegenwärtige Objekt in jedem Moment zu noten. Wann
immer ein Objekt auftaucht, seien Sie sich nur dieses Objektes bewußt, wie
es wirklich ist. Dann lassen Sie dieses Objekt von Moment zu Moment los,
denn alles, was in unserer Erfahrung auftaucht, muß auch auf natürliche
Weise wieder vergehen. Egal, welche besonderen Eigenschaften oder
Merkmale das Objekt hat, es taucht auf und verschwindet dann wieder. Es ist
die Edle Wahrheit des Leidens (dukkha ariyasacca), die da entsteht und
vergeht. Dieser Vorgang ist schwer zu ertragen, er ist leidhaft. Wenn die
Übenden dies nur verstehen können, dann birgt die Übung der
Klarblickmeditation keine Gefahr. Im Gegenteil, sie wird uns zu Menschen mit
höherer Bewußtheit und Erkenntniskraft machen.
F: Manche Leute sagen, wer meditiert, verliert den Anschluß, macht keinen
Fortschritt mehr in der Welt, wird stur und altmodisch, ist jedenfalls nicht mehr
auf der Höhe der Zeit. Was sagen Sie dazu?
A: Jeder, der in diese Welt geboren ist, muß ein Ziel im Leben haben. Er
sollte wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Um sein Leben zu
entwickeln und ein Mensch von höchster Tugend zu werden, was muß man
da tun? Ob ein Mensch gut oder schlecht ist, hängt von seinem eigenen Geist
ab. Das können wir selber nachprüfen. Dann sind wir immer auf der Höhe der
Zeit.
Wir leben im Zeitalter der Naturwissenschaft. Wir benutzen Technologie,
Computer und Atomenergie zur Untersuchung, Erforschung und Ausbeutung
der materiellen Welt und wir verfolgen damit materielle Zwecke. Wir setzen
unseren Geist ein, um nach solchem Wissen zu suchen, und wir konkurrieren
in der Erzeugung materieller Dinge. Kurz gesagt: Wir sind Materialisten. Das
nennen wir dann Fortschritt. Es ist aber nur weltliches Wissen. Wenn wir es
richtig einsetzen, auf friedliche Weise verwenden, dann wird es der ganzen
Menschheit zugute kommen. Nutzen wir dieses Wissen aber mit Gier, Haß
und Verblendung (lobha, dosa, moha), dann wird das Ergebnis unweigerlich
die Vernichtung der Menschheit sein. Es wird alles in der Welt zerstören. Und
dann wird keine Entschuldigung und keine Ausrede mehr gelten für die, die
sagen: “Ich bin ein Pionier, ich bin Wissenschaftler,” oder: “Ich bin auf der
Höhe der Zeit.” Ist das nun Gewieftheit oder ist das nicht viel mehr Dummheit
in den Herzen derjenigen, die vom Materialismus in die Irre geleitet werden,
bis sie vergessen, daß das Wichtigste im Leben Dhamma ist. Dhamma, das
ist die Natur, die ist immer auf der Höhe der Zeit!
Wer Dhamma studiert und praktiziert, Dhamma selbst erforscht und sich von
der Wahrheit überzeugt, Dhamma analysiert und für das praktische Leben
nutzt, der benutzt Dhamma, um Verlangen und übersteigerte Begierden,
Ärger, Neid und Verblendung zu kontrollieren, die ihn dem Alkohol und dem
Rauschgift in die Arme treiben. Wenn unser Geist nicht mehr getrübt ist von
den Eintrübungen des Herzens, dann ist dieser Geist klar und ruhig, und er
kennt die Wirklichkeit der Natur wie sie wirklich ist.
Dann wird das Leben erfüllt sein von wahrem Glück. So jemand kennt die
Gesetzmäßigkeiten der weltlichen Prozesse wie auch die Prinzipien des
Dhamma, und er wird dieses Wissen beim Studium und bei der Führung
seines Geschäfts anwenden, um Fortschritt und Wohlstand in der Zukunft zu
gewährleisten, und er wird darin besser sein als jemand, der sich nicht
für Dhamma und für das Funktionieren seines eigenen Geistes interessiert,
der nichts über den Zusammenhang zwischen den geistigen Eintrübungen,
den Taten und deren Wirkungen (kilesa, kamma, vipaka) weiß und nicht
versteht, daß die Vier Edlen Wahrheiten, der Achtfache Pfad, die Vier
Grundlagen der Achtsamkeit – daß dies die Lehren sind, die unsere
Probleme lösen können, die Lehren, die zum Aufhören des geistigen Leidens
im Leben führen, die Lehren, die wir benutzen können, um den Geist von der
niedrigen Stufe eines Weltlings (puthujjana) zu der hohen Gesinnung eines
Edlen (ariya puggala) zu entwickeln.
Auch in unserer modernen Zeit gilt die Herausforderung für jeden von uns,
selber heranzukommen an die Wirklichkeit und sich zu überzeugen, wie sie
ist ohne die Begrenztheit der zeitlichen Endlosigkeit, und jemand, der das in
der Praxis nachprüft: Der weiß es aus eigener Erfahrung! So jemand ist
besser als die, die nichts wissen wollen von der Lehre und sie nicht üben.
Das sind doch in Wahrheit die Zurückgebliebenen, die nicht mit der Zeit
gehen, wie vorgeschichtliche Fossilien.
F: Was sind die vier förderlichen Hilfsmittel (sappaya) für Meditierende?
A: Zur Zeit Buddhas sollten die Meditierenden folgende vier günstige
Bedingungen für die Übung aufsuchen:
1.Geeigneter Wohnplatz, der Ruhe förderlich, ungestört durch Lärm,
zum Beispiel im Wald, im Wurzelbereich eines Baumes, ein leeres Haus
oder Zimmer.
2.Gesundes Essen, das leicht zu bekommen ist. Für Mönche heißt
das: Die Almosenrunde sollte zu Dörfern nicht allzu weit weg führen,
und man sollte dort genug Essen bekommen.
3.Ein guter Mensch, ein spiritueller Freund, ein Meditationslehrer, der
den Übenden immer gemäß dem Mittleren Weg anleitet.
4.Angepaßte Methode, das heißt, eine Meditationsübung
(kammatthana), die der Veranlagung des Meditierenden angepaßt ist,
sodaß weder Anspannung noch Entspannung sich zu stark entwickeln.
Es ist die Methode, die dem Übenden rasch Ergebnisse bringt, wie es
sich gehört.
In der heutigen Zeit sollten wir nach einem Meditationszentrum Ausschau
halten, wo Klarblickmeditation gelehrt wird und die vier förderlichen
Bedingungen, wie beschrieben, vorhanden sind, das heißt angenehme
Unterbringung, Essen ist leicht zu bekommen und angemessen, es gibt
einen Vipassana Lehrer, der auf dem Gebiet der Klarblickmeditation
Erfahrung hat, und die Methode ist auf den Meditierenden abgestimmt.
Gegenwärtig ist das Allerwichtigste nur der Meditationslehrer. Er sollte
sorgfältig analysieren und unterweisen, denn es ist für uns Heutige schwierig,
so gute Lehren zu finden wie es sie in Buddhas Zeit gab.
F: Wie soll einer vorgehen, der noch nie meditiert hat?
A: Der erste Schritt ist, daß man mehr über das Thema Klarblickmeditation
lernt, damit man rechtes Verständnis der Methode hat, bevor man mit der
Übung beginnt. Aber wenn man das aus irgendwelchen Gründen nicht kann,
oder man hat das Thema bereits studiert, versteht es aber doch noch nicht
richtig, dann sollte man zu einem Klarblicklehrer in ein Meditationszentrum
gehen und dort um Aufnahme für die Übung bitten. Selbst wenn jemand
schon viele Bücher gründlich studiert hat, ist es dennoch notwendig, die
Anleitung eines Meditationslehrers zu haben, der einem die korrekte Übung
klarmacht, denn vom Schriftenstudium (pariyatti) kennen wir ja nur die
geschriebenen Worte, während man in der praktischen Übung (patipatti)
persönlich Bekanntschaft mit den natürlichen Phänomenen
(sabhavadhamma) macht, wie sie wirklich sind. Und da gibt es Unterschiede
je nach der individuellen Entwicklung der verschiedenen Menschen, ihre
Fähigkeiten und Veranlagungen, ihre Stimmungen und Gefühle und die
Ansammlung des kamma sind nie gleich. Dann gibt es Phänomene, die erst
im Laufe der Klarblickübung entstehen, zum Beispiel Konzentration,
Begeisterung, Ruhe, Gleichmut (samadhi, piti, passaddhi, upekkha). Manche
dieser Phänomene sind in den Schriften nicht erwähnt. Deshalb ist das
Wichtigste, einen Meditationslehrer zu haben, der theoretisches Wissen
sowie praktische Erfahrung hat.
TEIL 1
DIE ÜBUNG
Die Übung der Klarblickmeditation (vipassana kammatthana) besteht in der
Entwicklung der Vier Grundlagen der Achtsamkeit (satipatthana) –
1.Betrachtung des Körpers (kayanupassana) Achtsamkeit (sati)
betrachtet den Körper(kaya) im Körper, wie er wirklich ist.
2.Betrachtung der Empfindungen (vedananupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Empfindungen (vedana) in den Empfindungen, wie sie
wirklich sind.
3.Betrachtung der Geisteszustände (cittanupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Geisteszustände (citta) in den Geisteszuständen, wie sie
wirklich sind.
4.Betrachtung der Geistesdinge (dhammanupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Geistesdinge (dhamma) in den Geistesdingen, wie sie
wirklich sind.
Die vier Grundlagen der Achtsamkeit umfassen alle Objekte, die in unserer
Erfahrung auftauchen. Das bedeutet: der Körper, die Empfindungen, die
Geisteszustände und die Geistesdinge – also die vier Grundlagen der
Achtsamkeit – sind unmittelbar hier in unserer Erfahrung, und um ihre wahre
Natur zu entdecken, müssen wir die Achtsamkeit anwenden. Lassen Sie mich
die Bereiche dieser vier Grundlagen noch deutlicher machen, damit sie
leichter zu üben sind. Buddha hat erklärt, daß die Ebene, auf der
menschliche Wesen – ja, fühlende Wesen ganz allgemein – wirklich
existieren, die fünf Anhäufungen des Anhaftens (upadanakkhandha) sind.
Mit anderen Worten: Wir bestehen aus fünf verschiedenen Arten natürlicher
Phänomene, die sich mischen und verbinden zu komplexen Formen und
Erscheinungen, für die wir Namen erfinden und sagen: “Dies ist ein
menschliches Wesen, eine Frau, ein Mann, dies ist ein Tier, ein Baum, usw.”
Die fünf Anhäufungen (khandha) sind im Einzelnen –
1.Die Anhäufung des Körperlichen (rupakkhandha).Die Anhäufung
des Körperlichen umfaßt zunächst die vier Grundelemente der Materie
(mahabhutarupa):
1.das Element der Raumverdrängung (pathavi – Erde).
2.das Element des Zusammenhalts (apo – Wasser).
3.das Element der Temperatur (tejo – Feuer).
4.das Element der Bewegung (vajo – Wind).
Außerdem gehören zur Anhäufung des Körperlichen feinstoffliche Elemente,
oder sekundäre materielle Phänomene, wie Farbe, Geruch, Geschmack,
Nährfähigkeit, organisches Leben, die Sensitivität der Sinne für ihre
jeweiligen Objekte und andere materielle Phänomene, die auf den vier
Grundelementen aufbauen.
- Die Anhäufung der Empfindungen (vedanakkhandha). Die
Sinnesempfindungen, oder Gefühle, haben die Aufgabe, die Objekte als
angenehm, unangenehm oder neutral zu erleben. - Die Anhäufung der Wahrnehmungen (sannakkhandha).
Wahrnehmung hat die Funktion, die Objekte der vier Grundlagen der
Achtsamkeit – also Formen und Farben, Klänge, Düfte, Geschmäcke,
Berührungen und geistige Objekte – zu erkennen und diese
Informationen im Gedächtnis abzulegen. Erinnerung ist eine weitere
Funktion der Wahrnehmung. - Die Anhäufung der Gebilde (sankharakkhandha). Hierbei handelt
es sich um die Geisteskräfte (cetasika), die das Bewußtsein begleiten.
Die heilsamen (kusala) Geisteskräfte machen den Geist verdienstvoll,
oder gut. Die unheilsamen (akusala) Geisteskräfte machen den Geist
verdienstlos, oder schlecht. Die erhabenen Geisteskräfte (abhayakata),
hingegen, machen den Geist gefestigt und losgelöst. Diese drei
Gruppen von Geisteskräften stehen hinter den Geistestätigkeiten. Je
nachdem, wie stark sie auftreten, können sie Gedanken, Sprache oder
körperliche Handlungen verursachen. - Die Anhäufung des Bewußtseins (vinnanakkhandha). Die
Anhäufung des Bewußtseins hat die Funktion, die Objekte der sechs
Sinnestore – der Augen und Ohren, der Nase und Zunge, des Tastsinns
und des Geistes – aufzufassen und ihrer bewußt zu sein. Zu dieser
Anhäufung gehören auch das Wiedergeburtsbewußtsein
(patisandhi) und die unbewußte Lebensgrundlage (bhavanga).
Die Betrachtung des Körpers hat als Objekt die Anhäufung des
Körperlichen.
Die Betrachtung der Empfindungen hat als Objekt die Anhäufung der
Empfindungen.
Die Betrachtung der Geisteszustände hat als Objekt die Anhäufung
des Bewußtseins.
Die Betrachtung der Geistesdinge hat als Objekt die Anhäufungen der
Wahrnehmung und der Gebilde.
In der Praktischen Übung werden die fünf Anhäufungen zusammengefaßt zu
nur zwei Kategorien: Körper (rupa) und Geist (nama). Die Anhäufung des
Körperlichen nennen wir Körper (rupa), die Anhäufungen der Empfindungen,
der Wahrnehmung, der Gebilde und des Bewußtseins werden
zusammengefaßt unter dem Begriff Geist (nama).
Zum besseren Verständnis sei es noch einmal betont: Die Objekte der
Klarblickmeditation lassen sich am einfachsten in nur zwei Kategorien
einteilen – Körper und Geist.
Was die Natur betrifft, die dieses Spektrum von Objekten bewußt erlebt, das
ist der Geist, der begleitet wird von Anstrengung (viriya), klarer Auffassung
(sampajanna), Konzentration (samadhi) und Achtsamkeit (sati).
Prägnant formuliert könnte man sagen: Alle natürlichen Phänomene gipfeln
in, und werden zusammengefaßt von der Achtsamkeit. Deshalb soll man
Achtsamkeit anwenden, um den gegenwärtigen Moment zu betrachten, das
gegenwärtige Objekt.
Achtsamkeit ist vergleichbar mit dem Fußabdruck eine Elefanten: Die Spuren
kleinerer Tiere werden alle vom Fußabdruck eines Elefanten überdeckt.
Wenn Achtsamkeit in der Gegenwart nicht aktiv ist, können andere heilsame
Geisteskräfte auch nicht entstehen. Aber wenn Achtsamkeit auftaucht,
kommen nur die heilsamen Kräfte mit zur Entstehung. Deswegen hat Buddha
immer zur systematischen Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit
ermuntert.
Wenn man versteht, was die Objekte der Klarblickmeditation sind, und wer
das Subjekt ist, das diese Objekte bewußt erlebt, dann kann man die Übung
damit beginnen, Achtsamkeit auf die vier primären Körperhaltungen zu
richten: Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen.
Sitzmeditation
Während der Sitzmeditation sitzt man mit gekreuzten Beinen und aufrechtem
Körper, der rechte Fuß liegt auf dem linken Bein und die rechte Hand über
der linken, Handflächen weisen nach oben. Augen und Lippen bleiben
geschlossen, die Zähne berühren sich aber nicht, während die Zunge hinter
den oberen Zähnen gegen den Gaumen gelegt wird. Rufen Sie nun die
Achtsamkeit wach, um sich auf das zu betrachtende Objekt zu richten. Dann
betrachten Sie den Körper im Körper. Das Hauptobjekt, das betrachtet
werden soll, ist das Heben und Senken der Bauchdecke. Wenn sich die
Bauchdecke hebt, stellen Sie innerlich fest: ‘heben.’ Wenn sich die
Bauchdecke senkt, stellen sie innerlich fest: ‘senken.’ Dann machen Sie
einfach kontinuierlich weiter: ‘heben – senken – heben – senken…’.
F: Wie soll man die Achtsamkeit wachrufen?
A: Der Übende soll sich geistig wohlfühlen und unbesorgt sein, nicht zu
ernsthaft oder erwartungsvoll, denn die Phänomene, die da auftauchen,
müssen allesamt wieder wegfallen. Es ist ein Merkmal der Natur, daß alles,
was natürlich entsteht, auch wieder vergeht. Man soll nur die Achtsamkeit fest
auf das Objekt gerade vor sich richten und es sehen, wie es wirklich ist: es
entsteht und vergeht. Man sollte an gar nichts anhaften, sondern den Geist
neutral und ruhig halten. Das nennt man die Übung des Mittleren Weges:
nicht anzuhaften an guten Objekten oder an schlechten Objekten, nicht
anzuhaften an Objekten, die ein angenehmes oder ein unangenehmes
Gefühl hervorrufen. Wenn die Achtsamkeit so wachgerufen wird, daß sie
bewußt das gegenwärtige Objekt betrachtet, sieht, wie es wirklich ist, und es
dann losläßt, dann ist die Achtsamkeit richtig wachgerufen.
F: Wieviel Zeit soll man einsetzen für die Entwicklung der Achtsamkeit?
A: Das hängt von den Kräften des Übenden ab. Ein Kind im Alter von 7 – 10
Jahen sollte nur 10 Minuten üben. Heranwachsende von 10 – 15 Jahren
sollten 20 Minuten üben. Ab 15 Jahren Alter und bei guter Gesundheit sollte
man mit 30 Minuten beginnen.
Wenn der Übende Energie, Achtsamkeit und Konzentration (viriya, sati,
samadhi) entwickelt hat, sollte man langsam die Zeit erhöhen. Man soll sie
nicht zu schnell erhöhen: von 30 auf 40 Minuten, dann von 40 auf 50
Minuten, und dann von 50 auf 60 Minuten. Wer neu in der Meditation ist,
sollte nicht länger als eine Stunde sitzen. Man muß zuerst lernen, die in der
Meditation zum Einsatz kommenden Geisteskräfte ins Gleichgewicht zu
bringen und dieses zu bewahren, bevor man länger als eine Stunde sitzt.
F: Manchmal ist der Geist nicht ruhig, man denkt oder hängt Überlegungen
nach. Das ist frustrierend. Was soll man dann tun?
A: Wenn es nur Denken ist, stellen Sie einfach fest: ‘denken, denken.’ Sind
es Überlegungen, so noten Sie ‘überlegen, überlegen.’ Wenn der Geist vom
einen zum anderen wandert, noten Sie ‘wandern, wandern,’ und wenn sie
wegen des wandernden Geistes frustriert werden, bemerken Sie: ‘frustriert,
frustriert.’ Die Worte sollten nur gedacht werden. Achten Sie darauf, daß die
Lippen, Zunge, Kiefer oder Kehlkopf sich nicht mitbewegen. Das Benennen
des Objekts hat den Sinn, sich zu vergewissern, daß man auch wirklich auf
das gegenwärtige Objekt achtet. Wenn man nicht benennt, kann es leicht
passieren, daß die Aufmerksamkeit abschweift, ohne daß man es merkt.
Notet man aber, dann fällt es schneller auf, wenn man abschweift, weil man
dann aufhört zu noten. Die Worte sind aber nicht die Objekte der
Betrachtung; die Aufmerksamkeit muß auf die besonderen Merkmale des
Objektes gerichtet werden, das man gerade notet. Im allgemeinen wiederholt
man das Wort einmal. Die erste Bemerkung soll die Aufmerksamkeit auf das
Objekt lenken, und die zweite sorgt dafür, daß man eine neutrale Haltung
bewahrt. Man kann aber auch öfter noten. Der Geist soll während der
Meditation kontinuierlich und in einem Tempo das gegenwärtige Objekt noten,
etwa einmal pro Sekunde.
F: Manchmal ist der Geist irritiert, besorgt, entmutigt, gelangweilt, lustlos,
schläfrig oder Ähnliches. Wie soll man damit umgehen, oder wie soll man das
betrachten?
A: Noten Sie ganz einfach das geistige Objekt, das da im Geist aufgetaucht
ist: ‘irritiert, irritiert,’ ‘ besorgt, besorgt,’ ‘entmutigt…’, ‘gelangweilt…’,
‘lustlos…’, ‘schläfrig…’, ‘träumen, träumen…’. Sie können natürlich auch
Substantive nehmen: ‘Sorge, Sorge’, ‘Zweifel, Zweifel,’ und so weiter. Legen
Sie sich auf ein Wort fest, das für Sie am klarsten das Objekt repräsentiert
und bleiben Sie dann dabei.
F: Wie soll man äußere Objekte noten, die auftauchen?
A: Wenn Objekte durch das Auge auftauchen, noten Sie: ‘sehen,
sehen.’ Wenn ein Geräusch auftritt, noten Sie ‘hören, hören.’ Taucht ein
Geruch auf, noten Sie: ‘ riechen, riechen.’ Wenn ein Geschmack auftaucht,
noten Sie: ‘schmecken, schmecken.’ Hören Sie zum Beispiel einen Hund
bellen, so noten Sie nicht ‘Hund, Hund,’ sondern: ‘hören, hören,’ während die
Achtsamkeit auf das Ohr gerichtet ist und dort beobachtet, wie der Kontakt
des Sinnesorgans mit dem Objekt – dem Geräusch – das Hörbewußtsein
hervorruft.
Wenn Sie einen körperlichen Eindruck von Kühle oder Wärme, Weichheit
oder Härte spüren, so benennen sie das Objekt nach seiner besonderen
Eigenschaft: ‘kühl, kühl,’ ‘warm, warm,’ ‘weich, weich,’ ‘hart, hart.’ Taucht ein
Objekt im Geist auf, dann noten Sie je nach der Wahrnehmung als ‘sehen,
sehen,’ ‘erinnern, erinnern,’ ‘denken, denken,’ ‘vorstellen,’ ‘planen,’ und
dergleichen, was gerade aufgetaucht ist.
F: Wenn man lange sitzt, können Schmerzen in den Knien, in den Beinen,
oder im Rücken auftauchen. Wie soll man diese Empfindungen betrachten?
A: Gehen Sie mit der Achtsamkeit an die Stelle, wo Sie die Empfindung
erleben, und seien Sie sich dieses Objekts bewußt. Dann noten Sie es:
‘Schmerz, Schmerz.’ Empfinden Sie ein Stechen, dann benennen Sie es:
‘stechen, stechen.’ Ist die Empfindung taub, noten Sie: ‘taub, taub. ’ Wenn die
Empfindung verschwindet, gehen Sie mit der Achtsamkeit wieder zur
Bauchdecke und noten weiter ‘Heben’ und ‘Senken.’
F: Wenn die Empfindung aber nicht verschwindet, nachdem man sie genotet
hat, was soll man dann tun?
A: Bei der Betrachtung von körperlich unangenehmen Empfindungen
(dukkhavedana) wie z. B. dumpfem oder stechendem Schmerz, Taubheit,
Ziehen, Ermüdung, werden Sie, solange die Konzentration gut ist, ohne
Schwierigkeiten noten können, daß da eine Empfindung von dumpfen oder
stechenden Schmerz, von Taubheit, Ziehen oder Ermüdung ist, und Sie
können das Entstehen und Vergehen der unangenehmen Empfindung
deutlich sehen.
Oft verschwinden solche Empfindungen von selbst, wenn man sie eine Weile
beständig und ohne innere Verkrampfung genotet hat. Wenn man die
Empfindung aber schon eine Weile genotet hat, und sie ist noch nicht
verschwunden, dann liegt das daran, daß sie besonders stark ist.
Manchmal halten uns Geist-und-Körper (nama-rupa) auch das Merkmal der
Leidhaftigkeit (dukkha) deutlich vor Augen, damit Weisheit (panna) die drei
allgemeinen Merkmale – Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit, Selbstlosigkeit
(anicca, dukkha, anatta) – besser erkennen kann. In diesem Fall ist das
schmerzhafte Gefühl außergewöhnlich stark. Wenn man es nicht aushalten
kann, dann sollte man eine kleine Bewegung machen, oder die Sitzhaltung
verändern, damit der Schmerz aufhört. Aber vergessen Sie nicht, achtsam
den Wunsch, sich zu bewegen, zu noten: ‘Absicht, Absicht. ’ Und wenn Sie
die Hände, die Arme, die Beine bewegen, tun Sie es langsam und mit voller
Aufmerksamkeit und noten Sie alle einzelnen Bewegungen entsprechend:
‘lösen’, ‘bewegen…’, ‘berühren…’, ‘anheben…’, ‘ausstrecken…’, ‘ablegen…’,
‘zurückziehen.’ Läßt der Schmerz nach, dann notet man wieder Heben und
Senken der Bauchdecke.
F: Wenn man schmerzhafte Gefühle notet, muß man damit weitermachen,
bis dieses Objekt verschwindet, oder kann man statt dessen andere Objekte
noten?
A: Es gibt zwei Arten körperlich unangenehmer Gefühle (dukkha-vedana).
Eine Art ist starker nötigender Schmerz. Da muß man etwas unternehmen.
Dann gibt es körperliche Schmerzen, die nicht behoben werden müssen. Wir
sollten auf die nötigenden Schmerzen achtgeben, zum Beispiel den Drang,
Urin oder Stuhl auszuscheiden. Das sind Schmerzen die man nur begrenzt
unterdrücken kann. Sie werden nicht durch das Noten weggehen. Manchmal
entsteht auch ein heftiger Schmerz im Körper. Der Übende quittiert ihn
achtsam, aber der Schmerz wächst weiter und weiter an. Wenn der Übende
schon genug Erfahrung im Anschauen von schmerzhaften Gefühlen hat,
dann wird er es aushalten können. Anfänger in der Meditation halten das aber
nicht aus. Sie werden mürbe. Dann sollten sie langsam die Sitzhaltung
ändern, wobei jedes Detail des Bewegungsablaufs sorgfältig beachtet werden
muß.
Die körperlich unangenehmen Empfindungen, die nicht behoben werden
müssen, sind nur geringfügige Schmerzen, die auftauchen und
verschwinden. Wenn sie nicht gewaltig sind, ist es nicht nötig, die Haltung zu
ändern oder sich irgendwie zu bewegen. Richten Sie nur die Achtsamkeit auf
dieses Objekt und stellen Sie fest, was wirklich da ist: Schmerzhaftes Gefühl,
das auf natürliche Weise entsteht und vergeht. Sogar das Phänomen des
Schmerzes ist nicht kompakt, es dauert nicht. Es ist vergänglich, bedrückend,
und entbehrt einer eigenen Existenz, genauso wie die köperlichen (rupa)
Phänomene. Das Gleiche gilt auch für alle anderen geistigen (nama)
Phänomene.
F: Tauchen Schmerzen in der Meditation auch noch auf, wenn man schon
lange meditiert hat? Woher kommen diese Schmerzen?
A: Das hängt von der Praxis ab. Wenn der Meditierende das Objekt eine
lange Zeit kontinuierlich betrachten kann – als vorübergehendes Hauptobjekt
– dann entwickelt sich Konzentration sehr stark. Zusammen mit kräftiger
Konzentration steigen dann Geisteskräfte (sankhara) wie Begeisterung
(piti) und (geistiges) Glücksgefühl (sukha) im Bewußtsein auf. Man fühlt sich
zufrieden und glücklich, und das wirkt wieder auf den Körper zurück. Wenn
man in einer solchen Situation Schmerzen empfindet, erkennt man sie nicht
als Schmerzen. Sie sind dann nur noch dieses Objekt da, und man fühlt sich
wohl dabei. Das liegt am Überwiegen des geistigen Wohlgefühls. Unter
solchen Umständen ist man in der Lage, die vorgenommene Zeit für die
Sitzung einzuhalten. Erst wenn man die Sitzung beendet und sich bewegt,
oder wenn man zwischendurch aufhört zu noten, dann merkt man den
Schmerz. Manche Meditierende erleben eigenartige plötzliche Schmerzen im
Rücken oder in anderen Körperteilen. Das sind Schmerzen, die man als
karmische Schuld bezeichnen könnte. Vielleicht hat der Übende auch in
diesem Leben noch die Angewohnheit, zum Beispiel, Schlangen auf den
Rücken zu schlagen, oder Hunde, Katzen und andere Kleintiere zu quälen.
Dann sind die Schmerzen die Frucht (vipaka) solcher Handlungsweise
(kamma), und wir sollten die Reifung dieses kamma geduldig ertragen.
Gehen und Stehen
F: Wie soll man bei der Gehmeditation gehen?
A: Die Mahasatipatthanasutta sagt dazu, wenn man geht, soll man sich
bewußt sein, daß man geht. Es wird nicht gesagt, wieviele Teile ein Schritt
hat. Der Atthakatha Kommentar teilt den einzelnen Schritt aber in bis zu
sechs Teile:
1.Rechter Schritt, linker Schritt.
2.Den Fuß aufheben, den Fuß absetzen.
3.Den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den Fuß absetzen.
4.Die Ferse (vom Boden) lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen,
den Fuß absetzen.
5.Die Ferse lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den
Fuß senken, den Fuß absetzen.
6.Die Ferse lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den
Fuß senken, den Boden (mit den Zehen) berühren, den Fuß absetzen.
Für die Meditation im Stehen stellt man sich aufrecht hin. Halten Sie die linke
Hand mit der rechten, entweder vor oder hinter dem Körper, wie es Ihnen
paßt. Dann stellen Sie innerlich das Erlebnis des stehenden Körpers fest:
‘Stehen, stehen..’, etwa dreimal. Beginnen Sie dann zu gehen und noten Sie
gemäß dem ersten Gang: ‘Rechter Schritt, linker Schritt, rechter Schritt, linker
Schritt…’, und so weiter. Richten Sie Ihre Augen geradeaus, in eine
Entfernung von etwa drei bis fünf Metern. Rufen Sie die Achtsamkeit wach
und achten Sie auf die Empfindung des Fußes, der sich bewegt. Das Wort
‘rechts’ bedeutet, daß der rechte Fuß sich vorwärts bewegt, also die
Bewegung des Fußes, während er sich bewegt, oder nach vorne gebracht
wird. Stellen Sie den Fuß zuerst ab, bevor Sie das Gewicht verlagern. Das
begünstigt die Achtsamkeit, weil der Bewegungsablauf bis zuende betrachtet
wird, bevor das Objekt wechselt. Erst wenn der Fuß am Boden ruht,
höchstens eine Handbreit vor dem anderen, verlagern Sie das Gewicht, und
der andere Fuß kann sich bewegen.
Wird die Gehmeditation langsam ausgeführt, sollte man die Schritte innerlich
begleiten mit drei Silben: ‘Rechts geht so, links geht so, rechts geht so…’.
Das Wort ‘…so’ sollte zusammentreffen mit dem Moment, wo die Sohle den
Boden berührt. Geht man etwas schneller, notet man: ‘rechter Schritt, linker
Schritt….’. Normales Gehen begleitet man innerlich nur als ‘rechts, links,
rechts, links…’.
Der Weg, auf dem wir die konzentrierte Gehmeditation machen, sollte etwa
zwölf Schritte lang sein, oder drei bis vier Meter. Wenn Sie am Ende
angekommen sind, müßen Sie sich umdrehen. Noten Sie das als ‘drehen,
drehen…’, während sich der Körper nach rechts oder links herumdreht. Die
rechte Ferse folgt Stück für Stück einem Bogen; noten Sie das: ‘drehen,
drehen,…’. Wenn Sie in die Richtung sehen, aus der Sie gekommen sind,
noten Sie zunächst die stehende Haltung: ‘stehen, stehen…’. Wenn Sie
wieder losgehen, noten Sie innerlich die Schritte: ‘Rechts geht so, links geht
so, rechts geht so…’.
F: Wie lange soll die Gehmeditation geübt werden; wieviele Minuten
jedesmal?
A: Wer keine Meditationserfahrung hat, sollte in jeder Übungseinheit die
gleiche Zeit für das Sitzen wie für das Gehen aufwenden. Wenn man also 30
Minuten sitzt, soll man auch 30 Minuten gehen. Wer nur 20 Minuten sitzt, soll
auch 20 Minuten gehen, und wer 10 Minuten sitzt, sollte auch nur 10 Minuten
im Gehen üben. Wie lang die Übungseinheit sein soll, hängt von den
Fähigkeiten des Übenden ab, ob es ein Kind, ein Erwachsener, oder ein alter
Mensch ist.
Im allgemeinen gilt: Je länger Sie gehen können, desto besser. Dadurch
entwickelt sich geistige Energie (viriya), sodaß man anschließend im Sitzen
leichter achtsam noten kann. Manche Übende haben einen besonders
zerstreuten, diskursiven Geist. Sie sollten die Übungszeiten im Sitzen und
Gehen gleich halten; allenfalls etwas weniger gehen, damit sich mehr
Konzentration (samadhi) entwickelt und der Geist ruhig wird.
F: Was sind die methodischen Richtlinien für die aufbauenden Stufen der
Meditation?
A: Für den Übungsfortschritt ist es nötig, einen Klarblicklehrer zu haben, der
einen in der korrekten Übungsweise berät. Er muß in täglichen Gesprächen
prüfen, wie sich die Geisteskräfte des Meditierenden entwickeln und welche
spezifischen Phänomene er erlebt. Wenn Probleme auftauchen, muß der
Lehrer dem Übenden helfen, sie zu lösen. Er soll den Schüler zu rechtem
Verständnis führen, sodaß die Übung in Fortschritt mündet und Hindernisse
überwunden werden. Der Klarblicklehrer sollte die Intensität der Übung
allmählich anheben, indem der die Schritteinteilung der Gehmeditation
entsprechend dem Übungsfortschritt differenziert.
Die weiteren Schritte
Wenn beim Sitzen die Atmung sich beruhigt hat und das ‘Heben ” und
‘Senken” langsam wird, sollte man gegen Ende des Atemzugs die Sitzhaltung
als drittes Objekt regelmäßig noten: ‘Heben, senken, sitzen,’ – ‘heben,
senken, sitzen…’, und so weiter.
F: Wie soll man die Sitzhaltung noten?
A: Wenn man sitzt, soll man sich bewußt sein, daß man sitzt. Das heißt, im
Moment des Sitzens ist da die sitzende Form. Noten Sie diese Form: ‘Sitzen,
sitzen’.
F: Und wie geht es in der Gehmeditation weiter?
A: Bei der Übung im zweiten Gang wird jeder Schritt in zwei Phasen
unterteilt: ‘den Fuß aufheben’ und ‘den Fuß absetzen,’ oder: ‘aufheben,
absetzen, aufheben, absetzen…’. ‘Aufheben’ heißt hier, den Fuß etwa 10 –
15 cm vom Boden zu heben, ‘absetzen ’ ist der Moment, wenn die Sohle den
Boden berührt. Der bewegende Fuß soll den ruhenden Fuß nur eben um
seine eigene Länge überragen. Wenn Sie, zum Beispiel, den rechten Fuß
zuerst bewegen, dann soll die rechte Ferse etwa auf Höhe der linken Zehen
abgesetzt werden, während der linke Fuß unverändert am Boden bleibt.
Bewegt sich der linke Fuß, begleitet von der Bemerkung ‘aufheben,
absetzen,’ dann wird die linke Ferse kurz vor den Zehen des rechten Fußes
abgesetzt.
F: Wenn das Benennen gemäß dem zweiten Schritt mit Leichtigkeit
ausgeführt wird, was soll man dann noten?
A: Gehen Sie über zum dritten Schritt. Als weiteres Hauptobjekt kommt im
Sitzen die Berührung des Körpers mit dem Boden dazu. Wenn Sie
‘berühren” noten, dann achten Sie auf die Druckempfindung, wo der rechte
Sitzknochen auf den Boden drückt. Der Punkt, der genotet werden soll, hat
etwa die Größe einer Münze. Noten Sie bei jedem Atemzug: ‘Heben, senken,
sitzen, berühren…’.
Diese Übung soll nur gemacht werden, wenn der Atem sich beruhigt hat und
so langsam ist, daß genug Zeit bleibt, sich auf die
Objekte Sitzen und Berühren zu konzentrieren. Versuchen Sie also nicht, den
Atem zu kontrollieren oder künstlich zu verlängern. Das Hauptobjekt der
Betrachtung ist das Heben und Senken der Bauchdecke. Wenn der Atem
wieder schneller wird, sodaß Sie keine vier Objekte hintereinander noten
können, dann noten Sie nur ‘heben, senken, sitzen’. Geht der Atem auch
dafür zu schnell, lassen Sie auch ‘sitzen’ weg und noten nur ‘heben’ und
‘senken’. Das Heben und Senken der Bauchdecke ist das primäre
Hauptobjekt, das immer beachtet und genotet werden muß. Falls das Heben
und Senken zu fein, zu undeutlich oder zu schnell wird, dann noten Sie
‘wissen, wissen ,’ bis Heben und Senken wieder klar sind. Dann noten Sie
weiter ‘heben, senken’.
Für das Gehen im dritten Gang wird jeder Schritt in drei Phasen
unterteilt: ‘ den Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß absetzen.’ Beim
Gehen heben Sie den Fuß 10 – 15 cm vom Boden. ‘Vorwärts
bewegen’ bedeutet, daß der Fuß sich etwa 30 cm nach vorn bewegt. Wenn
Sie ‘den Fuß absetzen,’ soll die ganze Sohle den Boden berühren.
F: Erklären Sie bitte den vierten, fünften und sechsten Gang, damit man
weiß, wie sie geübt werden.
A: Die höheren Stufen der Gehmeditation setzen voraus, daß der Übende in
der Meditation ein kontunierliches Energiepotential entwickelt hat. Bis hierher
werden die unteren Stufen gebraucht, um die Konzentration, die sich im
Sitzen entwickelt, durch neue Energie auszugleichen.
Der vierte Gang teilt die Schritte in vier Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den Fuß
aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß absetzen’. Das Wort ‘lösen’ bedeutet,
daß nur die Ferse sich vom Boden abhebt. Der Fußballen bleibt weiter
stehen.
Der fünfte Gang teilt die Schritte in fünf Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den
Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß senken, den Fuß absetzen.’ Die
ersten drei Phasen sind die gleichen wie beim vierten Gang. ‘Senken’ wird
genotet, während man den Fuß bis auf 5 cm über dem Boden absenkt. Dann
notet man die Berührung mit dem Boden: ‘absetzen’.
Der sechste Gang teilt die Schritte in sechs Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den
Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß senken, den Boden berühren, den
Fuß absetzen.’ Wenn man diesen Schritt notet, sind die Phasen ‘lösen,
aufheben, bewegen, senken,’ dieselben wie beim fünften Gang. Die
Bemerkung ‘berühren’ heißt, daß Zehen und Ballen des Fußes den Boden
berühren, aber die Ferse noch oben ist. ‘Absetzen’ bedeutet, daß die Ferse
auf den Boden gesetzt wird.
F: Wird die Betrachtung der stehenden, der gehenden und der sitzenden
Körperhaltung immer so geübt, wie Sie es erklärt haben, oder gibt es noch
andere Unterschiede?
A: Die Meditation im Stehen hat nur eine Phase; man notet ‘stehen,
stehen…’. Man kann aber auch längere Zeit stehend meditieren und dabei
das Gefühl von Wärme und Härte, daß in den Fußsohlen entsteht oder/und
die Bewegung der Bauchdecke als Hauptobjekt betrachten. Die
Gehmeditation wird, wie beschrieben, in sechs Stufen eingeteilt.
Für die Sitzmeditation gibt es noch weitere Tastobjekte oder
Berührungspunkte, die man noten kann. Sie sollten eingesetzt werden, wenn
der Geist träge und schläfrig ist. Wenn Sie die Druckempfindung betrachten,
dann noten sie beide Sitzknochen, zuerst rechts, dann links: ‘Heben, senken,
sitzen, berühren, berühren’. Wenn Trägheit und Müdigkeit dadurch nicht
aufgelöst werden, sollten auch die Knöchel einbezogen werden. Nehmen Sie
zunächst den rechten dazu, und wenn das nicht ausreicht, auch noch den
linken.
Die Gelenkpunkte soll man nur noten, wenn zwischen dem Senken der
Bauchdecke und dem nächsten Heben eine Pause auftritt. Sobald der
nächste Atemzug beginnt, muß man wieder ‘heben, senken, sitzen,’
betrachten. Sollte es aber unmöglich sein, die Bewegung zu noten, weil sie
unklar ist, kann man auch nur ‘sitzen, berühren, sitzen, berühren…’ noten,
wobei die Achtsamkeit abwechselnd auf die verschiedenen Gelenkpunkte
gerichtet wird. Dabei sollen, außer den Sitzknochen, mindestens sechs
Punkte einbezogen werden: die Knöchel, die Knie, die Ellenbogen und
Handgelenke. Wenn die Bewußtheit auf diese Weise viele Wege machen
muß, kann es sein, daß dadurch Schläfrigkeit oder Benommenheit aufgelöst
werden und der Übende neue Energie verspürt.
F: Wenn es Zeit zum Schlafen ist, wie soll man dann den liegenden Körper
betrachten?
A: Bevor man sich hinlegt, soll man zunächst andere Haltungen achtsam
noten, zum Beispiel ‘stehen, stehen.’ Wenn Sie den Körper herunterbeugen,
noten Sie: ‘beugen, beugen,’ Wenn die Sitzknochen das Bett oder den Boden
berühren: ‘berühren, berühren .’ Wenn Sie den Körper lehnen, um sich
hinzulegen: ‘lehnen, lehnen.’ Wenn der Rücken die Unterlage berührt:
‘berühren, berühren ,’ Wenn Sie die Beine ausstrecken: ‘ausstrecken,
ausstrecken.’ Wenn Sie die Knie anziehen: ‘beugen, beugen.’ Wenn Sie sich
bewegen oder herumdrehen: ‘bewegen, bewegen,’ ‘drehen, drehen.’ Wenn
Sie sich in einer Position einrichten: ‘einrichten, einrichten.’ Wenn Sie eine
Hand aufstützen: ‘aufstützen, aufstützen.’ Wenn Sie eine bequeme
Schlafhaltung erreicht haben, noten Sie ‘liegen, liegen ,’ bis Sie einschlafen –
oder falls die Bewegung der Bauchdecke deutlich ist, dann betrachten Sie
achtsam ‘heben, senken…’. In dieser Haltung soll man ganz entspannt
betrachten. Notet man zu angestrengt, kann das verhindern, daß man
einschläft.
In der Anfangsphase der Achtsamkeitsübung muß man unausgesetzt die vier
primären Haltungen Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen betrachten und jeden
Moment achtsam noten. Nur wer nicht geistesabwesend ist und klarbewußt
die gegenwärtig erlebte Geist-Körper-Verbindung von einem Moment zum
anderen betrachtet, wird schon bald die Entwicklung von Klarblickwissen in
sich feststellen.
Dies sind die Richtlinien für Klarblickmeditation in der Anfangsphase, die hier
beschrieben wurden, damit sie in der praktischen Übung angewendet werden
können.
MEDITATIVE PHÄNOMENE (SAVHAVA)
und wie man damit umgeht
F: Wenn man eine Weile meditiert hat, entsteht bisweilen ein kribbelndes
Gefühl im Körper, z. B. im Gesicht, am Rücken, oder in irgendeinem anderen
Körperteil. Manchmal fühlt es sich an, als würde man von Ameisen gebissen
oder von Mücken gestochen, als krabbelten Insekten über den Körper, oder
als würde man mit Nadeln gepiekst, was teilweise durchdringende
Schmerzen verursacht. Es kommt auch vor, daß sich die Körperhaare
sträuben, man bekommt Gänsehaut, oder ein prickelndes Schauern erfaßt für
einen Moment die Schultern oder den Rücken. Manchmal fließen Tränen
ohne erkennbaren Grund, oder man beginnt zu schwitzen; Hitze wallt durch
den Körper, oder Kühle überzieht die Haut. Was sind das für Phänomene?
Wie entstehen sie? Wie soll man sie betrachten? Können sie für die
Meditierenden gefährlich sein?
A: Alle diese Phänomene, die auftauchen, wenn man in die Kontemplation
vertieft ist, werden sabhava genannt. Sie entstehen, wenn der Geist ruhig ist,
ein Zeichen von Konzentration. Wenn Achtsamkeit intensiv geübt wird,
intensiviert sich das Erleben; es entsteht Begeisterung (piti), die zur gleichen
Gruppe von Geisteskräften gehört wie Konzentration. Diese beiden werden
gemeinsam stärker und verursachen eine Vielzahl unterschiedlicher sabhava.
Wenn solche Phänomene auftauchen, muß man sie mit Achtsamkeit noten.
Wenn Sie zum Beispiel einen Juckreiz empfinden, noten Sie ‘jucken, jucken;’
wenn Sie glauben, von Ameisen gezwickt zu werden, noten Sie ‘zwicken,
zwicken;’ wenn Sie einen Stich spüren, noten Sie ‘stechen, stechen;’ fühlt es
sich an, als krabbelten Insekten im Gesicht oder auf dem Körper, noten Sie
‘krabbeln, krabblen.’ Wenn Sie spüren, wie Tränen oder Schweiß über die
Haut rinnen, noten Sie ‘rinnen…’ oder ‘fließen, fließen;’ wenn sich die
Körperhaare sträuben, noten Sie ‘sträuben, sträuben;’ wenn Sie einen
Schauer empfinden, noten Sie ‘schauern, schauern ;’ fühlen Sie sich heiß,
noten Sie ‘heiß, heiß;’ fühlen sie sich kalt, noten Sie ‘kalt, kalt.’ Wählen Sie
passende Begriffe, um die Phänomene zu benennen, die sie erleben. Wenn
Sie nicht wissen, wie Sie sie benennen sollen, noten Sie ‘wissen, wissen.’
Die meisten dieser sabhava sind Anzeichen von Intensität oder Begeisterung
(piti). Wenn sie auftauchen, müssen Sie sie jedesmal noten. Sollten Sie das
Noten vergessen, zeigt das die Verblendung (moha), die sozusagen im
Objekt liegt, die mit dem Objekt auftaucht und den Geist verwirrt. Wenn
solche sabhava häufig auftauchen, nennt man das “Hängen
an sabhava.” Das muß unter Kontrolle gebracht werden, indem Achtsamkeit
(sati) und Energie (viriya) stärker entwickelt werden. Noten Sie die
Phänomene mit der Absicht, sie loszulassen; haften Sie an nichts an.
F: Manchmal fühlt es sich im Sitzen so an, als wären die Hände größer als
gewöhnlich, oder die Füße, der Bauch oder der ganze Körper kommen einem
größer vor. Zeitweise fühlt sich der Körper leichter an, als schwebte er über
dem Boden. Manchmal scheinen auch die Füße, der Kopf oder der Körper
gänzlich zu verschwinden. Wie soll man das betrachten?
A: Seien sie nur achtsam und noten Sie die Phänomene so wie Sie sie
empfinden: fühlen sich Hände, Füsse oder Körper größer an, noten Sie ‘groß,
groß;’ wenn der Körper leicht wird, noten Sie ‘leicht, leicht;’ scheint er zu
schweben, noten Sie ‘schweben, schweben.’ Verschwinden Hände oder
Füße, oder Sie können plötzlich den Körper nicht mehr wahrnehmen, noten
Sie ‘verschwunden, verschwunden’.
F: Manchmal taucht in einer Sitzung die Wahrnehmung von Helligkeit oder
Licht auf; man sieht Bilder, Häuser, Menschen, religiöse Objekte oder
Personen. Manchmal sind diese Objekte sehr klar und hell, manchmal trüb
und schwach; das hängt von der Konzentration ab. Wenn samadhi sehr stark
ist, sieht man die Objekte sehr deutlich. Taucht ein nimitta auf, dann noten
Sie ‘sehen, sehen,’ bis die Lichterscheinung, die Farbe oder das Bild wieder
verschwindet. Danach gehen Sie wieder zurück zur Bauchdecke und noten
weiter ‘heben, senken’. Sollte die geistige Wahnehmung nicht verschwinden,
wenn man sie ein paarmal genotet hat, dann kommt das vom Anhaften
(upadana ), das eine Vorliebe für diese Dinge entwickelt. Die Farben, das
Licht und vielerlei nimitta tauchen dann immer wieder neu auf. Man muß
dann Achtsamkeit entwickeln, indem man die nimitta sofort erkennt und mit
der Absicht notet, sie loszulassen. Üben Sie eine desinteressierte Haltung.
Sollte das Noten aber gar keinen Einfluß auf die Bilder haben, dann kümmern
Sie sich nicht weiter darum. Gehen Sie zur Bauchdecke zurück oder noten
Sie andere Objekte – Empfindungen, Gedanken und so weiter. Die Bilder
werden dann nach und nach von selbst weggehen.
F: Manchmal schwankt der Körper; es kommt einem vor, als ob er sich dreht,
der Körper bebt, zittert, zuckt oder scheint zu rutschen. Manchmal spürt man
einen plötzlichen Stoß. Was ist das? Wie soll man damit umgehen?
A: Die Objekte, sabhava oder Erlebnisse können mitunter sehr heftig sein.
Das liegt an der Persönlichkeit des Übenden – alle Menschen haben ihre
individuelle Geschichte. Manche haben nur wenig mit diesen Phänomenen zu
tun. Andere wieder werden von der Stärke der Erlebnisse überwältigt;
wenn piti und samadhi zusammenwirken, erleben sie mächtige sabhava, die
vom Bewußtsein nicht kontrolliert werden können. Dann äußern sie sich über
den Körper und veranlassen ihn zu schwanken, zu wackeln, zu zittern. Wenn
der Körper schwankt, noten Sie ‘schwanken, schwanken;’ wenn er sich dreht,
noten Sie ‘drehen, drehen;’ rutscht er weg, noten Sie ‘rutschen, rutschen;’
zittert er, noten Sie ‘zittern, zittern;’ zuckt er, noten Sie ‘zucken, zucken.’
Wenn Sie einen Stoß spüren, noten Sie ‘stoßen, stoßen.’
Manche Leute haben sehr intensive Erlebnisse dieser Art. Für sie scheint das
ganze Haus sich zu drehen, das Haus selber schwankt, wackelt oder zittert.
Das kann so weit gehen, daß man sich übergeben muß. Wenn Ihnen so
etwas passiert, machen Sie sich keine Sorgen und haben Sie kein Angst.
Seien sie nur achtsam und noten Sie die Objekte, die Sie erleben, immer
wieder. Wenn Achtsamkeit ein hohes Niveau erreicht, werden sie von selbst
aufhören.
In seltenen Fällen kann es vorkommen, daß die sabhava trotz aller
Bemühung um Achtsamkeit nicht weggehen und auch bei langem,
anhaltendem Noten nicht schwächer werden. Diese Leute müssen zu einem
Klarblicklehrer gehen, der viel Erfahrung im Umgang mit diesen
starken sabhava hat und ihnen hilft, sie in den Griff zu bekommen, indem er
sorgfältig Anweisungen gibt, wie man richtig notet. Die hinderlichen
Phänomene werden dann allmählich schwächer werden, und schließlich
völlig verschwinden.
HINDERNISSE IN DER KLARBLICKÜBUNG
F: Was sind die hauptsächlichen Hindernisse in der Übung von
Klarblickmeditation?
A: Es gibt drei Stufen von Hindernissen in der Klarblickmeditation –
1.Die Hindernisse der Ungeübten
Normalerweise ist unser Geist daran gewöhnt, ständig von weltlichen
Objekten umgeben zu sein, also optischen und akustischen Reizen, Geruchsund Geschmacksempfindungen, körperlichen Reizempfindungen und
geistigen Objekten – Vorstellungen, Gedanken, Emotionen. Wir sind mit
diesen Objekten durch Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist
verbunden. Diese Sinne sind die ganze Zeit in Betrieb und verursachen
Wohlbefinden und Unwohlsein, Vorliebe und Abneigung, Freude und Trauer,
Glück und Kummer. Auf diese Weise entstehen Gier, Haß und Verblendung.
Das erleben wir andauernd jeden Tag. Die Gewöhnung führt zu Anhaften
(upadana) an materiellen Dingen, die sich von Natur aus aber immer
verändern. Das nennt man maya, Illusion; sie lockt uns, täuscht uns und hält
uns trügerisch zum Narren, bis wir anhaften und die wahre Natur unserer
eigenen Geistesverfassung nicht mehr erkennen.
Wenn wir mit der Übung des Dhamma beginnen und die vier Grundlagen der
Achtsamkeit entwickeln, dann lernen wir allmählich die fünf Gruppen des
Anhaftens kennen, die in Wirklichkeit unser eigener Körper und Geist sind.
Wenn wir den Geist kontrollieren und ihn auf das gegenwärtige Objekt
einstellen, das ja immer nur jeweils ein einzelnes Objekt ist, dann sträubt sich
der Geist dagegen und wehrt sich. Solange Achtsamkeit noch schwach ist,
entstehen dauernd Gedanken und der Geist wandert ziellos auf der Suche
nach interessanten Objekten. Immer wieder bleibt er an Vergangenheit und
Zukunft hängen. Wenn der Geist viel wandert, fühlen wir uns irritiert, und das
führt zu Entmutigung und Dumpfheit und noch mehr Gedanken. Manche
Leute glauben sogar, sie hätten nicht genug gutes kamma angesammelt, um
meditieren zu können. Manche schieben es aufs kamma, andere sagen, der
Lehrer wäre nicht gut. Oder sie behaupten gleich, Klarblickmeditation wäre zu
nichts nutze.
In Wirklichkeit ist der Geist des Meditierenden arg bedrängt von den
Hindernissen oder Unreinheiten (nivarana, kilesa). Wenn Achtsamkeit wenig
entwickelt ist, wird der Geist noch nicht wirklich ruhig, weil Konzentration
(samadhi) fehlt. Man hat kein Selbstvertrauen. Viele Zweifel kommen einem
in den Sinn. Das ist der Grund, warum die Übung keine rechten Fortschritte
macht. Manche Leute geben dann den Versuch, zu meditieren, auf und
kehren nach Hause zurück. Als Grund geben sie an, sie hätten zu Hause
Arbeit zu erledigen, oder sie müßten sich um ihre Kinder oder Enkel
kümmern. Oder sie sagen, sie hätten kein geistiges Potential. Manche Leute
gestehen auch bereitwillig ein, daß sie es einfach nicht schaffen, ihre
geistigen Unreinheiten zu bekämpfen, und daß sie es vielleicht später noch
einmal versuchen wollen.
Die hauptsächlichen Hindernisse, die der Meditierende in der Anfangsphase
der Meditation überwinden muß, sind nichts weiter als die fünf geistigen
Hindernisse (nivarana) –
Die fünf geistigen Hindernisse (nivarana) –
1.Sinnesbegierde (kamacchanda). Das Ergötzen, die Freude, der
Genuß von angenehmen Objekten, wie schöne Anblicke, harmonische
Klänge, wohlriechende Düfte, köstliche Geschmäcke, sanfte
Berührungen und gefällige, befriedigende Geistesobjekte.
2.Ärger (byapada). Mißgunst und Böswilligkeit gegenüber anderen.
3.Trägheit und Starre (thina-middha). Dumpfheit und Unbeweglichkeit
des Geistes.
4.Unruhe und Aufregung (uddhacca-kukkucca). Rastloses Denken,
begleitet von innerer Aufregung, Kummer oder Sorge.
5.Zweifel (vicikiccha). Unsicherheit, Skepsis, Entschlußunfähigkeit.
Der Anfänger wird feststellen, daß die fünf Hindernisse den Geist
ununterbrochen stören. Wer da kein Selbstvertrauen hat, dem fehlt das
Vermögen, weiter zu üben, und im allgemeinen werden diese dann die Übung
aufgeben müssen.
Aber diejenigen Übenden, die festentschlossen sind und an die Weisheit
Buddhas glauben, werden die Achtsamkeit einrichten, um das Objekt zu
noten, das gegenwärtig entsteht. Mit anderen Worten, sie werden weiterhin
unabläßig das Heben und Senken der Bauchdecke betrachten, und wenn die
Hindernisse im Geist auftauchen, werden sie dies achtsam bemerken: –
Wenn Verlangen entsteht, dann noten Sie ‘Verlangen, Verlangen;’ wenn Ärger
entsteht, noten Sie ‘Ärger, Ärger;’ wenn Schläfrigkeit entsteht, noten Sie
‘schläfrig, schläfrig;’ wenn ein wandernder Geisteszustand entsteht, noten Sie
‘wandern, wandern.’ Denken entsteht: Noten Sie ‘denken, denken;’ Sorge
entsteht: Noten Sie ‘sorgen, sorgen;’ Zweifel entsteht: Noten Sie ‘unsicher,
unsicher.’
Wenn die Übenden nur immer die geistigen Hemmnisse noten, wann immer
sie entstehen, dann werden sie gute Ergebnisse in der Praxis erzielen. Das
bedeutet, Achtsamkeit wird stärker und stärker werden. Man wird die
Gedanken, die entstehen, schneller erkennen. Dann kommen die Gedanken
allmählich zur Ruhe. Aber bevor es soweit ist, fühlen sich die Übenden oft
deprimiert und ärgern sich häufig. Dieser Ärger wird sich von selbst
erschöpfen, bis man ganz überrascht feststellt, wie sehr man sich verändert
hat. Zuvor gab es Gedanken und Wünsche bezüglich vieler Dinge; aber dann
läßt dieses Denken nach und nach nach. Wenn man besser sehen kann, daß
diese Objekte nicht stabil sind, nicht so bleiben, wie sie sind und sich
pausenlos verändern, dann wird das Noten mit Achtsamkeit eine
kontinuierliche Haltung und die Verblendung wird langsam gelüftet.
2.Die Hindernisse der mittleren Stufe
Sie entstehen, wenn der Meditierende die Übung des Klarblicks fleißig
vorangetrieben hat. Gute Konzentration (samadhi) hat sich nach und nach
aufgebaut. Das führt zu Manifestationen der Konzentration. Verschiedene
natürliche Phänomene (sabhava) von Begeisterung und Ruhe (piti,
passaddhi) tauchen ebenfalls häufiger auf. Einige Meditierende haften an
solchen Phänomenen aufgrund eines Mißverständnisses an; manche
glauben sogar, sie hätten schon eine hohe Stufe in der Meditation erreicht.
Einige gewinnen eine Vorliebe für Bilder, Farben oder Licht (nimitta), weil sie
diese Erscheinungen für ernstzunehmende Dinge halten. Das kann auf lange
Sicht in eine Sackgasse führen.
Ist der Meditierende froh und glücklich mit diesen Objekten, wenn er in
diesem Stadium der Entwicklung ist, so entsteht daraus Anhaften (upadana),
und er wird weiterhin Ausschau halten, was sonst noch alles passiert. Das
nennt man ‘an sabhava hängenbleiben.’ Der klassische Kommentarausdruck
ist “Verderben des Klarblicks” (vipassanupakkilesa). Das bedeutet, diese
Erlebnisse werden dem Klarblick zum Verderben: Die Übung macht keine
weiteren Fortschritte mehr. Man sagt dazu auch “ den falschen Weg gehen,”
denn es ist nicht die Übung des Mittleren Weges, welcher der einzige zur
Überwindung des Leidens ist, der Weg des Nicht-Anhaftens an den fünf
Bündeln der Geist-Körperlichkeit (nama-rupa), der Weg geistiger Reinheit,
frei von den Eintrübungen weltlicher Voreingenommenheit (asavakilesa),
dieser Maschinerie des Kummers. Es ist der Weg zum restlosen Verlöschen
allen Leidens!
Jeder Übende wird den Hindernissen dieser zweiten Stufe mehr oder weniger
intensiv begegnen müssen. Man braucht dann einen Klarblicklehrer, der
bereit ist, einem zu helfen, damit man einsieht, daß diese Phänomene, die da
vor der Achtsamkeit auftauchen, nichts weiter als Manifestationen des Geistund-Körper-Komplexes (nama-rupa) sind, sie sind nichts Besonderes. Das
Ziel der Klarblickübung besteht darin, den Geist auf ein Objekt zu richten, das
höher steht als Geist-und-Körper, nämlich das Verlöschen (nibbana) dieser
beiden. Wenn wir damit anfangen, uns an diese Geist-und-Körper-Objekte zu
hängen, dann werden wir Nibbana nie erreichen. Also müssen wir die
Objekte, die zu Geist-und-Körper gehören allesamt aufgeben. Solange man
froh und glücklich über diese Geist-Körper-Objekte ist, wird man sich
außerstande sehen, die Hindernisse der zweiten Stufe zu überwinden. Der
Meditierende mit rechtem Verständis anerkennt die entstehenden Objekte,
indem er sie notet, und dann läßt er sie los und haftet an nichts.
Die überwiegende Mehrzahl der Übenden wird keine großen Probleme darin
finden, die Hindernisse der zweiten Stufe zu meistern. Mit einem qualifizierten
Lehrer und intensiver Übung lernen sie eine persönliche Auswahl
von sabhava kennen und entwickeln dann die empfohlene Haltung ruhiger,
desinteressierter Aufmerksamkeit. Dann werden die Phänomene in Häufigkeit
und Intensität stark reduziert.
3.Hindernisse der entwickelten Stufe
Die dritte Stufe von Hindernissen erreicht der Übende erst in der
fortgeschrittenen Entwicklung des Klarblicks. Da arbeitet man daran,
unerschütterlichen Gleichmut zu üben, um ein stabiles geistiges Gefüge für
Vertiefungskonzentration zu entwickeln. Das ist keine reine Willenssache,
denn wir sind organische Wesen, deren Lebenserfahrung natürlichen
Schwankungen unterworfen ist.
Das gilt auch für die Klarblickübung. Selbst wenn ein Meditierender sich in
gleichförmiger Weise beständig bemüht, tauchen nach drei bis vier Stunden
intensiver Meditation wieder mehr Gedanken auf. Man erlebt Vorfreude,
wünscht sich, das Ziel zu erreichen, oder man malt sich aus, welche
Schwierigkeiten noch vor einem liegen und betrachtet die eigene Entwicklung
kritisch. Solche Objekte hängen eng mit unserem Selbstverständnis als
handelnde Personen zusammen, und die Tendenz, sich zu identifizieren, ist
so stark, daß man die Objekte nicht gleichmütig notet. Das führt immer
wieder zu einem Verlust an Konzentration. Bemüht man sich daraufhin,
wieder ruhiger zu werden, verursacht man Geistesaktivitäten, die zu Sorgen,
Anspannung, Aufregung, und Sprunghaftigkeit führen.
In der fortgeschrittenen Stufe der Meditation arbeitet man an der
Überwindung von diffusen Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen.
Man lernt da, die subjektivsten Gedanken und Erlebnisse nur als geistige
Objekte zu betrachten und gleichmütig zur Kenntnis zu nehmen. Dieser
Gleichmut ist hier kein Objekt für Identifikation, so wie im Zusammenhang mit
der zweiten Stufe von Hindernissen. Hier führt die Besinnung auf Gleichmut
zur direkten Wahrnehmung der drei Merkmale an diesen geistigen Objekten.
Die Identifikation ist dadurch aufgehoben, und die Konzentration wird sofort
wieder aufbauend. Wenn die Identifikation wegfällt, erlebt man geistige
Räume, die losgelöst sind von jeder Aneignung als persönliches Erlebnis.
Manchmal werden Konzentration und innere Ruhe sehr rasch sehr tief. Keine
Gedanken sind in Sicht und man erlebt einen völlig veränderten
Bewußtseinszustand. Die Konzentration ist reduziert auf den nächsten
Bereich, der dafür umso intensiver wahrgenommen wird. Dann empfindet
man den Körper nur als eine Sphäre von Achtsamkeit, die durchquert wird
von Gefühlen und Emotionen, als ob es Sternschnuppen wären. Oder man
hat das Gefühl, sich körperlich in einem engen Behälter zu befinden, auch
das Bewußtsein scheint eingezwängt. Man verliert zeitweise jede Idee von
einem Selbst, wird sich dessen aber nicht bewußt, solange es dauert. Nach
einer Weile hört diese Art der Geistestätigkeit auf, und zurückblickend stellt
man fest, daß Achtsamkeit äußerst aktiv gewesen ist, das Noten ging
unabläßig parallel mit dem gegenwärtigen Objekt, aber die Identifikation mit
dem Noten fehlte. Solche Erfahrungen sind typisch für die letzte Phase des
Klarblickfortschritts, wenn der Meditierende die drei Merkmale äußerst
deutlich wahrnimmt, aber die Objekte sind manchmal nicht klar. Man soll hier
besonders aufmerksam beobachten, wie die Geisteszustände und die
Objekte sich von Moment zu Moment verändern. Wenn man so immer den
ersten Eindruck notet, wird die Betrachtung sehr klar und ausgeglichen.
Manchmal gibt es Zeiten, wo das geistige Benennen ohne Anstrengung sehr
rasch wird, viel schneller, als man alles aussprechen könnte. Dann sollte man
die Achtsamkeit so einrichten, daß die Hauptobjekte eingereiht sind in die
Vielzahl von Eindrücken, die die Sinne produzieren. Tauchen in diesem
Prozeß wieder mehr Gedanken auf und man wird häufiger unsicher, ob und
wie man bestimmte Objekte noten soll, dann wird es Zeit, die Achtsamkeit
bewußt für eine Weile auf die geläufigen vier Hauptobjekte zu beschränken,
um den Zuwachs an Achtsamkeit wieder in Konzentration umzusetzen. So
ergänzen sich Achtsamkeit und Konzentration bei der Arbeit während der
Vertiefungsphase der Klarblickmeditation.
Die Entwicklung von Konzentration kann man mit der Aufgabe vergleichen,
einen schwerbeladenen Lastwagen auf einen steilen Berg hinaufzufahren.
Um den Gipfel erreichen zu können, braucht der Lastwagen einen starken
Motor.
Zu Beginn der Übung ist die Konzentration noch ungeübte momentane
Konzentration (khanika samadhi); wenn man das Heben/Senken notet, wird
man schnell von diesem Objekt abgelenkt. Wird die Konzentration stärker,
dann wandelt sich ihre Funktion zu angrenzender Sammlung (upacara
samadhi) und sie kann länger bei dem Objekt bleiben. Aber man muß ja noch
die Stufe erreichen, wo die angrenzende Sammlung in Vertiefung (appana
samadhi) übergeht, die noch stärker und tiefer ist. Diese volle Konzentration
ist Voraussetzung für den ‘edlen Pfad’. Wer dies verwirklichen möchte, darf
sich nicht auf ein absehbares Ende einstellen, sonst erreicht er nichts. Nur
wer mit ganzer Kraft unablässig weiterübt, ohne seinen Fortschritt zu
berurteilen und abzuschätzen – nach dem Motto: “Wer neunzig Prozent
geschafft hat, vor dem liegt noch die Hälfte” – der bringt die Konzentration
auch zur Vollendung.
Buddha hat die Menschen allgemein in vier Klassen von Individuen eingeteilt
und verglichen mit vier Entwicklungsstadien von Lotusblumen: solche, die
sich in voller Blüte über dem Wasser erheben; solche, deren Knospen über
dem Wasserspiegel und kurz vor dem Aufbrechen sind; solche, deren
Knospen kurz davor sind, aus dem Wasser zu kommen; und solche, die nicht
aus dem Wasser kommen werden. Zu den vier Arten von Indviduen erklärte
Buddha:
die Plötzlich Erleuchteten (ugghatitannu) sind so wie der Lotus in
voller Blüte. In Buddhas Zeit lebten viele dieser Menschen. Sie hatten in
der Vergangenheit schon lange ein religiöses Leben geführt und ihren
Geist in Konzentration geübt, bis hin zur Beherrschung psychischer
Wunderkräfte. Als sie aufgrund ihres guten kamma dem Buddha
persönlich begegneten, konnten sie die Lehre sofort verstehen und in
praktische Geistesaktivität umsetzen, ohne noch durch einen
Lernprozeß zu gehen. Sie wurden durch wenige Worte erleuchtet.
die Schnellmerker (vipacitannu) sind so wie die Lotusknospen über
dem Wasser. Auch solche Menschen gab es viel in Buddhas Zeit.
Aufgrund ihres hohen moralischen Status und meditativer Entwicklung
in früheren Leben konnten auch sie die Buddhalehre durch
aufmerksames Zuhören in sich verwirklichen, wenn sie vom Buddha
eine detaillierte Erklärung bekamen.
die Lehrlinge (neyya) sind wie Lotusknospen, die sich gerade
bemühen, aus dem Wasser zu kommen. In der heutigen Zeit sind es
hauptsächlich solche Individuen, die an Meditation interessiert sind.
Das bedeutet, daß man sich in unserer Zeit mächtig anstrengen muß,
um sich Theorie und Praxis der Buddhalehre zu eigen zu machen. Die
Verwirklichung des Ziels erfordert ein starkes Potential an Gierlosigkeit,
Haßlosigkeit und Unverblendung, das von diesen Menschen im
Wesentlichen hier in diesem Leben durch intensive Meditation erworben
wird. Alle Anstrengungen in der Übung des Klarblicks tragen dazu bei,
sie dem Ziel näher zu bringen. Selbst wenn sie es in diesem Leben
noch nicht erreichen, entwickeln sie durch die Übung die heilsamen
Wurzeln und stellen die Weichen für die Verwirklichung des Ziels in
einer kommenden Wiedergeburt. So können wir uns selbst
vergewissern, daß wir nicht zu der vierten Art von Personen gehören.
Die Unerreichbaren (padaparama) sind wie die Lotusse, die zu
schwach sind, aus dem Wasser zu kommen. Diese Leute wollen von
der echten Buddhalehre nichts wissen. Wenn sie davon hören, regen
sie sich auf oder protestieren; es ist ihnen so unangenehm, daß sie
nicht zuhören wollen. Solche Menschen findet man auch unter
buddhistischen Schriftgelehrten, die sich nur an Worten und
Definitionen festklammern und nicht begreifen, daß die wirkliche Lehre
Buddhas in den Geistesaktivitäten zu suchen ist, die der Übende durch
praktische Klarblickmeditation entwickelt, und die rechtes Verständnis
erzeugen. Denn wenn man sie nicht in sich verwirklicht und erlebt, dann
kennt man die Buddhalehre gar nicht wirklich.
AUSGLEICH DER FÄHIGKEITEN
Wenn der Meditierende allmählich die Achtsamkeit im Bemerken von Geist
und Körper eingerichtet hat, dann gewinnen auch die fünf geistigen
Fähigkeiten (indriya) mehr und mehr an Einfluß.
Die fünf geistigen Fähigkeiten:
1.Vertrauen (saddha) – und zwar in die Weisheit Buddhas und in die
eigene Kraft.
2.Energie (viriya) – Anstrengung, eifrige Bemühung:
bei der Vorbeugung vor den geistigen Hindernissen;
bei der Auflösung von entstandenen Hindernissen;
bei der Entwicklung von Achtsamkeit, die das gegenwärtige Objekt
betrachtet.
Bei der Bewahrung und Stärkung von Achtsamkeit (sati),
Konzentration (samadhi) und Weisheit (panna).
3.Achtsamkeit (sati) – sich beständig und dauerhaft in der Betrachtung
des gegenwärtigen Augenblicks der Objekte bewußt zu sein, die zu den
vier Grundlagen der Achtsamkeit gehören, nämlich Körper, Gefühl,
Geisteszustände und Geistesdinge.
4.Konzentration (samadhi) – Den Geist auf das Objekt zu richten, das
gegenübersteht, sich entgegenstellt.
5.Weisheit (panna) – Gründliches Wissen; Verständnis, was
Gestaltungen oder Gebilde (sankhara) betrifft.
Um herauszufinden, ob diese fünf Geisteskräfte (cetasika) schon die Stärke
von geistigen Fähigkeiten (indriya) haben, muß man prüfen, ob die
Hindernisse der zweiten Stufe schon überwunden sind. Wenn sie immer noch
in der Meditation auftauchen, dann hat man noch nicht die Stufe
der indriya erreicht. Erst wenn die Hindernisse der zweiten Stufe völlig
überwunden sind, kann man von diesen Geisteskräften in der Funktion
von indriya(kontrollierender Kraft) sprechen.
Zu Beginn der Übung kann, zum Beispiel, die Achtsamkeit noch nicht die
unmittelbare Gegenwart noten. Aber im Laufe der Übung wird sie schneller,
bis sie das Entstehen und Vergehen von Geist und Körper (nama-rupa)
anhand gegenwärtiger Sinneserlebnisse beobachten kann, und gewinnt so
den Anschluß an die Wirklichkeit. Klarblick und Weisheit (nana, panna)
steigen von da an von Stufe zu Stufe bis zum höchsten Gipfel des Klarblicks
hinauf.
Das Erleuchtungserlebnis, also den überweltlichen edlen Pfad (lokuttara
magga) und seine Frucht (phala) wirklich zu durchlaufen, ist nicht so einfach,
wie manche Leute es gerne hinstellen möchten – diejenigen nämlich, die nur
glauben, sie hätten bereits transzendentes Wissen. In den allermeisten Fällen
handelt es sich da um falsches Wissen, und das führt nur zu Angeberei und
falschem Stolz und lockt andere auf die falsche Fährte.
F: Manche Leute sagen, wenn die fünf geistigen Fähigkeiten (indriya) nicht im
Gleichgewicht sind, macht man in der Übung keine rechten Fortschritte. Wie
kommt das?
A: Wenn man die vier Grundlagen der Achtsamkeit übt, werden die
Geisteskräfte, die zu den Fähigkeiten zählen – Vertrauen, Energie,
Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit – immer gemeinsam aktiv, weil sie
Bestandteile des Achtfachen Pfades sind. Sie sind aber nicht immer in einem
ausgeglichenen Verhältnis, wenn sie auftauchen. Diese fünf Fähigkeiten
setzen sich zusammen aus zwei Paaren miteinander kommunizierender
Kräfte: Vertrauen und Weisheit sind das eine Paar, Energie und
Konzentration das andere. Achtsamkeit, die verbleibende, fünfte Kraft, hat die
Funktion, die Arbeit dieser beiden Paare zu beaufsichtigen, zu regulieren und
ihre Qualitäten zu harmonisieren.
Man kann das mit einem Vierspänner vergleichen, wo der Kutscher die
Aufgabe hat, die Pferde zu dirigieren, sodaß sie alle gleichmäßig laufen.
Wenn eines zu schnell wird, muß er die Zügel benutzen, um dieses Pferd mit
den anderen zu koordinieren. Wenn eines an Tempo verliert, werden die
Zügel schlaffer. Dann nimmt der Kutscher die Peitsche, um dieses Pferd auf
die gleiche Leistung wie die anderen zu bringen. Der Kutscher muß die
Pferde unabläßig beobachten und dirigieren, damit sie in einem
gleichmäßigen Tempo gemeinsam den Wagen ziehen. Wenn seine Kontrolle
nicht gut ist, behindern sich die Pferde gegenseitig und der Wagen bleibt
nicht in der Spur. Kommt er nicht ganz vom Weg ab, so wird der Wagen doch
langsam und ist schwer zu steuern.
Ähnlich verhält es sich mit den fünf geistigen Fähigkeiten: Wenn sie nicht im
Gleichgewicht sind, muß Achtsamkeit hart arbeiten, um sie durch Noten
miteinander zu harmonisieren und auszugleichen –
Eine Ungleichheit von Vertrauen (saddha) und Weisheit (panna) macht sich
auf folgende Weise bemerkbar: Wenn der Geist ruhig wird in der Übung,
können Manifestationen von Konzentration (samadhi) im Geist auftauchen.
Übende, die nicht mit Achtsamkeit noten, schauen mit Zufriedenheit auf diese
Objekte – oder sie noten zwar, aber nicht mit dem Wunsch, sie vorübergehen
zu lassen, nicht an den Objekten anzuhaften. Je mehr man sie notet, desto
klarer und deutlicher werden die Bilder; das Noten kann sie dann nicht zum
Verschwinden bringen. In einem solchen Fall ist Vertrauen stärker als
Weisheit. An irgendwelchen Objekten anzuhaften oder Dinge für real zu
halten, die wirklich irreal sind, dazu sagt man: Vertrauen überwiegt die
Weisheit.
Wenn der Übende von seinem Klarblicklehrer den Rat erhält, daß jedwedes
Objekt, das im Geist auftaucht, sofort genotet werden muß, daß er an diesen
Objekten keinen Gefallen finden soll, und der Übende versteht das, dann wird
er einfach die Achtsamkeit anwenden und diese nimitta – Licht, Farben,
Bilder – als ‘sehen, sehen’ noten, bis sie verschwunden sind. Und wenn sie
erneut auftauchen, kann man das Entstehen und Vergehen dieser Objekte
erkennen. So wird Weisheit ins Gleichgewicht mit Vertrauen gebracht.
Bei manchen Übenden liegt der Fall genau umgekehrt: Bei ihnen überwiegt
Weisheit das Vertrauen, weil sie viel studiert haben und viel wissen. Sie
haben Vorlesungen von Fachleuten gehört oder auf eigene Faust studiert.
Wenn sie anfangen zu meditieren, dann erleben sie schon mal das eine oder
andere Objekt oder sabhava. Und dann müssen sie immer denken und
überlegen: “Das ist ein sabhava Phänomen und heißt so und so.”
Wenn sie immer denken und überlegen, wird ihr Geist noch unruhiger. Das
geht bei einigen soweit, daß sie nicht mehr schlafen können. Dadurch wird
man körperlich erschöpft und nervlich überbelastet. Dieses intensive
Nachdenken über die Wirklichkeit ist ja nur Verstandesweisheit
(cintamayapanna) – Weisheit, die durch Denken entsteht, wenn der Verstand
versucht, eine Vorstellung der Wirklichkeit auf dem Gebiet des Denkens zu
bilden.
Bei manchen Leuten wird dieses selbe Übergewicht der Weisheit über
Vertrauen von Selbstüberschätzung oder Einbildung (mana) verursacht. Sie
denken, sie wären was Besonderes; schließlich werden sie zu Leuten, die
niemandem mehr glauben, nicht einmal dem eigenen Klarblicklehrer, und so
kommt es, daß Weisheit das Vertrauen überwiegt.
Die Methode für diese Meditierenden besteht darin, daß sie das Denken oft
noten müssen: ‘denken, denken ’. Wenn sie überzeugt sind, richtig zu
denken, sollen sie ‘richtig denken, richtig denken’ noten, bis das unruhige,
aufgeregte Denken allmählich verebbt. In dieser Phase muß der
Klarblicklehrer den Übenden ermahnen und trösten, und darauf hinweisen,
daß diese sabhava, oder was immer, nur Manifestationen von Geist-undKörper sind, und daß sie bloß in der Anfangsphase der Meditation
auftauchen. Man soll sich gar nicht weiter damit befassen. Der Lehrer sollte
dazu Beispiele wie dieses geben: –
Ein Mann ist auf der Suche nach einem lupenreinen Diamanten. Er weiß, daß
der Diamant auf einem Berggipfel ist. Als er den Fuß des Berges erreicht,
findet er da im Schatten glitzernde Steine in allen Farben. Er hält sie für echte
Diamanten, ist ganz gebannt und entzückt und beginnt, sie einzusammeln.
Der echte Diamant wird ihm entgehen, wenn er so weitermacht. Schuld daran
ist sein eigenes Mißverständnis.
So richtet auch der Meditierende seinen Geist auf ein hohes
Ziel, Nibbana, aber ihm begegnen nur Geist-und-Körper. Dazu kommt
falsches Verständnis, und dann haftet er am eigenen Denken an. Wenn der
Lehrer ihm erklärt, daß dieser Geist-Körper-Komplex vergänglich,
bedrückend und kein Selbst ist, daß nicht einmal die eigenen Gedanken
dauerhaft sind, dann muß er die Achtsamkeit anwenden und nur dieses
gegenwärtige Objekt noten: ‘denken, denken’. Wer in der Meditation denkt,
meditiert nicht, sondern denkt. Wer aber mit Achtsamkeit das gegenwärtige
Objekt notet, der übt Klarblickmeditation. Wenn der Übende die Achtsamkeit
anwendet und das Denken aufhört, dann ist Weisheit im Gleichgewicht mit
Vertrauen.
Das zweite Paar von Fähigkeiten, besteht aus Energie (viriya) und
Konzentration (samadhi), ist während des gesamten Übungsverlaufs der
Motor der Entwicklung. Sind diese Kräfte nicht im Gleichgewicht, dann
stagniert der Fortschritt. Wenn Energie die Konzentration überwiegt, fängt der
Übende an, viel unsinniges Zeug zu denken und erwägt irrlichternd
Vergangenes und Zukünftiges. Oder er denkt erwartungsvoll an die
Ergebnisse, auf die er hofft, kann kaum erwarten, daß etwas passiert, und
möchte dieses oder jenes Phänomen erleben. Ein Geist, der
solche sabhava produziert, ist kein ruhiger Geist; es mangelt an
Konzentration. Oder anders gesagt, Energie überwiegt die Konzentration.
Die Methode für den Ausgleich der Fähigkeiten besteht darin, die
Konzentration zu vermehren. Man muß die Methode zur Vertiefung der
Konzentration gewissenhaft anwenden. Konzentration wird intensiviert, indem
man während der Gehmeditation sehr langsam geht. Von den sechs Stufen
der Gehmeditation werden der vierte, fünfte und sechste Gang eingesetzt,
um die Konzentration zu vermehren. Dadurch wird der Geist beruhigt und
bleibt stärker mit dem Hauptobjekt verbunden. Man soll sehr langsam gehen
und die einzelnen Phasen der Schritte genau mit Achtsamkeit verfolgen, vom
‘aufheben’ der Ferse bis zum ‘absetzen’ des Fußes. Momentane
Konzentration, die von Moment zu Moment neu entsteht, wird dann kräftiger
werden und länger anhalten. Obwohl das Gehen normalerweise die Energie
vermehrt, kann man doch so gehen, daß die Konzentration ansteigt bis
sie gleichauf mit der Energie ist.
Wenn es in der Sitzübung an Konzentration mangelt, kann das verschiedene
Gründe haben. Nehmen wir den Fall an, daß der Übende rastlos denkt und
sinnt. Er kann das gegenwärtige Objekt nicht noten, weil es zu unklar ist.
Starke Schmerzen in Knien, Beinen, Hüfte, Schultern oder Rücken
zermürben ihn. Er ist verkrampft und der Geist fängt an zu irrlichtern. Die
Eintrübungen (kilesa) stören ihn häufig. Um nun die Konzentration zu
verbessern, muß man zuerst mit Nachdruck auf das Hauptobjekt achten
– ‘heben/senken’ – und sicherstellen, daß es sorgfältig genotet wird. Dreißig
Minuten lang soll man die Achtsamkeit an das Hauptobjekt binden und beim
Noten genau aufpassen. Man soll sich dabei entspannen, nicht durch Zwang
verkrampfen. Wenn ein Gedanke auftaucht, muß er sofort genotet werden.
Man muß den Gedanken als Hinderniss erkennen, das den Geist nicht zur
Ruhe kommen läßt. Wenn der Geist ruhiger wird, werden die Objekte klarer
und das Noten leichter. Dann ist die Betrachtung wieder in der Gegenwart.
Wenn der Geist in der Übung ruhiger wird, dann werden auch die Schmerzen
weniger. Gewinnt die Konzentration an Kraft, wächst die innere Ruhe
(passaddhi) und Konzentration (samadhi) ist im Gleichgewicht mit Energie
(viriya).
Wenn Konzentration stärker ist als Energie, dann wird dieser ruhige Geist an
Intensität verlieren und allmählich träge zu schweben beginnen. Achtsamkeit
wird schwächer, man wird vergeßlich und kann nicht mehr das gegenwärtige
Objekt noten. Allmählich verändert sich dann der Geist von bloßer Trägheit zu
Benommenheit und geistiger Starre. Da kann es bei der Gehübung sogar
vorkommen, daß man halb schläft. Dann beginnt man, während des Gehens
zu torkeln, zu stolpern, oder sogar hintüber zu kippen. Solche Anzeichen
treten auf, wenn Konzentration die Energie überwiegt.
Um die Fähigkeiten auszugleichen muß man die Energie vermehren, indem
man mehr geht als sitzt. Wenn man, zum Beispiel, für gewöhnlich dreißig
Minuten sitzt und dreißig Minuten geht, sollte man die Gehmeditation jetzt
ausdehnen auf vierzig oder fünfzig Minuten. Manche können ruhig eine
Stunde gehen und dreißig Minuten sitzen. Beim Gehen soll man die niederen
Schritteinteilungen nehmen, den ersten, zweiten und dritten Gang. Dazu
sollte man etwas schneller gehen als gewöhnlich. Um den Körper wieder zu
aktivieren, und so dem Geist Energie zuzuführen, sollten einige, die schon
die detailliertere Gehmeditation vom vierten Gang aufwärts übten, wieder zu
den früheren Schritten zurückgehen. Je mehr man im ersten Gang gehen
kann, desto besser.
Wenn in der Sitzmeditation ein Übergewicht von Konzentration entsteht, muß
man die Methode genau auf die Situation abstimmen. Wird der Geist
allmählich träge und treibt selbstvergessen dahin, dann soll man auf jeden
Fall vier Hauptobjekte noten: ‘heben, senken, sitzen, berühren.’ Oder je nach
Bedarf mehrere Gelenkpunkte einsetzen. Vom rechten Sitzknochen geht man
zum linken; wenn nötig, fügt man noch einen Knöchel hinzu und notet drei
Punkte; und dann nimmt man den anderen Knöchel auch noch dazu. Das
hängt aber von der natürlichen Geschwindigkeit des Atems
ab. Heben/senken und diese Berührungspunkte sollten kontinuierlich in
gleichbleibender Abfolge mit Achtsamkeit angesteuert werden. Diese Art zu
noten kann den Geist wieder wachsam und beweglich machen. Allmählich
wird Energie in der Sitzhaltung zunehmen, bis sie gleich stark ist wie
Konzentration. Benommenheit und Trägheit werden sich allmählich bessern
und schließlich ganz auflösen.
Was nun die Achtsamkeit als geistige Fähigkeit betrifft: je mehr man davon
hat, je besser. Denn Achtsamkeit (sati) ist die Fähigkeit (indriya), die die
anderen im Schlepptau hat. Achtsamkeit ist das Regulativ, das die
Fähigkeiten der beiden Paare miteinander ausgleicht, wenn man Geist-undKörper in der Gegenwart notet. Ist Achtsamkeit so stark entwickelt, daß sie
jeden Moment des Erlebens automatisch mit dem Bewußtsein auftaucht,
dann erlebt der Meditierende Achtsamkeit als vollentfaltete Fähigkeit, die das
unmittelbare Entstehen und Vergehen eines jeden Objekts mit eindringlicher
Klarheit realisiert.
Wenn Vertrauen die Weisheit überwiegt und der Geist anfängt, nach
verschiedenen nimitta und Bildern zu greifen, die von Konzentration
herrühren, dann notet Achtsamkeit diese Objekte im ersten Moment, ohne
abzuwarten: ‘sehen, sehen,’ und die Objekte verlöschen sofort. Tauchen sie
noch einmal auf, werden sie wieder genotet und verlöschen wieder.
So gleicht Achtsamkeit Vertrauen mit Weisheit aus.
Wenn umgekehrt die Weisheit das Vertrauen überwiegt, dann denkt man
über die Lehre nach, erwägt und beurteilt sabhava oder sonderbare
Phänomene. Danach verfängt man sich in den Gedanken und haftet daran.
Das führt wieder zu Aufregung und man denkt noch mehr. In diesem Fall muß
die Achtsamkeit besonders rigoros das Denken noten, bis sie so schnell wird
wie das Denken. Dann wird das Denken aufhören. Weisheit (panna) und
Vertrauen (saddha) sind wieder im Ausgleich und werden durch die Übersicht
von Achtsamkeit im Gleichgewicht gehalten.
Mit dem Paar Energie (viriya) und Konzentration (samadhi) ist es genau
dasselbe: Wenn Energie die Konzentration übertrifft und der Geist wird von
Gedanken und Reflektionen überschwemmt, dann muß Achtsamkeit fleißig
noten, bis das Denken aufhört. Das wird die Kraft der Energie bändigen und
an die Konzentration anpassen.
Wenn andererseits Konzentration übermäßig wird, gibt es Probleme mit
Schläfrigkeit und Niedergeschlagenheit. Dann muß Achtsamkeit beim Noten
hart am Ball bleiben, um die Entstehung der aufeinanderfolgenden
Schläfrigkeitsmomente genau zu erkennen, dann ist die Schläfrigkeit plötzlich
wie weggeblasen. Das zeigt den Ausgleichspunkt von Energie und
Konzentration an und ist sehr günstig für die Übung.
Beim Ausgleichen der fünf Fähigkeiten muß der Übende einfallsreich sein,
was die Auswahl der Methoden angeht, die man benutzt, um ein akutes
Problem in der Meditation zu lösen. Und dann muß man prüfen, ob die
veränderte Übung zum richtigen Ergebnis führt, und ob sie sich mit der
Persönlichkeit verträgt. Da nicht alle Leute denselben Geist haben,
unterscheiden sich auch ihre Veranlagungen und ihr Charakter. Deshalb soll
man immer nach dem Motto verfahren: Sich selber eine Zuflucht sein! Es
sollte jeder Experte für seine eigene Erfahrung werden.
Das bedeutet aber auch Verantwortung. Um die eigene Situation korrekt
einschätzen zu können, brauchen wir die Achtsamkeit. Deshalb muß jeder
Achtsamkeit entwickeln, damit sie allmählich kräftiger wird. Jeder Zuwachs
an Achtsamkeit wird ungeschmälert in Fortschritt verwandelt. Wenn
Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit nicht
ausgeglichen sind, wenn die eine Seite die andere überwiegt, wenn sie sich
gegenseitig behindern, dann ergibt sich ein geistiges Ungleichgewicht. Aber
gut entwickelte Achtsamkeit hat die Fähigkeit, die Kräfte in beiden Paaren zu
kontrollieren und wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen.
Die widerstreitenden Fähigkeiten werden sich vereinen, die ungleich
gewichteten werden ausgeglichen, bis die fünf Fähigkeiten sich zu einer Kraft
bündeln. Dann wird man ein Experte in der Betrachtung des gegenwärtigen
Objekts.
Und dadurch wird jene Weisheit geweckt, die die fünf Anhäufungen als
vergänglich, bedrückend und kein Selbst durchschaut.
Materielle und geistige Phänomene entstehen und vergehen auf natürliche
Weise. Die Geist-und-Körper-Objekte schreien uns die Wahrheit ins Gesicht.
Es gibt wahrhaftig nichts, woran sich lohnte anzuhaften. Man muß unbeirrt
weiterüben, entschlossen, die Zuflucht zu erreichen, wo alles Leid
verlöscht, Nibbana.
JENSEITS VON EINTRÜBUNG UND HANDELN
Eintrübung, Handeln und Ergebnis
F: Wieviele Arten von Eintrübung (kilesa) gibt es? Wie kommt es dazu, daß
die Eintrübungen im Geist entstehen?
A: Eintrübungen (kilesa) fallen in drei Kategorien1.Grobe Eintrübungen. Sie machen sich durch Körper und Sprache
bemerkbar. Die Lebensspanne eines Wesens vernichten; stehlen;
sexuelles Fehlverhalten; lügen, verleumden, beschimpfen und
schwatzhaft sein; und alkoholische Getränke, die unachtsam machen,
zu sich nehmen: das sind Beispiele für grobe Eintrübungen. Sich
solcher Handlungen zu enthalten, ist Sittlichkeit (sila) und eine
Voraussetzung für die erfolgreiche Klarblickübung.
2.Mittlere Eintrübungen. Das sind die fünf geistigen Hindernisse,
Eintrübungen, die sich im Geist bemerkbar machen. Sie tyrannisieren
den Geist, sodaß er Verlangen produziert, Unzufriedenheit, Ärger,
Verzagtheit, Schläfrigkeit, Aufregung, Sorge, Gereiztheit,
Unentschlossenheit, Skepsis und Verwirrung. Wenn die mittleren
Eintrübungen im Geist auftauchen, machen sie den Geist zunehmend
heißer, stickiger, ungeschickter, bedrängter, besorgter, gereizter,
ängstlicher, unsicherer und skeptischer. Achtsamkeit muß die mittleren
Eintrübungen sofort noten, wenn sie im Geist entstehen, denn wenn sie
nicht kontrolliert werden, dann können sie die groben Eintrübungen
auslösen.
3.Feine Eintrübungen. Man nennt sie auch latente Eintrübungen
(anusaya). Es ist die ursprüngliche Natur der fünf Anhäufungen, die da
im Geist schlummert. Normalerweise verhalten diese Eintrübungen sich
unauffällig, sie machen sich in keiner Weise bemerkbar. Aber wenn ein
hinreichender Grund vorliegt, dann entstehen sie mit Notwendigkeit.
Wenn Sinnesobjekte in Berührung mit den Sinnesorganen und dem
Geist kommen, dann treten die feinen Eintrübungen aus ihrem latenten
Zustand zunächst auf die Ebene, wo sie sich in Rede und Tat Bahn
brechen.
Den Unterschied zwischen diesen drei Arten von Eintrübungen kann man
verdeutlichen mit einem Streichholz. Die mittleren Eintrübungen sind wie das
Feuer, das im Streichholzkopf schlummert. Die mittleren Eintrübungen sind
schon aktiv, wie wenn man mit dem Streichholz über die Streichfläche
streicht; dann wird das Feuer sichtbar. Grobe Eintrübungen handeln in die
Umwelt hinein: Man nimmt das Streichholz und zündet damit brennbares
Material an. Das Objekt wird vom Feuer verzehrt und kann einen großen
Brand auslösen.
F: In welchem Zusammenhang stehen die Eintrübungen, die Handlungen und
deren Ergebnisse miteinander?
A: Die Menschen werden in die Welt geboren mit unterschiedlichen
Existenzen, sie sind gut oder schlecht, dumm oder weise, glücklich, reich,
schön, oder unglücklich, arm und häßlich. Das sind Ergebnisse
(vipaka)früherer Taten (kamma). Im Kreislauf abhängiger Entstehung ist dies
die Runde der Ergebnisse. Es sind die Ergebnisse unserer eigenen Taten in
früheren und in diesem Leben. Körperlich handeln heißt in Pali kayakamma,
sprechen heißt vacikamma. Diese beiden Arten von kamma sind die Aktivität
der groben Eintrübungen (vitikkama kilesa). Töten, stehlen, lügen, sexuelles
Fehlverhalten und Alkoholkonsum sind Beispiele dafür. Die groben
Eintrübungen werden verursacht von der dritten Art des kamma: der
Geistestätigkeit (manokamma). Dieses geistige kamma ist die Aktivität der
mittleren Eintrübungen (pariyutthana kilesa). Wenn wir die Geistestätigkeiten,
also die Eintrübungen, die im Geist auftauchen, nicht kontrollieren können,
finden sie körperlich und verbal ihren Ausdruck, und das ist wieder
körperliches und verbales kamma. Die Geistestätigkeiten (manokamma),
ihrerseits, werden verursacht von den feinen Eintrübungen (anusaya kilesa),
die im Strom unseres unbewußten Lebenskontinuums schlummern.
Eintrübungen (kilesa) sind Ursachen für das Entstehen von Taten (kamma)
auf drei Ebenen von Intensität: Gedanken, Worten und Handlungen. Diese
Taten werden selbst wieder zu Ursachen für die Entstehung von Ergebnissen
(vipaka). Das gemeinsame Wirken und die gegenseitige Beeinflußung von
Handeln (kamma) und seinem Ergebnis (vipaka) ist jedoch nichts anderes als
die fünf Bündel von Geist-und-Körper. Konventionell gesprochen: Dieses
Ineinandergreifen von Ursache und Wirkung sind wir, oder genauer gesagt,
der jeweilige Geist, der den Eintrübungen (kilesa) Unterschlupf bietet. Die
Eintrübungen (kilesa) verursachen Handlungen (kamma). Das Handeln
verursacht Ergebnisse (vipaka), und da sind schon wieder wir, aufgebaut von
der eigenen Geistestätigkeit und unserem Handeln, und bieten erneut
Eintrübungen (kilesa) Unterschlupf.
Eintrübungen sind die Ursache für Geistestätigkeit und Handeln, und dieses
Tun hat die Macht, immer wieder neue Wesen aufzubauen. Diese drei wirbeln
haltlos umeinander, ohne Ziel und Ende.
F: Wie muß man sich üben, wenn man die drei Runden von Eintrübung,
Handeln und Ergebnis überwinden will?
A: Buddha der Erleuchtete erkannte, daß Geburt, Alter, Krankheit und Tod
Leiden (dukkha) sind. Er suchte nach der Ursache dieses Leidens und fand
heraus, daß überall in der Welt der Lebewesen Geburt, Alter, Krankheit und
Tod durch (Willens-)Tätigkeit (kamma) verursacht werden. Als er die Ursache
des Handelns erforschte, da stieß er auf die Eintrübungen (kilesa) und vor
allem das Verlangen (tanha) als der Wurzel aller Trübungen. Demnach sind
also alle Arten von Leiden (dukkha) verursacht von Verlangen (tanha).
Mit den vier edlen Wahrheiten hat Buddha aufgezeigt, daß Verlangen die
Wurzel des Leidens ist. Um das Leiden auszulöschen, muß man seine
Wurzel vernichten, daß heißt, man muß das Verlangen auslöschen. Wir sind
entstanden aus dem Verlangen nach Existenz. Wollen wir Geburt und Tod
überwinden, dann müssen wir dieses Verlangen überwinden. Aber wie soll
man das bewirken?
Dazu sagte Buddha: Um das Verlangen auszulöschen, muß man den
Achtfachen Pfad entwickeln, den mittleren Weg (majjhima patipada). Die
Übung des Mittleren Weges führt direkt zur völligen Auflösung des
Verlangens. Wer sich über die drei Runden erheben möchte, muß also den
Achtfachen Pfad in sich entwickeln und seine Bemühungen immer weiter
verfeinern, bis nur die Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit
übrigbleibt.
F: Wie soll man seine Bemühungen verfeinern, um den Achtfachen Pfad mit
den vier Grundlagen der Achtsamkeit in Übereinstimmung zu bringen?
A: Der Achtfache Pfad hat in der Übung des Klarblicks folgende Merkmale:
1.Rechte Ansicht (samma-ditthi) – die Wahrnehmung des Entstehens
und Vergehens der fünf Anhäufungen (panca-kkhandha) und Erkenntnis
der vier Edlen Wahrheiten. Dies ist eine Funktion der Weisheit (panna).
2.Rechtes Denken (samma-sankappa) – Hinwendung und Erhebung
des Geistes zum Erkennen des gegenwärtigen Objekts, oder der fünf
Bündel. Dies ist ebenfalls eine Funktion der Weisheit (panna).
3.Rechte Rede (samma-vaca) – Die Bestimmung der korrekten
Begriffe, die mit den gegenwärtig realen Phänomenen verbunden
sind. Dies ist ein Bestandteil der Sittlichkeit (sila).
4.Rechtes Handeln (samma-kammanta) – Geistestätigkeit, die in
völliger Übereinstimmung mit der Wirklichkeit steht, indem sie das
Auftauchen bedingter Ereignisse (sankharadhamma) vor sich in der
Gegenwart beobachtet. Auch dies ist Bestandteil der Sittlichkeit (sila).
5.Rechte Lebensführung (samma-ajiva) – Den Geist stark, gesund
und losgelöst halten, indem man in der Gegenwart achtsam ist. So wird
der Geist gefördert und ernährt durch heilsame Geisteskräfte, durch
den Achtfachen Pfad, den Besitz der Edlen. Auch dies ist Bestandteil
der Sittlichkeit (sila).
6.Rechte Anstrengung (samma-vayama) – Vierfältige Anstrengung:
Den Geist zu schützen vor noch nicht entstandenen Eintrübungen und
die bereits aufgestiegenen zu überwinden; heilsame Geisteskräfte zu
entwickeln und die entstandenen heilsamen Kräfte zu
bewahren. Dies ist ein Bestandteil der Konzentration (samadhi).
7.Rechte Achtsamkeit (samma-sati) – Die Betrachtung der fünf
Anhäufungen unmittelbar in der Gegenwart; völlig und umfassend
bewußt zu sein. Auch dies ist ein Bestandteil der Konzentration
(samadhi).
8.Rechte Konzentration (samma-samadhi) – Beruhigung und
Stabilisierung des Geistes, indem man ihn auf ein einzelnes Objekt
fixiert: das gegenwärtige. Auch dies ist ein Bestandteil der
Konzentration (samadhi).
Der Achtfache Pfad im Klarblick
Um ein Radiogerät, einen Fernseher oder Ähnliches zu bauen, braucht man
viele elektrische Schaltungen, die alle mit einem Punkt verbunden sein
müssen, einem Hauptschalter, einem Hebel oder Druckschalter. Wenn man
das Gerät einschalten möchte, drückt man einfach den Knopf, und alle
Teilbereiche nehmen sofort ihre Arbeit auf. In vergleichbarer Weise hat
Buddha, der Wissenschaftler des Geistes, das korrekte Verfahren gesucht,
welches einfach und effektiv zu benutzen sein sollte. In seinem Bemühen um
Vereinfachung und eine Reduktion auf das Wesentliche faßte der Buddha
den Achtfachen Pfad zu dem zusammen, was er den “einzigen Weg”
(ekayanomaggo) nannte: die vier Grundlagen der Achtsamkeit. Diese vier
Grundlagen der Achtsamkeit, die als siebter Bestandteil des Achtfachen
Pfades Rechte Achtsamkeit heißen, sind dieser einzige Weg.
F: Was zeichnet rechte Achtsamkeit aus, so daß sie zum einzigen Weg wird?
A: Die Bedeutung rechter Achtsamkeit (samma-sati) erweist sich in der
Klarblickübung auf folgende Weise:
1.Rechte Achtsamkeit hat als wichtigste Funktion, das gegenwärtige
Objekt zu wissen. Wenn sie mit dem Bewußtsein auftaucht, ist sie
verpflichtet, die gegenwärtig existierende Geist-Körper-Verbindung
(nama-rupa) zu betrachten.
2.Achtsamkeit ist die nächstliegende Ursache für die Entstehung von
Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit (sila, samadhi, panna). Wenn
Achtsamkeit fehlt, können die korrekten Ausprägungen von Sittlichkeit,
Konzentration und Weisheit nicht entstehen.
3.Achtsamkeit arbeitet an der Überwindung der fünf geistigen
Hindernisse (kilesa-nivarana), der Gruppe der unheilsamen (akusala)
Geisteskräfte, die in jedem Falle daran hindern, das Gute zu erreichen.
4.Achtsamkeit entfaltet eine vereinigende Kraft innerhalb des
Achtfachen Pfades, sodaß die acht Glieder zu einem einzigen
verschmelzen, dem ‘einzigen Weg’.
5.Achtsamkeit ist auf Kontrolle und Harmonisierung der fünf geistigen
Fähigkeiten (indriya) gerichtet. Solange Achtsamkeit schwach ist,
können Verzerrungen des Klarblicks (vipassa-nupakilesa) leicht
auftauchen.
6.Die vier Grundlagen der Achtsamkeit zu entwickeln, ist der Weg zu
völliger Reinheit des Geistes, der Weg zum Aufblitzen überweltlicher
Weisheit. Es ist der einzige Weg, Nibbana zu erreichen.
Für das Verlöschen des Verlangens üben
F: Was soll man tun, um das Verlangen auszulöschen, die Ursache des
Leidens (dukkha)?
A: Verlangen läßt sich gut mit Feuer vergleichen. Feuer flackert auf, wenn
dafür ein Anlaß da ist, zum Beispiel ein Streichholz, ein elektrischer Funke,
oder ein glühender Zigarettenstummel. Ganz am Anfang ist es nur ein Funke
oder Flämmchen und ist leicht auszulöschen. Man kann es auspusten oder
mit dem Fuß austreten, dann verlöscht es. Wenn dieses kleine Feuer aber
genug Nahrung findet und weiterbrennt, dann breitet es sich zu einem
Flächenbrand aus, der äußerst schwierig zu löschen ist, wenn überhaupt.
Das Gleiche ist es mit dem Feuer des Verlangens, das in unserem Geist
entbrennt. Es meldet sich zuerst nur als kleines Flämmchen. Wenn wir es
rasch bemerken, können wir es leicht auslöschen. Bemerken wir es aber erst
später, dann kann es schwierig zu löschen sein, weil das im Inneren
brennende Feuer sich schon in die Außenwelt ausgebreitet hat.
Um das Feuer zu löschen, braucht man die richtige Ausrüstung, oder ein
Verfahren, das für das Löschen des Feuers richtig und geeignet ist. Wasser
kann man benutzen, um Feuer zu löschen. Der Edle Achtfache Pfad oder die
vier Grundlagen der Achtsamkeit sind die geeignete Ausrüstung, um das
Feuer des Verlangens auszulöschen.
Also müssen wir uns selbst prüfen, ob wir Wasser zum Löschen haben, oder
ob wir keines haben. Falls wir keines haben müssen wir uns beeilen, welches
zu holen, denn das Feuer des Verlangens verzehrt uns. Es muß sofort
gelöscht werden, heute noch! Wir können nicht bis morgen
warten. Entwickeln Sie Achtsamkeit, die noch nicht entstanden ist, sodaß sie
entsteht! Machen Sie mehr aus der Achtsamkeit, die schon entstanden ist!
Allgemein gesprochen, behandelt der Geist das Verlangen wie einen guten,
alten Freund, denn Verlangen ist der Bestand, den wir unwissentlich
angesammelt haben, unsere alten Gewohnheiten, die sich ständig von selber
bemerkbar machen als Begehren danach, einen schönen Anblick,
wohlklingende Geräusche, aromatische Düfte, schmackhaftes Essen und
sanfte Berührung zu geniessen. Dieses Feuer im ersten Moment
auszulöschen, ist schwierig, denn es gibt nur wenig Wasser. Man muß mit
Energie die Achtsamkeit entwickeln, viel davon und schnell, denn
Achtsamkeit ist das Wasser zum Löschen des Verlangens.
Sobald Achtsamkeit eingerichtet ist, beginnt sie, die Sittlichkeit (sila) zu
unterstützen durch die Kontrolle der Sinnesfähigkeiten (indriya-samvarasila), sodaß die Reinheit ungebrochen und makellos bleibt. Kontrolle der
Sinnesfähigkeiten bedeutet, sorgsam zu wachen über die Augen, die Ohren,
die Nase, die Zunge und den Geist, indem man Achtsamkeit auf die vier
Grundlagen der Achtsamkeit richtet, weder erfreut, noch verärgert, wenn die
Sinnesorgane mit erfreulichen oder unerfreulichen Objekten in Kontakt
kommen. Wenn die Entwicklung der Achtsamkeit deutlichere Ergebnisse
zeigt, erkennt man sofort, ob die Hindernisse da sind oder nicht.
Wenn es im Geist kein Verlangen gibt, weiß man, daß da kein Verlangen ist;
wenn aber Verlangen da ist, so weiß man, daß es da ist. Wenn das
Verlangen im Geist bleibt, dann weiß man, daß es bleibt, und wenn das
Verlangen verlöscht, dann weiß man, daß es verlöscht. Wenn Achtsamkeit
soviel Stärke gewinnt, daß sie den Geist betrachten kann und sieht, wie das
Verlangen im Geist entsteht, andauert und vergeht, dann werden die mittleren
Eintrübungen, die fünf Hindernisse (nivarana-kilesa), schwächer und tauchen
weniger häufig auf. Sie dominieren den Geist nicht mehr und entwickeln sich
nicht zu groben Eintrübungen.
Mit der unerschütterlichen Überzeugung, daß er die Hindernisse, diese
‘Maschinerie des Leidens,” endgültig aus dem Geist entfernen kann, muß der
Übende die Achtsamkeit weiter entwickeln, ohne aufzugeben. Wenn die
Weisheit des Pfades auftaucht, dann gelangt er zu der Wahrheit, daß alles,
was von Natur aus entsteht, auch von Natur aus vergeht. Diese Wahrheit der
Natur – die fünf Anhäufungen von Körper und Geist – zu durchdringen, bringt
es mit sich, daß man alle körperlichen und geistigen Phänomene entstehen
sieht, einen Moment dauern sieht, und dann vergehen sieht, ohne eine
dauernde Substanz, die bleibt.
Auf der manifesten Ebene wird das deutlich, wenn wir die Menschen
betrachten. Alle Menschen müssen sterben,ob reich oder arm, gut oder
schlecht, mächtig oder machtlos, schön oder häßlich. Menschliche wie auch
alle anderen Wesen entstehen, leben eine Zeitlang und sterben dann. Auch
alles andere, was entstanden ist, muß aufgrund seiner Natur ohne Ausnahme
vergehen.
Wenn diese Wahrheit uns geläufig ist, werden wir die Geduld und
Beharrlichkeit besitzen, die Achtsamkeit noch weiter zu entwickeln und die
Eintrübungen zu überwinden. Gemeinsam mit Achtsamkeit werden dann alle
heilsamen (kusala) Geisteskräfte entstehen und allmählich Kraft gewinnen.
Wenn sie ausgereift sind, wird sich der Achtfache Pfad vom weltlichen Pfad
des Klarblicks (lokiya magga) zum überweltlichen Edlen Pfad (lokuttara
magga) wandeln, der Ursache und Wirkung in sich vereint. Beim Erreichen
des überweltlichen Pfades wandelt sich der Meditierende vom Weltling
(puthujjana) zum Edlen (ariya puggala) auf einer der vier Stufen der
Befreiung.
Für den neuen Meditierenden bedeutet Entwicklung der Achtsamkeit deshalb,
schrittweise mit den vier Grundlagen der Achtsamkeit vertraut zu werden –
1.Achtsam den Körper im Körper betrachten, zum Beispiel das Heben
und Senken der Bauchdecke noten. Der Körper ist Materie und deshalb
leicht zu erkennen, also ist auch das Entstehen und Vergehen des
Körpers leicht zu erkennen.
2.Achtsam die Gefühle in den Gefühlen betrachten. Die körperlichen
Gefühle wie Schmerzen und Unwohlsein werden zuerst erkannt. Wenn
der Übende die Gefühle mit Achtsamkeit begleitet, wird er die
Veränderung in den schmerzhaften Gefühlen sehen, wie sie entstehen
und vergehen. Wenn die Unterscheidungskraft des Meditierenden
stärker wird, kann auch geistiges Gefühl in dieser Weise betrachtet
werden.
3.Achtsam die Geisteszustände in den Geisteszuständen betrachten.
Der Übende hält Wache an der Geistpforte und beobachtet, daß dieser
Geist nicht dauerhaft ist, sondern sich dauernd ändert. In diesem
Moment nimmt er ein materielles Objekt vom Auge an, im nächsten vom
Ohr, von der Nase, von der Zunge, vom Körper. Oder es entstehen
geistige Objekte im Geist selbst. Überlegung, Aufregung, Schläfrigkeit,
Begierde, Ärger, verschiedene Zweifel sind dort anzutreffen. Wenn
Achtsamkeit erstarkt, kann man das Entstehen und Vergehen all dieser
Geisteszustände sehen.
4.Achtsam die Geistesdinge in den Geistesdingen betrachten,
Phänomene direkt in den Phänomenen. Da erkennt man dann das
Entstehen und Vergehen der heilsamen und der unheilsamen
Geisteskräfte. Durch die heilsamen Kräfte entsteht Befriedigung, Glück
und Zufriedenheit. Die unheilsamen Kräfte trüben den Geist und
erzeugen Unruhe, Sorge, Verdruß, Irritation, Widerwillen, Unsicherheit,
Mutlosigkeit und Verwirrung: das Spektrum geistigen Leidens tut sich
auf. Wenn der Meditierende schrittweise Achtsamkeit in Bezug auf
Körper, Gefühle und Geistzustände entwickelt hat, dann wird die
Betrachtung der Geistesdinge leichter werden.
Zu Beginn der Übung ist es noch nicht möglich, die Entstehung des Denkens
zu noten. Erst wenn die Anstrengung in der Übung kontinuierlich wird, lernt
man nach und nach, die Gedanken zu noten. Dennoch gelingt es nicht, den
unmittelbaren Anfang zu erkennen; man merkt oft erst nach einer Minute, daß
Gedanken im Geist sind. Aber mit weiterer Übung verbessert sich die
Achtsamkeit und man kann den Fortgang des Denkens mit zunehmender
Schnelligkeit noten, bis man schließlich das Entstehen und Vergehen der
Gedanken unmittelbar beobachten kann.
Manchmal bemerkt man, daß der Geist gerade anfangen will, zu denken.
Manchmal beobachtet man, wie ein Bild auftaucht, das aus der Erinnerung
entstanden ist, und dann folgen Gedanken nach. Kann man das
gegenwärtige Objekt auf diese Weise betrachten, dann wird die Wahrheit
offensichtlich, daß alle Eintrübungen zusammen mit dem Bewußtsein
auftauchen und zusammen mit dem Bewußtsein auch verlöschen. Wie es in
der Lehre über die Grundlagen der Achtsamkeit (satipatthana-sutta) heißt:
Wenn kein Verlangen im Geist ist, weiß man, daß da keines ist; wenn das
Verlangen entsteht, weiß man daß es entsteht; wenn es andauert, weiß man,
daß es andauert; wenn das Verlangen im Geist verlöscht, dann weiß man,
daß es verlöscht; und wenn es aufgrund einer bestimmten Ursache verlöscht,
dann kennt man diese Ursache.
Haben Achtsamkeit und Weisheit (sati-panna) dieses Niveau erreicht, dann
wird einem klar, wie mächtig Achtsamkeit ist, denn sie kann das Entstehen
und Vergehen der fünf Hindernisse im gegenwärtigen Geist wirklich
beobachten. Von einem bestimmten Punkt der Entwicklung an braucht der
Meditierende nichts Besonderes mehr zu tun. Die Achtsamkeit muß nur fest
auf den gegenwärtigen Moment eingestellt sein, und alle Eintrübungen, die
auftauchen, werden von selbst verlöschen, als sähe man Feuer aufflackern,
das im selben Moment mangels Brennstoff verlöscht. Diese Art der
Bewußtheit, die man Klarblick nennt, führt zur Aufzehrung der Eintrübungen,
bis der Geist völlig davon befreit ist.
Zusammenfassung
Um dies alles zusammenzufassen; Klarblickmeditation soll man üben, um
das Verlangen (tanha), die Ursache des Leidens, auszulöschen. Das Ziel der
Übung ist die völlige und endgültige Überwindung der Eintrübungen. Dazu
braucht man keine besondere Vorgehensweise und keine speziellen
Kenntnisse. Wer das behauptet, erzeugt nur zusätzliche Verwirrung und
unnötiges Zögern und Zweifeln.
Zur Zeit Buddhas wurde sechzehn jungen Männern, alle Schüler des
Brahmanen Bavari, von ihrem Lehrer aufgetragen, dem Buddha einige
Fragen zu stellen. Einer von ihnen, namens Nanda, stellte folgende Frage:
“Man sagt, es gäbe keine Weisen mehr in der Welt. Wie verhält es sich
damit? Zeichnet sich ein Wissender durch seine Kenntnisse oder durch seine
Lebensführung aus?”
Buddhas Antwort lautete: “Die Weisen in dieser Welt sagen nicht, daß man
ein Wissender durch Sehen, Hören oder besondere Kenntnisse wird. Ich
behaupte: Wer sich selbst aus dem Sumpf der Eintrübungen (kilesa) befreit
und keine neuen Eintrübungen mehr entstehen läßt, wer keine Sorgen und
keine Begierden mehr hat, der ist ein Wissender, der ist ein Weiser.”
Nanda fragte weiter: “Es gibt Asketen und Priester, die sprechen von Reinheit
durch Sehen, durch Hören, durch eine strenge Lebensführung, durch Rituale
und eine Vielzahl anderer Methoden. Hat irgendeiner der Asketen und
Priester, die solche Reinheitspraktiken pflegen, jemals Geburt und Alter
überwunden?”
Buddha erklärte: “Diese Asketen und Priester, auch wenn sie ihre
Reinigungspraktiken strikt befolgen, sage ich, können Geburt und Alter nicht
überwinden.”
Nanda fragte erneut: “Wenn diese Priester und Asketen nicht frei sind von
Geburt und Alter, wer in der Welt der Götter und Menschen ist denn frei von
Geburt und Alter?”
Buddha sagte: “Ich behaupte nicht, daß alle diese Priester und Asketen
Geburt und Alter unterliegen. Aber ich sage, daß ein jeder Asket oder
Priester, der in dieser Welt die Objekte des Sehens, Hörens und Wissens
zurückweist; der alle vorgeschriebene Lebensführung, alle Rituale und die
vielerlei Methoden verwirft; der das Verlangen (tanha) als ein Ärgernis
betrachtet und sich völlig frei davon macht, der wird ein Mensch, dem die
weltlichen Neigungen des Geistes nicht mehr begegnen. Ein solcher Asket
oder Priester, sage ich, ist jenseits von Geburt und Alter.”
Daran sehen wir, daß Buddha, der höchste Lehrer, die Überwindung von
Eintrübung und Verlangen als unsere dringlichste Aufgabe betonte, die
keinen Aufschub duldet und als erste unsere Aufmerksamkeit verlangt. Daher
müssen wir weiter üben, bis wir das Ziel erreichen.
TEIL II
DIE ERGEBNISSE DER ÜBUNG
Die Sieben Reinheitsstufen und Sechzehn Klarblickschritte
Dieses Handbuch wurde unter besonderer Berücksichtigung der
Schwierigkeiten von Anfängern in der Meditation geschrieben. Es mag aber
sein, daß einige bei gewissenhafter Übung im Laufe der Zeit gute Fortschritte
machen und dann Nutzen daraus ziehen können, wenn sie eine Richtschnur
haben, um ihre Entwicklung gemäß der Lehre einzuschätzen. Daher sollen im
folgenden die einzelnen Schritte dargestellt und erklärt werden, aus denen
der Stufenweg des Fortschritts in der Klarblickmeditation besteht: Die sieben
Reinheitsstufen und die sechzehn Schritte des Klarblickwissens.
I.Reinheit des Betragens (sila-visuddhi). Vom Beginn der Übung an
muß der Meditierende seine Sittlichkeit rein erhalten, indem er den
Ausdruck in Rede und Tat an den fünf Sittlichkeitsregeln orientiert.
Reinheit des Betragens verringert die Kraft der fünf geistigen
Hindernisse, die der Entwicklung von Konzentration entgegenstehen.
II.Reinheit des Geistes (citta-visuddhi). Der Übende kann die
momentane Konzentration mit zunehmender Kontinuität bewahren. Die
Hindernisse werden abgelegt und der Geist wird ruhig und
gefestigt. Dies istVoraussetzung für die nachfolgende Entwicklung von
Weisheit.
III.Reinheit der Ansicht (ditthi-visuddhi)
1.Analytisches Wissen von Geist und Körper (nama-rupa-pariccheda-nana)
Die Erkenntnis wird rein, und der Übende kann in der meditativen
Betrachtung mit Leichtigkeit die geistigen (nama) und die körperlichmateriellen (rupa) Aspekte der gegenwärtigen Erlebnisse unterscheiden.
IV. Reinheit der Überwindung von Zweifel (kankha-vitarana-visuddhi) - Wissen, das die Bedingtheit durchdringt (paccaya-pariggaha-nana)
V. Reinheit der Klaren Schau, was Pfad und was nicht Pfad
ist (maggamagga-nana-dassana-visuddhi) - Wissen des Begreifens (sammasana-nana)
VI. Reinheit der Klaren Schau des Übungsverlaufs - Wissen vom Entstehen und Vergehen (uddayabbaya-nana)
- Wissen der Auflösung (bhanga-nana)
- Wissen der Furcht (bhaya-nana)
- Wissen des Elends (adinava-nana)
- Wissen des Überdrußes (nibbida-nana)
- Wissen des Verlangens nach Befreiung (muncitu-kamyata-nana)
- Wissen der Großen Bemühung (patisankha-nana)
- Wissen des Gleichmuts vor Gebilden (geistigen und körperlich-materiellen
Ereignissen) (sankharupekkha-nana)
„Klarblick, der zum Entrinnen führt“ (vutthan-gamini-vipassana)
· VII. Reinheit der Klaren Schau (nana-dassana-visuddhi) - Wissen der Anpassung (anuloma-nana) (Übereinstimmung mit den vier
edlen Wahrheiten) - Wissen der Reife (gotrabhu-nana) (Wechsel der Zugehörigkeit)
- Pfadwissen (magga-nana) (Der einzelne Bewußtseinsmoment des ‘Edlen
Pfades’) - Fruchtwissen (phala-nana)
- Wissen des Rückblicks (paccavekkhana-nana)
F: Die sieben Reinheitsstufen und die sechzehn Schritte des Klarblicks
unterscheiden sich in mancher Hinsicht, zum Beispiel findet man bei den
Klarblickswissen keinen Hinweis auf Sittlichkeit, wohl aber bei den
Reinheitsstufen. Was bedeutet das?
A: Die Reinheitsstufen – wie auch der achtfache Pfad – stellen ein
umfassendes Schema dar, in dem alle drei Bereiche der geistigen Schulung
inbegriffen sind: Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit (sila, samadhi,
panna). Besonders die sieben Reinheitsstufen beschreiben den Ablauf der
geistigen Entwicklung in aufeinander aufbauenden Stufen. Zunächst muß
‘Reinheit des Betragens’ erfüllt sein. Das ist die Schulung in Sittlichkeit. Mit
dieser Voraussetzung kann man ‘Reinheit des Geistes’ durch Meditation
anstreben. Das ist die Schulung in Konzentration.
Wenn ‘Reinheit des Geistes’ erreicht ist, taucht bei fortgesetzter Übung
schrittweise die für Klarblickmeditation charakterische Erkenntnis der
Wirklichkleit auf, die mit der Entwicklung von Weisheit zusammenhängt,
angefangen von ‘Reinheit der Ansicht’ bis hin zur ‘Reinheit der Klaren Schau.’
Das sind insgesamt fünf Reinheitsstufen, die beschreiben, wie sich
wirklichkeitsgemäße Erkenntnis, genannt: ‘Weisheit’, entwickelt. Diese fünf
Reinheitsstufen können nur durch die Übung des Klarblicks erreicht werden.
Was die sechzehn Klarblickwissen betrifft: Da geht es um die Ausarbeitung
von rechter Ansicht (samma-ditthi), von korrekter Wahrnehmung in Einklang
mit der ‚Soheit‘ der Dinge (tathata). Diese Wissensschritte tauchen in der
Entwicklung der fünf Reinheitsstufen auf, die mit Weisheit zu tun haben.
Unabhängig, jedoch, von diesen Klassifizierungen und Zuordnungen, werden
bei der vollentwickelten Übung des ‘Mittleren Weges’ die drei Bereiche der
Schulung – Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit – immer gemeinsam
eingesetzt und geübt.
DER VORBEREITENDE PFAD
Die schwachen Klarblickschritte
F: Wenn man dieses Buch als Leitfaden für die Praxis benutzt, wie soll man
dann erkennen, ob das erste Klarblickwissen schon aufgetaucht ist oder noch
nicht?
A: Es ist nicht leicht, über das Thema Klarblick etwas zu sagen, da man es
selbst erleben muß, um darüber etwas zu wissen. Das ist das Merkmal
‘paccatam’ – individuell – das Buddha mit Bezug auf seine Lehre immer
hervorhob: Die Meditierenden sehen die Wirklichkeit jeder für sich selbst.
Denn das ist der Ort, wo wir in Wirklichkeit ja sind, nicht außerhalb unserer
selbst.
Wer schon buddhistische Schriften eingehend studiert hat, die sich mit
wirklichkeitsgemäßer Erkenntnis der fünf Bündel des Anhaftens oder Theorie
und Praxis der Klarblickmeditation befassen, mag vielleicht in der Lage sein,
anhand der eigenen Meditationserfahrung das Einsetzen von
Klarblickerlebnissen festzustellen, die mit den Schritten des Klarblickwissens
zusammenhängen.
Wer das aber nicht mit Zuverläßigkeit kann, muß sich auf einen spirituellen
Freund (kalyanamitta) oder Klarblicklehrer verlassen, der prüfen kann, ob der
Übende das erste Wissen erreicht hat. Die folgenden Ausführungen sollen die
Klarblickerlebnisse der einzelnen Wissensschritte für den persönlichen
Vergleich ausreichend skizzieren.
I.) Analytisches Wissen von Körper und Geist
Am Anfang der Übung ist der Geist noch nicht ruhig, weil man gestört wird
durch Reflektionen und Aufregung, durch den inneren Monolog. Aber wenn
das Noten des ‘Heben/Senken’ der Bauchdecke mehr Kontinuität gewinnt,
dann werden die hebende Körperlichkeit und die senkende Körperlichkeit
allmählich klar unterscheidbar. Der Geist, der die hebende und senkende
Körperlichkeit benennt, wird erkennen, daß er die Funktion hat, das Heben
und Senken zu wissen. Manchmal sieht man auch, daß die hebende und
senkende Materie zwei verschiedene materielle Dinge sind, mit ihren eigenen
Merkmalen, an denen man sie erkennen kann: das Heben hat ein Merkmal,
das Senken ein anderes.
Später, wenn der Übende stärkere Konzentration entwickelt und sein Geist
ruhig wird, dann notet er das Heben/Senken ununterbrochen. Dann wird er
verstehen, daß die hebende Körperlichkeit und das, was sie notet, zwei
verschieden Dinge sind, und die senkende Körperlichkeit und das was sie
notet, sind auch zwei verschiedenen Dinge. Die hebende und die senkende
Körperlichkeit sind Materie (rupa) und das, was sie jeweils notet, ist Geist
(nama).
Wenn der Meditierende, während er die Bewegung der Bauchdecke in der
unmittelbaren Gegenwart notet, dies versteht und sieht, wie es wirklich ist,
dann hat er den ersten Schritt des Klarblicks erreicht, das ‘Analytische
Wissen von Geist und Körper’ (namarupa-pariccheda-nana).
Im täglichen Meditationsbericht wird der Klarblicklehrer fragen, ob das Heben
und Senken der Bauchdecke dasselbe sind oder ob es zwei verschiedene
Dinge sind. Wenn der Übende sagt, daß sie dasselbe sind, hat er das erste
Wissen noch nicht erreicht.
Vielleicht redet der Übende aber auch von sich aus über seine Erfahrung,
oder wenn der Lehrer ihn danach fragt, stellt er aufgrund eigener
Beobachtung fest: Das Heben ist Materie und ‘Was das Heben notet’ ist
Geist, und die beiden sind verschieden. Oder wenn das Heben entsteht,
dann rennt der Geist darauf zu. Oder das Heben und Senken sind zwei ganz
verschiedene Dinge. Solche und ähnliche Aussprüche zeigen, daß der
Übende den ersten Schritt des Klarblickwissens erreicht hat.
Dieses Wissen erlebt die gegenwärtige Geist-Körper-Verbindung (nama-rupa)
klarbewußt, und es hilft bei der Überwindung der ‘falschen Ansicht, die die
fünf Bündel des Anhaftens als Selbst wahrnimmt’ (sakkaya-ditthi), dem
Glauben an ein Selbst, an dauerhafte Wesen.
2.) Wissen, das die Bedingtheit durchdringt
Dieses Wissen ist klarbewußt über die Ursachen der gegenwärtig erlebten
Geist-Körperlichkeit. Wenn etwas entsteht, durch welche Ursache entsteht
es? Der Meditierende, der schon das erste Klarblickwissen entwickelt hat,
wird erkennen, daß in dem Moment, wo er das gegenwärtige Objekt notet,
nur Geist und Körper da sind. Außerdem ist da nichts. Manchmal entsteht
das Heben – welches Materie ist – zuerst, und der Geist (citta) folgt hinterher
und notet. Oder zuerst entsteht ein Ton, und der Geist folgt hinterher und
notet: ‘hören, hören.’ Oder Hitze berührt den Körper, und es folgt die
Benennung: ‘warm, warm.’ Wenn man auf diese Weise eine lange Zeit übt
versteht man: “Materie entsteht zuerst, Materie ist die Ursache. Da der Geist
hinterher folgt und notet, ist Geist die Wirkung.”
Manchmal ist die kausale Bedingtheit aber umgekehrt: Der Meditierende
möchte aufstehen, und nachdem der diese Absicht genotet hat, erscheint die
stehende Körperlichkeit. Wenn der Geist gehen möchte, taucht danach die
gehende Körperlichkeit auf. Wenn der Geist sich setzen möchte, taucht
nachher die Sitzhaltung auf. Wenn der Geist sich setzen möchte, taucht
nachher die Sitzhaltung auf. Wenn der Geist sich hinlegen möchte, erscheint
anschließend der liegende Körper. Der Geist möchte beugen, ausstrecken,
ergreifen, aufheben, festhalten, loslassen, drehen, wenden oder berühren,
und danach erscheint die Körperlichkeit, die beugt, ausstreckt, ergreift,
aufhebt, festhält, losläßt, dreht, wendet oder berührt. In diesen Fällen wird es
erkennbar, daß Geist zuerst erscheint und die Ursache ist, während die
nachfolgenden materiellen Erscheinungen Wirkungen sind.
Wenn der Meditierende auf diese Weise rechte Ansicht erwirbt durch die
Betrachtung der Bedingungen für die gegenwärtige Geist-Körperlichkeit
(nama-rupa), dann hat er das zweite Klarblickwissen erreicht: ‘Wissen, das
die Bedingtheit durchdringt’ (paccaya-pariggaha-nana). Dieses Wissen
versteht, daß es keinen Schöpfer gibt, der die Dinge so gemacht hat, wie sie
sind. Man versteht, daß das bewußte Erleben auftaucht durch Geist als
Ursache und Materie als Ergebnis, oder Materie als Ursache und Geist als
Ergebnis. Es gibt kein Wesen, keine Person, kein Selbst, kein ‘ich’ oder ‘du’,
kein ‘wir’ oder ‘sie’. Alles, was es in Wirklichkeit gibt, sind geistige und
körperliche Ereignisse, die sich wechselseitig bedingen und gemeinsam
entstehen und vergehen. Dieses Wissen legt die ewigen Menschheitsfragen
ab, die der unwissende Geist dem Glauben und dem spekulativen Denken
überläßt: “Was ist das Leben? Wo kommt es her? Wo geht es hin? Wer sind
wir? Und wozu sind wir hier?”
Wenn man die Gegenwart versteht, weil man Geist und
Körper unmittelbar beobachtet und deutlich sieht, wie sie sich gegenseitig
bedingen, dann ist man auch in der Lage, zu prüfen und zu verstehen, daß
die eigene Erfahrung auch in der Vergangenheit nur durch Bedingungen
entstanden ist, und daß auch in Zukunft geistige und körperliche Phänomene
entstehen werden, wenn die Bedingungen dafür da sind. Dieses
Wissen ist die vollständige Überwindung von skeptischen, grüblerischen
Zweifeln (vicikiccha).
3.) Wissen des Begreifens
Wenn in der Meditation Achtsamkeit und Konzentration stark werden, wird die
Bewegung der Bauchdecke deutlicher wahrgenommen. Die Richtlinien zur
Prüfung des Fortschritts in der Betrachtung sind folgende:
1.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, wird die
mittlere Phase des Hebens bemerkt, weil sie deutlicher erscheint.
2.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, wird er den
Anfang und die mittlere Phase des Hebens bemerken, weil Achtsamkeit
angewachsen ist.
3.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, werden ihm
alle drei Phasen klar, der Anfang, die Mitte und das Ende des Hebens.
Das liegt an der stärkeren Kontinuität von Achtsamkeit und
Konzentration.
Mit diesem Klarblickwissen tauchen ungewöhnliche Erlebnisse durch die
Intensität des Interesses am Objekt (piti) auf. Zum Beispiel können sich
während der Betrachtung die Haare an den Armen oder auf dem Körper
aufrichten, begleitet von einem Prickeln. Geistige Bilder und visuelle
Vorstellungen tauchen auf. Der Körper zuckt plötzlich oder er lehnt sich
allmählich nach hinten. Es juckt hier und da, fühlt sich an, als ob Ameisen
oder andere Kleintiere über die Haut krabbeln und sie zwicken, oder Moskitos
sich darauf niederlassen und stechen.
Man muß diese Phänomene immer noten, jedesmal, wenn man sie erlebt.
Geistige Bilder und Visualisationen verschwinden entweder sofort wenn sie
genotet werden, oder allmählich, nach und nach.
Manchmal, wenn man im Sitzen notet, hat man starke Schmerzen in den
Knien, den Beinen, dem Rücken, der Leiste, der Hüfte, oder in anderen
Körperteilen. Diese quälenden, schmerzhaften Empfindungen offenbaren die
drei allgemeinen Merkmale aller Elemente des Erlebens (sankhara), damit
die Weisheit darauf aufmerksam werden kann. Sie verdeutlichen für uns die
Wahrheit, daß dieser Geist und dieser Körper vergänglich, leidhaft und kein
Selbst sind (anicca, dukkha, anatta). Niemand kann
bestimmen oder beinflussen, wie sie sind.
Aufgrund der Vergänglichkeit (aniccata), die man in der Meditation zu spüren
bekommt, entsteht schmerzhaftes Körpergefühl. Wenn es
aufgetaucht ist empfindet man es als (dukkha), man kann es nicht ertragen,
es ist wie ein Fremdkörper (anatta), der einem nicht gehört und von dem man
sich befreien möchte. Aber man kann es nicht zwingen, irgendwie anders zu
sein. Es entsteht durch Bedingungen, die aus Ursachen und Wirkungen
bestehen und nicht einfach entkräftet werden können. Dieses Wissen ist der
Klarblick, der die drei Merkmale erkennt.
Manchmal wenn der Meditierende starke Konzentration (samadhi) und
Begeisterung (piti) entwickelt, dann entstehen viele ungewöhnliche Objekte
und Phänomene, oder der Geist wird durch die Erlebnisse angeregt, über die
Wirklichkeit, über buddhistische Erkenntnis, kurz: über Dhamma,
nachzudenken. Vielleicht sieht man ein Licht oder Helligkeit, einen diffusen
Schimmer, und empfindet ungewöhnliches Wohlgefühl. Solche Erlebnisse
können zu dem Mißverständnis verleiten, man habe schon den ‘edlen
Pfad’ oder Nibbana erreicht.
Wenn man an diesen Phänomenen anhaftet und sie genießt, das nennt
man „Verderben des Klarblicks“ (vipassanupakkilesa), oder „den falschen
Weg gehen,“ weil man weiterhin an den Objekten von Geist und Körper
anhaftet. Der richtige Weg ist der ‘Mittlere Weg’, also die Grundlagen der
Achtsamkeit, die der einzige Weg zur Erkenntnis von Nibbana sind. Wenn
man von diesen Phänomenen, die durch Konzentration und Begeisterung
entstehen, in die Irre geführt wird, verliert man den Weg
durch Anhaften an geistigen und körperlichen Objekten.
Von den sieben Reinheitsstufen ist die fünfte die Reinheit der Erkenntnis, was
der rechte Weg geistiger Entwicklung ist, und was nicht der rechte Weg ist
(maggamagganana-dassana-visuddhi). Der Lehrer wird dem Schüler raten,
sofort alles zu noten, was er erlebt, ohne an irgendetwas anzuhaften. Wenn
der Meditierende verblendet ist und diesen Rat in den Wind schlägt, wird er
sich verirren und unter Umständen seine geistige Gesundheit aufs Spiel
setzen. Aber wenn er rechtes Verständnis hat, wird die Übung weitere
Fortschritte machen. Wenn der Übende Energie entwickelt im Noten dieser
geistigen Objekte, dann werden die verschiedenen Bilder und visuellen
Eindrücke allmählich verschwinden. Dann hat der Meditierende den dritten
Schritt des Klarblicks erreicht, das ‘Wissen des Begreifens’ (sammasananana) – Wissen, das die drei Merkmale klarbewußt erlebt.
F: Ist die Übung bis hierhin fortgeschritten, welche zusätzlichen Hauptobjekte
muß man dann beachten?
A: Nach der Richtlinie für die allgemeine Übung sollen die Objekte wie folgt
beachtet werden:
1.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken,’ während des Gehens note
‘rechter Schritt, linker Schritt’ oder ‘rechts geht so, links geht so.’ Die
Übung jeweils dreißig Minuten lang fortsetzen.
2.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken/sitzen,’ beim Gehen note
‘aufheben, absetzen’ (2. Gang).
3.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken/sitzen/berühren,’ beim Gehen
note ‘aufheben, vorwärts bewegen, absetzen’ (3. Gang)
4.Wissen: Im Sitzen wird wie beim 3. Wissen genotet, nur manchmal
notet man beide Sitzknochen, rechts und links abwechselnd bis das
nächste ‘heben’ anfängt. Beim Gehen note man vier Teile: ‘Ferse
anheben, Fuß hochheben, vorwärts bewegen, absetzen’ (4. Gang).
F: Welchen Sinn hat es, Absichten zu noten? Wann soll man darauf achten?
A: ‘Absicht’ zu noten ist eine Übung für Wachsamkeit. Es bedeutet, daß man
beim Denken, Reden und Handeln unablässig achtsam sein muß, um die
Bewegungen des Geistes und des Körpers zu beaufsichtigen: “ Was tust du
in diesem Moment gerade?” Diese Übung sollte begonnen werden, wenn der
Meditierende etwa sieben Tage geübt hat. wenn das zweite Klarblickwissen
auftaucht, wird es Zeit, die Absichten, die unser Handeln
motivieren, als ‘Absicht, Absicht’ zu noten, wenn sie entstehen. Dann kennt
man die Ursache, und wenn nachfolgend die Wirkung eintritt, erkennt man
das auch und kann sich so vergewissern, ob dieser Geist den Körper
dirigiert oder nicht.
4.) Wissen vom Entstehen und Vergehen
Dieses ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ (udayabbayanana) teilt sich
auf in zwei Phasen, eine schwache, das ‘schwache (taruna) Wissen vom
Entstehen und Vergehen,’ und eine starke, das ‘starke (balava) Wissen vom
Entstehen und Vergehen.’ Wenn der Übende das schwache Klarblickwissen
erreicht hat, treten die ‘zehn Verzerrungen des Klarblicks’ deutlich in
Erscheinung und können sehr stark werden.
Die Verzerrungen des Klarblicks
1.Licht oder Glanz (obhasa) – Es kann ein blaßes, weißes Licht sein,
oder ein Lichtstrahl, ein strömendes Licht oder Licht, das den ganzen
Raum erhellt, sodaß man ihn bei geschlossenen Lidern sehen kann.
2.Begeisterung (piti) – Reges Interesse, intensive Anteilnahme,
Verzückung. Davon gibt es fünf Grade:
Geringe Begeisterung (khuddaka piti) – wenn man Jucken oder
Kribbeln überall am Körper spürt, die Haare richten sich zeitweilig auf,
oder man fühlt sich benommen und unklar, wie bei Kopfschmerzen.
Momentane Begeisterung (khanika piti) – wenn ein Kribblen von den
Füßen über die Brust bis in die Luftröhre wandert und dann
verschwindet. Wärme oder Kühle; man sieht Lichtblitze oder
Sternschnuppen und der Körper zuckt manchmal unmotiviert; oder man
spürt Steifheit überall im Körper und Gänsehaut. Ameisen scheinen auf
der Haut zu krabbeln, ohne von der Stelle zu kommen; der ganze
Körper wird unangenehm heiß oder man bekommt Schüttelfrost.
Überströmende Begeisterung (okkantika piti) – Sie ergreift den
ganzen Körper, der beginnt zu schwanken, oder ein Zittern läuft durch
den ganzen Körper. Das Gesicht, Hände oder Füße verkrampfen sich,
man lehnt nach einer Seite; der Körper wird von Wellen erfaßt und
ruckelt, oder man fühlt ein Strömen wie ein Stock, der in einem
fließenden Gewässer festgesteckt ist.
Erhebende Begeisterung (ubbega piti) – manchmal fühlt sich der
Körper leicht an und beginnt zu schweben, man spürt den
Bodenkontakt nicht mehr. Der Körper wird größer und steigt auf. Dann
wieder macht der Körper eine deutliche Beugung vor und zurück,
verharrt kurz und richtet sich wieder auf. man bekommt plötzlich einen
Stoß von der Seite oder von hinten. Manchmal nimmt man den Körper
verdreht wahr, das Gesicht scheint zur Seite gedreht, aber wenn man
die Augen öffnet, blickt man nach vorn. Die Hände erheben sich
manchmal vom Schoß und werden steif in der Luft gehalten. Der Kiefer
macht Kaubewegungen.
Durchdringende Begeisterung (pharana piti) – Der Übende kann
nur staunen über die eigenartigen, nie gekannten Erfahrungen, die er in
diesem Körper macht. Er genießt angenehme, erfrischende Kühle, für
die er keinen Vergleich findet. Manchmal möchte er sitzenbleiben und
nie wieder aufstehen, er hat keinen Wunsch auch nur die Augen zu
bewegen, zu zwinkern oder zu schlucken. Der ganze Körper juckt
zeitweise sehr stark, dann wieder schauert eine ekstatische Welle
prickelnden Gefühls von den Füßen zum Kopf, und umgekehrt.
Manchmal tritt man in tiefen Frieden ein.
3.Innere Ruhe (passaddhi) – Ein Gefühl angenehmer Kühle macht sich
im Körper breit. Man fühlt sich erfrischt, leicht und geschmeidig, geistig
und körperlich belastbar. Das Noten fällt leicht und man ist zufrieden mit
der Meditation. Aggressionen werden besänftigt und man fühlt sich
sediert wie vor dem Einschlafen. Das Körpergefühl bietet keine
Extreme. Wer zu Ärger neigt, wird durch diese Geisteskraft friedlich und
freundlich.
4.Glücksgefühl (sukha) – Man fühlt sich entspannt, behaglich, und
genießt die Meditation. Manche sagen, sie seien in ihrem ganzen
Leben noch nie so glücklich gewesen, sie möchten ihren Freunden und
Verwandten erzählen, wie gut es ihnen geht, oder sie sind dem Lehrer
dankbar, der ihnen geholfen hat, dies zu erreichen. Manchmal bleibt
nur reiner, klarer Geist. Dann soll man noten: ‘klar, klar.’
5.Vertrauen (adhimokkha) – Der Übende hat starke Zuversicht,
bewundert den Lehrer und möchte ihn oft sehen. Man muß
noten: ‘vertrauen…,’ ‘hoch achten..’. Manche stellen sich vor, ihre Eltern
und Freunde zur Meditation zu überreden. Sie müssen noten:
‘denken…, reden…’. Man ist entschlossen, umfassend weiter zu üben.
6.Anstrengung (paggaha) – Selbst wenn es dem Übenden, trotz aller
Ermutigung durch den Lehrer, anfangs schwerfiel, die Energie für die
Praxis aufzubringen, ist er jetzt voller Tatendrang und meditiert
gewissenhaft und fleißig. Man hat unerschöpfliche innerliche Kraft,
sodaß die Übung nicht mehr ermüdet. Man ist entschlossen, bis zum
Tode zu üben und steckt zuviel Energie in die Übung, ist aber nicht
immer klarbewußt und verliert daher oft die Konzentration.
7.Achtsamkeit (upatthana) – Man hat das Gefühl, alles noten zu
können, die kleinsten Bewegungen werden beobachtet. Manche
machen sich einen Sport daraus, die Objekte
zu jagen, oder abzuschießen, sie möchten noch mehr erleben, um ihre
Achtsamkeit schärfen zu können. Man genießt die Klarheit der
Wahrnehmung und das deutliche Erkennen der drei Merkmale. Das
Exzessive an dieser Achtsamkeit verführt dazu, daß man die
Gegenwart nicht mehr notet und beginnt über die Vergangenheit
nachzudenken.
8.Wissen (nana) – Der Meditierende ist sich bewußt, daß er durch die
Meditation ganz spezielles Wissen erworben hat. Vor allem die fünf
Bündel des Anhaftens kennt er gründlich durch und durch. Vorher
kamen ihm die drei Merkmale abstrakt und schwer faßbar vor, aber jetzt
erkennt er ganz klar, daß die Anfangs-, die mittlere und die End-Phase
aller Phänomene, die er notet, die drei Merkmale besitzen. Dieses
Wissen führt oft zu Gedanken, sodaß man das gegenwärtige Objekt
verliert, oder man beginnt, die Beobachtungen zu kommentieren statt
sie zu noten.
9.Gleichmut (upekkha) – Der Übende fühlt sich völlig losgelöst und
unbeeinflußt, ohne die geringsten Sorgen und andere Belange.
Man ist weder froh noch enttäuscht über die Erlebnisse; dieser
Gleichmut führt aber zu allgemeinen Desinteresse, man notet nicht
mehr, und der Geist fängt an, äußeren Objekten zu folgen. Oder der
Geist wird gleichgültig und unachtsam, ohne an etwas zu denken. Dann
wird das Heben/Senkenunklar.
10.Anhaften (nikkanti) – Die neun bisher beschriebenen
Phänomene – Licht, Begeisterung, Ruhe, Glück, Vertrauen, Energie,
Achtsamkeit, Wissen, Gleichmut – werden zu Verzerrungen des
Klarblicks wegen dieses zehnten: dem Anhaften, der Befriedigung, dem
Genuß dieser Nebenerscheinungen der Entwicklung des Geistes. In
sich selbst sind diese Geisteskräfte natürliche Merkmale des
gesammelten Geistes und als solche förderlich für die weitere
Entwicklung, aber aufgrund des Anhaftens mißversteht man die
Erlebnisse und vergißt sie zu noten. Man glaubt, dies seien
zuverlässige, dauerhafte Zustände und hält sie für den Gipfel der
Entwicklung. Das Anhaften verdirbt ihre Art aber und macht sie zu
Hindernissen.
Vier Arten der Selbstvergessenheit
Einige der Verzerrungen des Klarblicks können so stark werden, daß sie die
Achtsamkeit überwältigen, sodaß man sich verliert. Es gibt vier Ursachen,
wenn man in der Meditation die klare Bewußtheit verliert und sich selbst
vergißt, drei davon sind Verzerrungen des Klarblicks.
Wenn man die Erfahrung gemacht hat, sich in der Meditation zu verlieren,
sodaß man nicht mehr weiß, wo man war oder was man erlebt hat, dann
sollte man versuchen herauszufinden, woran das gelegen hat. Es kann zum
Beispiel so vor sich gehen, daß man ‘heben/ senken’ eine lange Zeit notet,
aber dann den Faden verliert und schlaftrunken da sitzt, weil Energie und
Konzentration nicht ausgeglichen sind. Energie ist schwach, und
Konzentration ist zu stark, bis man schließlich alles vergißt. Das zeigt, wie
das Hindernis Trägheit (tinha-middha) die Achtsamkeit verdrängt.
Was fast alle Meditierenden kennenlernen, ist Selbstvergessen durch
Begeisterung (piti). Man notet ‘heben ’ und ‘ senken’ eine zeitlang
kontinuierlich, und dann hat man einen plötzlichen Aussetzer, verliert sich
momentan und zuckt zusammen. Diese Unterbrechung der
Bewußtseinskontinuität (santati) wird verursacht von Begeisterung.
Es kann auch sein, daß man sich sehr ruhig fühlt, kühle und reine
Empfindungen den Körper durchziehen, als säße man auf einem Eisblock.
Diese angenehme Kühle macht unaufmerksam, bis man sich selbst
vergißt. Dann kommt man wieder zurück, notet weiter, aber verliert sich
wieder. Das zeigt Vergessenheit aufgrund von Ruhe.
Die letzte Art der Selbstvergessenheit geht auch von einem Gefühl der
Gleichgültigkeit aus: Man ist nicht wirklich aufmerksam und ruhig, sondern
läßt sich in das Gefühl sinken und wird geistig immer stumpfer, bis man fast
ohnmächtig ist. Dann verliert man sich. Diese Art, die Bewußtheit zu
verlieren, ist von Gleichmut (upekkha) verursacht.
Diese vier Arten der Selbstvergessenheit sind gar nicht gut. Sie sind ein
falscher, ein künstlicher Weg. Wenn der Meditierende solche Erlebnisse hat
und stolz darauf ist, oder sie mit Befriedigung annimmt, wird er sich daran
gewöhnen, solche Zustände immer wieder zu erleben. Er kann dann keine
weiteren Fortschritte machen, und die wirkliche Überwindung des
illusorischen Ego durch den edlen Pfad bleibt ihm versperrt.
Zumindest istdies die Schuld des Lehrers. Der Lehrer ist nämlich verpflichtet,
den Meditierenden genau aufzuklären, was er da erlebt, und was er tun muß,
um das geistige Gleichgewicht herbeizuführen.
Wenn der Lehrer ihm die Anweisung gibt, nicht an diesen Objekten
anzuhaften, sie nicht festzuhalten, dann muß der Übende die Achtsamkeit auf
die Gegenwart richten, sodaß er das Entstehen und Vergehen dieser
Phänomene wahrnimmt. Solange man sich in der schwachen Phase des
‘Wissens vom Entstehen und Vergehen’ befindet, werden die Bilder,
Körperempfindungen und Geisteszustände, die aus der Entfaltung
meditativer Geisteskräfte resultieren, nur langsam verschwinden, wenn man
sie notet; sie verblassen allmählich oder werden nach und nach weniger.
Aber wenn der Klarblick das ‘starke Wissen vom Entstehen und
Vergehen’ erreicht hat, und notet irgendein Phänomen, dann verschwindet es
sofort, manchmal zerfallen die Erlebnisse förmlich aufgrund der Anwendung
von Achtsamkeit, oder sie lösen sich in nichts auf. Dann wird das Entstehen
und Vergehen sehr deutlich und umfassend erkannt. Es ist echter, reiner
Klarblick, der in den folgenden Schritten des Klarblickwissens weiter vertieft
und verfeinert wird.
DER KLARBLICK-PFAD
Die starken Klarblickschritte
Die Entwicklung in den ersten drei Klarblickwissen und dem schwachen
‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ wird der ‘vorbereitende Pfad’ genannt,
weil die Objekte der Meditation noch nicht gründlich erforscht und verstanden
worden sind. Wenn man anfängt, Achtsamkeit zu üben, erkennt man nur, daß
der Geist undiszipliniert, chaotisch und auf die Wirklichkeit nicht
vorbereitet ist. Es gibt viele Unterbrechungen der Achtsamkeit, man träumt oft
und merkt es erst später. Die Objekte, die man betrachten soll, erscheinen
zumeist unklar, formlos, ungreifbar. Deshalb beginnt der Geist, gewohnte
Vorstellungen auf die Objekte zu projizieren und konzentriert sich mehr
darauf als auf die eigentlichen Empfindungen.
Wenn die Konzentration besser wird, kann man das gegenwärtige Objekt
manchmal unbefangen so sehen wie es ist; man beachtet nur die erlebten
Merkmale des Hebens und Senkens der Bauchdecke, oder der Bewegung
der Füße, ohne eine Vorstellung der anatomischen Form dieser Objekte zu
visualisieren. Dann taucht das erste Klarblickwissen auf. Es kann die realen
materiellen Phänomene, die man erlebt, anhand ihrer spezifischen Merkmale
unterscheiden und stellt auch fest, daß Geisteszustände mit eigenen
Merkmalen die Abfolge der körperlichen Objekte begleiten. Der Meditierende
kann in der Betrachtung aber noch nicht erkennen, wie die Erlebnisse
zustandekommen.
Das zweite Wissen eröffnet dem Übenden den Einblick in die bedingte
Entstehung von Geist und Körper. Die Achtsamkeit kann jetzt länger die
wechselnden Objekte anhand ihrer besonderen Merkmale erkennen. Die drei
allgemeinen Merkmale aller bedingten Phänomene werden jedoch noch nicht
sehr klar erfaßt, weil man vorwiegend damit beschäftigt ist, die
unterschiedlichen Elemente des Erlebens in der Gegenwart korrekt zu
identifizieren.
Erst wenn das dritte Wissen sich bemerkbar macht, gewinnt man ein
Verständnis für die allgemeinen Merkmale von Geist und Körper. Jedesmal,
wenn die Achtsamkeit das gegenwärtige Objekt an seiner Eigenart erkennt,
stellt man fest, daß es vergänglich ist, daß es auftaucht, eine Reaktion im
Geist auslöst und dann sogleich verschwindet, bevor irgendetwas daraus
werden kann. Das ist nichts, was man sich wünschen würde, es ist
unbefriedigend. Aber die Elemente von Geist und Körper folgen ihrer Natur
und entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen, die nicht zu
kontrollieren sind. Sie haben keine echte Substanz, sind flüchtige
Erscheinungen, die dem Übenden die Vorstellung von Leere nahebringen.
Das ist das Merkmal ‘kein Selbst.’
Die drei Merkmale werden also erst im Laufe der Übung als reale Aspekte
des Erlebens entdeckt, wenn man das gegenwärtige Objekt mit mehr
Kontinuität noten kann. Das Verständnis bleibt aber zunächst auf die
materiellen Objekte beschränkt. Geisteszustände, Emotionen und besonders
die meditativen Geisteskräfte, die in der Übung entstehen, werden noch nicht
so distanziert betrachtet, daß man sie als unpersönliche Erzeugnisse der
Natur sehen kann. Man identifiziert sich mit ihnen, haftet an ihnen in dem
Glauben, sie seien die eigene Persönlichkeit und man brauche sie deshalb
nicht zu noten.
Erst wenn in der Übung die Verzerrungen des Klarblicks durch achtsames
Noten abgelegt werden, können auch diese subtilen Geisteszustände ganz
unpersönlich betrachtet werden wie alles andere: als bedingte Phänomene,
die nur die allgemeinen Merkmale erkennen lassen.
Beginnend mit dem starken ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen,’ werden
die allgemeinen Merkmale der bedingten Phänomene kontinuierlich zum
Objekt der Konzentration. Jedesmal, wenn man etwas notet, macht der Geist
den Versuch, dieses Phänomen vollständig zu verstehen, und die
Konzentration entwickelt sich durch vier Stufen:
Vorbereitung (parikamma). Achtsamkeit identifiziert die spezifischen
Merkmale (sabhava lakkhana) des Objekts und benennt es.
Zugang (upacara). Anhand der spezifischen Merkmale beobachtet
Achtsamkeit die absolute Wirklichkeit des gegenwärtigen Objekts und wird
dadurch der drei allgemeinen Merkmale (samanna lakkhana) gewahr;
Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und Substanzlosigkeit.
Aufstieg (anuloma). Die Wahrnehmung der drei Merkmale wird zum
Sprungbrett, um eine lebhafte Intuition der vier edlen Wahrheiten zu
erreichen. Um diese Funktion zu erfüllen, wird aber volle Konzentration
gebraucht.
Abstieg (patiloma). Solange die Konzentration des Meditierenden noch keine
Vertiefungsstärke erreicht hat, bleibt es bei dem Versuch der Durchdringung
der Wahrheiten, und der Geist fällt zurück auf das unbewußte Kontinuum.
Nachdem die Verzerrungen des Klarblicks überwunden sind, kommen die
geistigen Kräfte (indriya) ins Gleichgewicht. Der weitere Fortschritt durch die
starken Klarblickwissen beruht ausschließlich auf der kontinuierlichen
Arbeit an der Vervollkommnung der Erkenntnis, die mit dem vierten Wissen
einsetzt. Während der ‘vorbereitende Pfad’ noch Schwankungen im
Verständnis der Objekte zeigt, und der Meditierende manchmal unsicher wird,
was das Ziel der Meditation betrifft, so geht es auf dem ‘Pfad des
Klarblicks’ darum, durch die unabläßige Bewahrung des gegenwärtigen
Objekts die latenten Neigungen des Geistes und die damit verbundenen
konditionierten Verhaltensmuster zu schwächen, bis sie endgültig ihre Macht
verlieren und den Weg freigeben für die Verwirklichung von Nibbana. Wenn
die Konzentration volle Stärke erreicht, entwickelt sie sich im Moment des
Notens nach Vorbereitung, Zugang und Aufstieg weiter zur Vertiefung mit den
Phasen Reifung, Pfad und Frucht (gotrabhu, magga, phala).
5.) Wissen der Auflösung
Wenn der Meditierende das Gleichgewicht der Geisteskräfte gefunden hat,
kann Achtsamkeit das gegenwärtige Objekt mit größerer Genauigkeit
erfassen und nimmt das ‘Entstehen und Vergehen’ von Geist und Körper
wahr, wie es wirklich ist. Die drei Merkmale zeigen sich in allen Phänomenen.
Die Meditation schreitet ungehindert fort, ohne daß der Übende irgendeiner
Schwierigkeit begegnet.
Danach beschleunigt sich das noten auf einmal. Sogar das Heben und
Senken der Bauchdecke entsteht und vergeht schneller als zuvor. Später
realisiert man nur noch das Verschwinden aller Objekte, und die
Geschwindigkeit mit der die einzelnen Eindrücke sich auflösen. Manchmal
muß man ‘wissen, wissen’ noten, um sich nicht zu verheddern. Manche Leute
finden, daß die Objekte nicht mehr klar sind, oder daß sie in dem Moment
verschwinden, wo sie erlebt werden: die Objekte verschwinden zusammen
mit dem notenden Geist. Während der Gehmeditation nimmt diese Erfahrung
die Form jäher, ruckartiger Erkenntnis an: Kaum hat man genotet, da
verschwinden Geist und Körper, als wären sie von jemandem weggenommen
worden. Im Sitzen fühlt man sich bisweilen leer; man weiß nicht recht, was
man überhaupt noten soll. Man fühlt sich entmutigt, weildie Objekte nicht
mehr so klar sind wie früher. Kaum hat man etwas genotet, da löst es sich in
nichts auf. Es kommt einem schwierig vor, diese undeutlichen Eindrücke zu
noten, die mit halsbrecherischem Tempo im Nichts verschwinden, oder man
kann sie nicht mit der gewohnten Sicherheit noten, weil das, was man notet,
nur noch anhand des Verschwindens bemerkt wird. Dann hat der Übende
das ‘Wissen der Auflösung’ (bhanga-nana)erreicht.
6.) Wissen der Furcht
Wenn man den sechsten Klarblickschritt, ‘Wissen der Furcht’ (bhayanana) erreicht hat, hängen die Objekte und die notenden Geisteszustände
noch enger zusammen und verlöschen immer gemeinsam. Weil die Objekte
und auch der Geist immer wieder verschwinden, bekommt man Angst. Diese
Furcht ist anders als die Furcht vor gewalttätigen Menschen, wilden Tieren
oder schrecklichen Waffen. Man fürchtet sich und kann nicht
sagen, wovor man sich eigentlich fürchtet. Manche Leute noten die GeistKörper-Verbindung und sehen sie jedesmal verschwinden, und die Angst wird
von Mal zu Mal stärker. Bei anderen wird die Konzentration sehr stark;
plötzlich ist der Körper weg und sie haben Angst. Die Eigenart dieses
Klarblickwissens entsteht aus der Wahrnehmung der Auflösung, die mit dem
fünften Wissen einsetzt.
7.) Wissen des Elends
Wenn dieses Wissen auftaucht, hat der Übende den Eindruck, daß alles, was
er notet, elend, erbärmlich und ungenügend ist. Auch das Heben und Senken
der Bauchdecke werden als völlig unzureichend und elend gesehen, als eine
bedrückende Last, als krank oder zwanghaft. Man hat das Gefühl, es wäre
besser, es gäbe nichts mehr zu noten. Die Objekte der sechs Sinne und alles
Gestaltete kommen einem miserabel und wertlos vor. Dies istdas ‘Wissen
des Elends’ (adinava-nana).
8.) Wissen des Überdrußes
Manche Übende sagen, sie könnten gut noten, aber sie fühlen sich
verzweifelt, erschöpft, als wären sie lustlos bei der Sache. Obwohl sie weiter
meditieren, fühlen sie sich gar nicht wohl. Manche betrachten alles, was sie
sehen, als abstoßend, bei anderen entsteht beim Meditieren ein Gefühl von
Trostlosigkeit. Aber sie haben nicht einmal den Wunsch, mit jemanden zu
sprechen. Sie bleiben nur in ihrem Zimmer. Einige reflektieren über die
verschiedenen Ebenen der Wiedergeburt und finden nirgendwo eine Zuflucht.
Selbst eine Existenz als Deva oder als Brahma finden sie schrecklich
langweilig und unattraktiv. Der Überdruß in der Betrachtung von Geist-undKörper entwickelt sich ganz allmählich beginnend mit dem vierten Wissen, bis
man dieses achte Wissen erreicht: ‘Wissen, das Geist und Körper mit
Überdruß betrachtet’ (nibbida-nana).
9.) Wissen des Verlangens nach Befreiung
Wenn der Meditierende die Übung fortsetzt, wird er Moskitostiche und
Ameisenbisse spüren, oder kleine Insekten scheinen auf dem Körper zu
krabbeln. Man empfindet wieder häufiger Juckreiz an vielen Stellen. Manche
können nicht mehr ruhig sitzen. Sie werden ganz unruhig. Zuerst wollen sie
sitzen, aber dann finden sie das Sitzen unerträglich und stehen wieder
auf, als wollten sie weggehen. Sie finden keine Ruhe. Einige denken, daß es
in der ganzen Welt keinen guten Ort gibt und nirgends etwas Gutes zu finden
sei. Der Geist hat nur einen Wunsch: Still werden, zur Ruhe kommen, um das
Verlöschen (nibbana) zu erreichen.
Manche Leute haben genug von allem und möchten nicht mehr noten. Sie
packen ihre Sachen zusammen und wollen aufhören. Die bedingten
Phänomene zerfallen andauernd zu nichts, jedesmal, wenn man die
Achtsamkeit auf sie richtet. Also findet man nichts Erfreuliches mehr, nichts,
was man genießen oder was einen zufrieden stellen könnte, und nichts, was
sich lohnen würde, daran zu haften. Der Meditierende möchte sich befreien
von den Gestaltungen von Körper und Geist, er möchte ihnen
entkommen. Wissen mit diesen Anzeichen heißt ‘Wissen des Verlangens
nach Befreiung’ (muncitu-kamyata-nana).
10.) Wissen der großen Bemühung
Der Meditierende stellt fest, daß die Objekte, die er notet, immer
verschwinden. Sie lösen sich so rasch auf, daß er nichts Dauerndes,
Zuverläßiges oder Haltbares finden kann. Er findet nur Phänomene, die mit
den drei Merkmalen ausgestattet sind: vergänglich, bedrückend und
wesenlos. Diese drei Merkmale treten immer deutlicher zutage und
beeindrucken die Achtsamkeit viel mehr als alle spezifischen Merkmale der
individuellen Erlebnisse. In der Sitzmeditation fühlen manche, daß die
Hände oder Füße ungewöhnlich schwer sind und gleichzeitig vibrieren, als
wären sie elektrisch geladen.
Manche Leute haben juckende Empfindungen. Später dann sind die Hände,
die Füße oder der Körper verspannt und schwer. Einige hören klagende
Geräusche im Ohr, als würde der Wind durch eine Öffnung heulen. Das
Geräusch stört sie; es ist sehr unangenehm und sie wünschen, ihm zu
entgehen. Heben und Senken sind gut zu noten, und man sieht sie Moment
für Moment auftauchen und verschwinden. Manchmal hat man ein Gefühl der
Brustkorbenge. Das kann soweit gehen, daß der Atem behindert wird. Dieses
Wissen bildet den Ausgangspunkt für die höheren Wissensstufen, die mit
dem überweltlichen Pfad verbunden sind. Es ist das ‘Wissen der Großen
Bemühung’ (patisankha-nana), oder der wiederholten Betrachtung, um das
Ziel des geistigen Weges zu erreichen, Nibbana, das Element der
Wirklichkeit, das die Flammen des Leidens löschen kann.
11.) Wissen des Gleichmuts vor Gebilden
Der Übende wird sagen, daß er nicht weiß, ob seine Meditation gut
läuft oder nicht. Dabei macht er in Wahrheit täglich Fortschritte. Das ist aber
kein Wiederspruch, denn auf der Basis eines starken neutralen Gefühls
(adukkham-asukha-vedana), wie es sich im elften Wissen entwickelt, trifft der
Meditierende keine Werturteile mehr. Obwohl er nicht sagen würde, daß es
schlecht läuft, heißt das nicht, daß er die Meditation gut findet. Früher hatte er
die Meditation immer als gut oder schlecht bezeichnet – und auch empfunden
– aber jetzt weiß er selbst nicht mehr, ob sie gut oder schlecht ist. Und
das ist ein sicheres Anzeichen, daß er wirklich das elfte Wissen erreicht hat.
In der Meditation fühlt man sich leichter und wendiger, man notet zügiger und
direkter, intelligenter als vorher. Im Sitzen und im Liegen kann man die
Betrachtung in entspannter Verfassung ausführen, ohne sich anzustrengen;
wie ein guter Fahrer in einem guten Wagen auf guter Straße.
Manche sagen, sie können erstaunlich lange sitzen, ohne die geringsten
Schmerzgefühle oder andere Belastungen. Egal, welche Sitzhaltung sie auch
einnehmen, sie fühlen sich darin wohl. Das Noten geht auch problemlos –
synchron mit den aufsteigenden Erlebnissen. Sie brauchen den Geist nicht
mühsam zu dirigieren, sondern richten einfach die Achtsamkeit auf das
gegenwärtige Objekt, und alles Weitere kann für sich selbst sorgen.
In dieser Phase der Entwicklung denkt der Geist nicht mehr. Vielleicht möchte
der Meditierende über etwas nachdenken, aber der Geist fängt nicht damit
an, sondern bleibt weiter beim Heben und Senken der Bauchdecke, und geht
nicht mehr von dort weg. Die auftauchenden Absichten werden mit Gleichmut
zur Kenntnis genommen und verlöschen wie alles andere ohne Wellen zu
schlagen, ohne Wirkung zu zeigen. Dann muß der Übende manches Mal mit
Weisheit entscheiden, was er zu tun hat, und muß die Absicht durch
bewußten Willensentschluß gültig machen, dann wird er alles Nötige zur
richtigen Zeit auch tun.
In früheren Wissensschritten bewegte sich der Geist oft im Körper umher und
notete Berührungsobjekte, die er dort fand; das ist jetzt vorbei. Der Geist
bleibt beim Heben/Senken, er vermißt die Vielfalt nicht und ist nicht neugierig
auf das gegenwärtige Objekt. ‘Heben’ und ‘senken ’ werden unterdessen
allmählich immer feiner, gleichmäßiger, wie gut gekneteter Teig. Aber egal,
wie fein die Bewegung auch wird, man kann sie immer gut wahrnehmen und
noten. Das ist die Praxis des echten ‘Mittleren Weges.’ Man nennt
sie ‘ Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ (sankharupekkha-nana).
Sechs Eigenschaften des Gleichmuts vor Gebilden (sankharupekkha)
1.Abwesenheit von Furcht, Erwartung, Überschwang – in Bezug auf alle
Objekte von Geist und Körper.
2.Abwesenheit von Übereifer und Anstrengung.
3.Abwesenheit von Schwierigkeiten wie Schmerz.
4.Abwesenheit von Haltungswechseln.
5.Abwesenheit von spontanen Objektwechseln.
6.Zunehmende Feinheit – von Objekt und notendem Geist.
Tauchen diese Eigenschaften auf, wenn der Übende in gerader Folge durch
die aufsteigenden Schritte des Klarblicks geübt hat – angefangen vom
‘Analytischen Wissen von Geist und Körper’ über das starke ‘Wissen vom
Enstehen und Vergehen’ – dann ist es sicher, daß er jetzt das ‘Wissen des
Gleichmuts vor Gebilden’ (sankharupekkha-nana) erreicht hat.
Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ zum ersten Mal
auftaucht, sind diese Eigenschaften aber noch nicht hervorstechend. Man
muß es pflegen und entwickeln, bis der Gleichmut (upekkha) stark, fest und
unerschütterlich wird. Da die Stärke der individuellen meditativen Entwicklung
hier maßgeblich wird, kann das für manche Leute viel Zeit beanspruchen und
beharrliche Bemühung bedeuten. Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts’ schnell
stark wird, dann hat es diese Stärke vom starken vierten Wissen. Da werden
die drei allgemeinen Merkmale – vergänglich, leidhaft, kein Selbst – zum
führenden Objekt der Konzentration. Wurden sie klar und stark aufgefaßt,
dann geht auch der Aufstieg durch die starken Klarblickwissen rasch und
deutlich, und der Gleichmut festigt sich bald, nachdem er aufgetaucht ist.
Wenn der Meditierende das vierte Wissen mit weniger Schub – also mit
weniger ausgeprägter Auffassung der drei Merkmale – erreicht hat, treten
auch die starken Klarblickwissen weniger deutlicher auf. Einzelne sind für den
Meditierenden nicht klar auf die Wahrnehmung der drei Merkmale
zurückzuführen. Wenn man dann den ‘Gleichmut vor Gebilden’ erreicht, wird
die Konzentration nur wenige Stunden stark bleiben. Man verliert sie immer
wieder und hat Erlebnisse des neunten und zehnten Wissens. Dann muß
man mit Beharrlichkeit die Konzentration aufbauen, indem man diese
Erlebnisse richtig notet. Dadurch wird man Experte in den höheren Stufen
des Klarblickpfades und im Eintreten in den Gleichmut und entwickelt so
die Stärke der Konzentration, bis man den Gleichmut nicht mehr verliert. Dies
kann man verdeutlichen durch den Vergleich mit der Krähe im Ausguck –
In früherer Zeit nahm der Kapitän eines Schiffs immer eine Krähe im Käfig
mit, wenn er auf See ging. Damals war der Kompaß nämlich noch nicht
erfunden. Auf hoher See, außer Sicht des Landes, mußte man sich nach
Sonne, Mond und Sternen richten.
Wenn dann ein Sturm aufkam, und der Himmel hing bedeckt mit dräuenden
Wolken und regenverhangen über dem Schiff, das in der windgepeitschten
See rollte, dann gab es keine Navigationshilfen mehr. Das Schiff lief Gefahr,
den Kurs zu verlieren, und die Mannschaft wußte nicht, wie sie den Kurs
halten sollte. Unter solchen Witterungsbedingungen nahm der Kapitän –
wollte er herausfinden, in welcher lag – die Krähe aus ihrem Käfig heraus
und ließ sie fliegen.
Wenn die Krähe frei war, flog sie zuerst auf den Mast und hockte sich auf den
Mastkorb, um von da Ausschau nach Land zu halten. Wenn sie kein Land
sehen konnte, flog sie vom Ausguck hoch in die Luft, um weiter sehen zu
können. Wenn sie immer noch kein Land sah, ließ sie sich wieder auf dem
Mastkorb nieder, um zu rasten. Später nahm sie ihre ganze Kraft zusammen,
stieg noch höher auf und prüfte die Richtungen erneut. Konnte sie auch jetzt
noch sehen, kehrte sie wieder zum Ausguck zurück. Das wiederholte
sich, bis sie entdeckte. Dann flog sie sofort und geradewegs darauf zu, und
der Kapitän konnte ihr mit dem Schiff folgen.
Das schwache ‘Wissen des Gleichmuts’ ist wie die Krähe im Ausguck. Wenn
man sich in der Übung angestrengt hat, bis das ‘Wissen des
Gleichmuts’ auftaucht, aber es ist nicht stark genug, um sich in wenigen
Stunden bis zur Vertiefungskonzentration zu festigen, dann geht das Wissen
immer hin und her, vom ‘Wissen des Verlangens nach Befreiung’ zum
‘Wissen der großen Bemühung’ und dem schwachen ‘Wissen des
Gleichmuts.’ Der Grund liegt in der schwächeren Kraft der Intuition, mit der
die drei Merkmale beim Noten jedesmal von den spezifischen Merkmalen
abgeleitet werden. Diese Schwäche besteht seit dem vierten Wissen und
bildet jetzt die letzte Stufe der Hindernisse, weil die Konzentration nicht lange
genug anhält, um die nötige Stärke zu bekommen für den edlen Pfad.
Möglicherweise fehlt dem Übenden auch die Fähigkeit zu weiterem
Fortschritt, oder er mag gehindert sein durch ein besonderes kamma, das
erst geklärt werden muß.
Im allgemeinen entstehen die Hindernisse dieser Stufe durch Gedanken und
Stimmungen, Objekte also, die auf dem Gebiet der ‘Betrachtung des Geistes’
(cittanupassana) liegen: unvernünftige Sorgen, Aufregung und Vorahnungen
können den Verlust des Gleichmuts bedeuten. Daher muß der Meditierende
den folgenden Objekten besondere Aufmerksamkeit zuwenden –
1.Körperliche Schmerzen – Man wird feststellen, daß auch stechende,
scherende Schmerzen, die bisweilen auftreten, verschwinden, wenn sie
entschieden genotet werden.
2.Geistiges Gefühl – Glück, Wonne, Erwartung, Enttäuschung, und
Ähnliches. Da diese Gefühle Aufregung erzeugen, wenn sie nicht
genotet werden, muß man sie kräftig noten, wenn man sie erlebt, um
die wahre Natur des geistigen Gefühls zu erkennen.
Manchmal fühlt man sich sehr losgelöst und beginnt dann, sich Sorgen
zu machen. Das kommt, weil man nicht daran gewöhnt ist, neutrales
Gefühl so klar und deutlich zu erleben. Jeder Wechsel der Gefühle muß
sofort anerkannt und genotet werden.
3.Gedanken – Urteile und Schlußfolgerungen, die in der Betrachtung
auftreten können. Diese sind nur geistige Objekte, die entstehen und
vergehen, sie haben keine Substanz und helfen nicht, die Wirklichkeit
zu sehen. Wenn man sie nicht notet, denkt man: “Das bin ich, der
denkt.” Dann verfängt man sich in den nachfolgenden Stimmungen.
Wenn der Übende die Achtsamkeit gewissenhaft auf alle geistigen Objekte
anwendet, dann schafft er dadurch eine breite Basis für Gleichmut, und er
wird dann verstehen, daß alle Gedanken durch Bedingungen hervorgerufen
werden, sie sind nicht wichtig und haben nichts mit ihm zu tun. Dann wird der
Geist aufhören, auf die verschiedenen Gedanken einzugehen, er bleibt von
ihnen unberührt und zieht sich darauf zurück, Aufstieg und Zerfall aller
Objekte in der Gegenwart zu bezeugen, ohne Unterscheidungen zu treffen. In
dieser Weise werden die sechs Eigenschaften des ‘Gleichmuts vor
Gebilden’ offenbar.
DER ÜBERWELTLICHE PFAD
Klarblick der zum Entrinnen führt
Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ stark und anhaltend wird,
erreicht der Meditierende den Höhepunkt des Klarblickpfades, den ‘Klarblick,
der zum Entrinnen führt’ (vutthana-gamini-vipassana). An diesem Punkt der
Entwicklung wird eines der drei allgemeinen Merkmale – Vergänglichkeit, ,
nicht-Selbst – zum alleinigen Brennpunkt der Konzentration. Es wird mit
umfassender, von Mal zu Mal sich verstärkender Klarheit genotet und führt zu
einem tiefen, unmittelbaren Verstehen der Natur bedingter Phänomene
(sankharadhamma).
Erst jetzt sieht man wirklich, wie man den bedingten Phänomenen entgehen
kann. Man versteht der Wahrheit entsprechend den Weg, den Buddha gelehrt
hat, und nachdem die Unklarheit sich aufgelöst hat, wird der Geist den als
richtig erkannten Weg auch unverzüglich gehen. Dies ist der notwendige
Auslöser für den unmittelbar folgenden Bewußtseinsprozeß des edlen
Pfades, der die fünf restlichen Wissensschritte in sich vereinigt. Der
Pfadprozeß wird bezeichnet nach demjenigen der drei Merkmale, das zu
seinem Auftauchen geführt hat –
1.Wenn der Geist ‘Vergänglichkeit’ betrachtet, entwickelt er die
Vorstellung ‘kein Bild’ und erreicht die ‘Bildlose Befreiung.’
2.Wenn der Geist ‘Leidhaftigkeit’ betrachtet, entwickelt er die
Vorstellung ‘kein Verlangen’ und erreicht die ‘Wunschlose Befreiung.’
3.Wenn der Geist ‘Substanzlosigkeit’ betrachtet, entwickelt er die
Vorstellung ‘kein Selbst’ und erreicht die ‘Leere Befreiung.’
12.) Wissen der Anpassung
Das ‘Wissen der Anpassung’ (anuloma-nana) ist der zwölfte Schritt des
Klarblickwissens. Es ist der letzte Akt des Bemerkens im ‘Klarblick, der zum
Entrinnen führt’ und zugleich der erste Wissensschritt im Bewußtseinsprozeß
des edlen überweltlichen Pfades. Dieses Wissen entwickelt die an
überweltliche Vertiefung angrenzende Sammlung (lokuttara upacarasamadhi) der momentanen Konzentration und hat als Objekt das Entstehen
und Vergehen der fünf Bündel des Anhaftens.
Das ‘Wissen der Anpassung’ betrachtet die Wirklichkeit in Übereinstimmung
mit den vier edlen Wahrheiten. Die fünf Bündel des Anhaftens sind die beiden
ersten Wahrheiten: Das Leiden und das Verlangen danach, welches den
Geist darin gefangen hält. Die Wahrheit des Verlöschens steht diesem
Wissen durch die momentane Auflösung von Körper und Geist deutlich vor
Augen, ohne aber als Objekt erfasst zu werden. Der Weg zu dieser
Erfassung des Verlöschens in Abwesenheit der fünf Bündel ist der Weg der
Entwicklung des Klarblickwissens, der hier kulminiert.
Das Bewußtsein, das von den sechs Sinnen herrührt, wird durch Kontakt
zwischen Sinnesorganen und ihren Objekten provoziert, aber unsere
Bewußtheit entwickelt sich vom Punkt des Kontaktes an in mehreren
Schritten, bevor der Akt des Wissens vollständig abgeschlossen ist. Dann
sinkt der Geist auf das unbewußte Lebenskontinuum zurück. Kann dieser
Prozeß aus irgendwelchen Gründen nicht vollständig ablaufen, dann haben
wir kein klares Bewußtsein eines Objekts und wissen deshalb gar nichts von
diesem Kontakt.
Auch in jedem Bewußtseinsprozeß, der von Achtsamkeit begleitet wird, also
jedesmal, wenn man das gegenwärtige Objekt notet, entwickelt sich die
Bewußtheit in mehreren Schritten, bevor der Akt des Wissens abgeschlossen
ist. Wie man das gegenwärtige Objekt mit Achtsamkeit wahrnimmt, ist davon
abhängig, wie stark seine charakteristischen Merkmale erfasst werden. Die
befinden sich auf der Ebene absoluter Realität. Sie wahrzunehmen bedeutet,
die gewohnten Vorstellungen von ‘Dingen’ und ‘Wesen’ als Objekte der
Achtsamkeit zu verlieren und sie einzutauschen gegen die formlosen, ständig
in Veränderung befindlichen Elemente der bloßen Sinneserlebnisse. Die
unmittelbaren Erlebnisse sind aber das ‘vorbereitende Objekt’ (parikamma
nimitta) für momentane Konzentration.
Wenn nach dem Beginn der Meditation die ‘Reinheit des Geistes’ eintritt,
kann man die beiden Phasen der Bewegung des Hauptobjekts deutlich
anhand der Körperempfindung unterscheiden. Die festumrissene Begrenzung
der Objekte fordert die Achtsamkeit heraus, zu erforschen, was an den
Grenzen geschieht und was zwischen den Grenzen liegt. An diesem Punkt
der Entwicklung beginnt der ‘vorbereitende Pfad’ mit den ersten drei
Klarblickwissen, die das jeweils anwesende Objekt in seinen Aspekten
‘Entstehen,’ ‘Dauer,’ und ‘Auflösung’ untersuchen.
Der vierte Schritt des Klarblicks bringt eine Veränderung des Klarblickobjekts
mit sich, indem man die sich ständig ablösenden Sinneseindrücke nicht mehr
nur anhand ihrer eigenen Merkmale betrachtet, sondern sie jetzt als
Repräsentanten der drei allgemeinen Merkmale auffasst. Diese sind das
‘aufgefasste Bild’ (uggaha nimitta), das momentane Konzentration sich
aneignet, wenn sie die Stärke der weltlichen angrenzenden Sammlung
(upacara samadhi) aus der Konzentrationsübung erreicht hat. Es beginnt hier
die Reihe der starken Klarblickwissen, die alle anhand der gegenwärtig
anwesenden Geist-Körper-Verbindung von Moment zu Moment immer nur die
drei Merkmale als Objekte des Wissens haben. Von diesem Punkt der
Entwicklung an treten in jedem meditativ geprägten Bewußtseinsprozeß –
jedesmal, wenn man notet – die vier Funktionen der Konzentration auf:
‘Vorbereitung, Zugang, Aufstieg, Abstieg’ (parikamma, upacara, anuloma,
patiloma). Der anuloma-Moment (Aufstieg, Anpassung) hat die Funktion, die
drei Merkmale zu erfassen. ‘Abstieg’ findet statt, weil die Anpassung des
Wissens an die vier edlen Wahrheiten nicht stark genug ist,
Vertiefungskonzentration (appana samadhi) zu erzeugen.
Im Verlauf des Fortschritts durch die starken Klarblickwissen wird das
Verständnis und die Wahrnehmung der drei Merkmale geschärft, und der
‘Aufstieg’-Moment wird immer stärker. Wenn der Meditierende das ‘Wissen
des Gleichmuts’ erreicht hat und sich beständig bemüht, den Gleichmut zu
vervollkommnen, dann, so heißt es, wird sein Vertrauen furchtlos, seine
Energie unerschöpflich, seine Achtsamkeit fest eingerichtet, seine
Konzentration geradlinig und sein Gleichmut unerschütterlich. Dann wird ihm
bewußt werden, daß das Pfadwissen sich anbahnt, und sein ‘Wissen des
Gleichmuts’ betrachtet alle Gebilde als vergänglich, leidhaft und nicht Selbst.
Jetzt geht der Bewußtseinsprozeß weiter bis zur Vertiefung: Nach
‘Vorbereitung’ und ‘Zugang’ folgen ‘Anpassung’ und ‘Reife’ (parikamma,
upacara, anuloma, gotrabhu). Die ersten drei Bewußtseinsmomente heißen
zusammengenommen ‘Wissen der Anpassung.’
Der Vorgang, der hier beschrieben wurde, ist die Entwicklung des ‘Aufstieg’ –
Moments in der Übung des reinen Klarblicks (suddha-vipassana-yana).
Es ist eine andere Geschichte, wenn der Meditierende zuvor schon weltliche
Konzentrationsübungen (samatha) betrieben und Versenkungsstufen (lokiyajhana) erreicht hat. Dann ist die Funktion ‘Anpassung’ – die fortlaufend
geübte Konzentration zu sammeln und umzuformen, bis sie stark genug ist,
Vertiefung zu erzeugen – schon gut entwickelt und kraftvoll. Die
Konzentrationsübungen passen die Konzentration an die feinstofflichen und
unkörperlichen Objekte der weltlichen Versenkungsstufen an. Wenn so
jemand seine geistige Kraft in der Klarblickübung einsetzt, ist seine
Entwicklung viel rascher, besonders wenn er die vierte feinkörperliche
Vertiefung beherrscht. Er übt auf der Basis von Versenkung, die er kurzfristig
betritt, und wenn er sie wieder verläßt, betrachtet er die Grundlagen der
Achtsamkeit, um momentane Konzentration auszubilden, denn die Aufgabe in
der Klarblickübung besteht darin, von Moment zu Moment die wahre Natur
von Körper und Geist zu betrachten.
Der Versenkungserfahrene besitzt Reinheit des Geistes vom Beginn der
Übung an, seine Hindernisse sind völlig unter Kontrolle, und er hat keine
Schwierigkeiten, das ‘vorbereitende Bild’ und das ‘erworbene Bild’ der
Klarblickmeditation zu erfassen und das starke ‘Wissen vom Entstehen und
Vergehen’ zu erreichen. Er wird nicht von den Verzerrungen behindert, denn
er kennt sich aus mit verschiedenen geistigen Objekten (nimitta) und weiß zu
verhindern, daß er sich an die falschen hängt. Er hat Kontrolle über seine
Konzentration und kann sie auf das korrekte ‘Bild’ einstellen – die drei
Merkmale. So geht er rasch durch die Klarblickwissen, und der ‘Aufstieg’ –
Moment sammelt schnell die für überweltliche
Vertiefungskonzentration nötige Stärke an.
Wie dem auch sei: Unabhängig davon, ob man nun dem Pfad reinen
Klarblicks folgt, oder Klarblick auf der Basis von Versenkungszuständen übt
(samatha-vipassana), wird der Pfadprozeß eingeleitet, sobald der ‘Aufstieg’-
Moment der Konzentration die minimal notwendige Stärke hat, um den
Wechsel des Objekts zu bewirken, der die Erleuchtung bedeutet: von der
Betrachtung der drei Merkmale, dem ‘erworbenen Bild,’ zum Erfassen des
‘Gegenbildes ’ für Vertiefungskonzentration in der Klarblickübung: Nibbana,
das Element der Wirklichkeit, das den Phänomenen von Körper und Geist
keine Grundlage und keinen Halt bietet.
Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der einzelnen Klarblickwissen, die
der Übende vom starken ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ bis zum
‘Wissen des Gleichmuts’ auf ganz persönliche Weise erfahren hat, werden
vom ‘Wissen der Anpassung’ zu einer abschließenden, ganzheitlichen
Betrachtung der fünf Bündel des Anhaftens zusammengefaßt und integriert.
Im einzelnen betrachtet dieses Wissen so:
1.Es sieht das Entstehen und Vergehen aller Phänomene und erkennt,
daß dies ihre eigene Natur ist.
2.Es erkennt, daß die Auflösung von Geist und Körper ein natürliches
Ereignis ist.
3.Es erkennt, daß die in Erscheinung tretenden Gebilde
furchteinflößend sind.
4.Es erkennt, daß die fünf Bündel Leiden bedeuten.
5.Es ist überdrüßig hinsichtlich der Gebilde.
6.Es wünscht, den Gebilden zu entkommen.
7.Es überprüft den Weg der Entwicklung noch einmal, um den Weg des
Entkommens zu erkennen.
8.Wenn es die Gebilde klarbewußt erfaßt hat wie sie wirklich sind, dann
läßt es sie los und haftet an nichts mehr.
Das ‘Wissen der Anpassung’ ist der Höhepunkt der Klarblickentwicklung und
bedeutet einen psychologisch bis in die Tiefen des Unbewußten reichenden
Willensentschluß zum endgültigen und unwiderruflichen Verzicht auf alle
Gebilde. Es ruft alle die Geisteskräfte wach, die Bestandteile des
Erleuchtungsbewußtseins sind und in der Meditation entwickelt wurden, und
bringt sie zum Einsatz. Der Geist ist nun befähigt und bereit für überweltliche
Vertiefung.
13.) Wissen und Reife
Das dreizehnte Wissen, ‘Reifewissen’ (gotrabhu-nana), verändert die
Zugehörigkeit des individuellen Geistes mit Blick auf die weitere samsarische
Laufbahn. Es folgt im Bewußtseinsprozeß des edlen Pfades unmittelbar auf
das ‘Wissen der Anpassung.’ Dieses Wissen bildet den Übergang vom
weltlichen (lokiya) zum überweltlichen (lokuttara) Geist. Für das Individuum
bedeutet es den Wechsel vom spirituell unerfahrenen ‘Weltling’ zum
wissenden ‘Edlen .’ Das ‘Reifewissen’ verstärkt die vom ‘Wissen der
Anpassung’ übernommene angrenzende Konzentration bis zur Vertiefung.
Das ‘Wissen der Anpassung’ weiß, daß die fünf Bündel des Anhaftens ein
Ende finden müssen, aber es weiß nicht, was nach dem Ende kommt,
denn als Objekt betrachtet es die Gebilde. Das ‘Reifewissen’ hingegen
hat Nibbana als Objekt und erkennt, daß das Verlöschen der fünf Bündel
keine Vernichtung von etwas Existierendem und auch kein unerkennbares
Nichts ist. Es erkennt die überweltliche Realität von Nibbana am Merkmal des
Friedens (santilakkhana).
Das ‘Reifewissen’ ist vergleichbar mit dem Überschreiten einer Türschwelle:
Ein Fuß ist schon darüber hinweg, aber der andere steht noch davor. Mit der
Tür zu Nibbana ist es ähnlich: Davor sind die Bündel von Geist und Körper
noch das Objekt, aber in Nibbana sind keine fünf Bündel, Nibbana selbst ist
das Objekt. Wenn das Wissen der Reife auftaucht, steht der Erleuchtung
nichts mehr im Weg.
14.) Pfadwissen
Nach dem ‘Reifewissen’ ist der unmittelbar folgende Bewußtseinsmoment
das ‘Pfadwissen.’ Die Konzentration hat Vertiefungsstärke
und Nibbana ist das Objekt des Geistes. Der Geist, der den Pfad erlebt, hat
direkte Berührung mit der unwandelbaren, ungeschaffenen Realität, die
jenseits von Geburt und Tod ist, die nicht entsteht und vergeht, das
‘unzerstörbare Element’ (amata-dhatu). Das ‘Pfadwissen ’ vernichtet die
Eintrübungen, die Maschinerie des Leidens, die als die zehn Fesseln
(samyojana) aufgelistet werden.
Wie kommt es zu dieser restlosen Vernichtung? Wenn Achtsamkeit in der
richtigen Weise entwickelt wurde, entsteht Weisheit. Dann wird man
verstehen, daß alle Arten von Eintrübung und Verlangen nur in den fünf
Bündeln des Anhaftens liegen. Außerhalb davon kann es sie nicht
geben. Aufgrund der mit Klarblick beobachteten Vergänglichkeit sind alle
Phänomene als erkannt worden. Ihr Verlöschen, das schon Objekt des
‘Reifewissens’ war, ist der ersehnte Frieden. Da der Geist dies angesichts
von Nibbana erkennt, läßt er das Verlangen fahren. Achtsamkeit ist zu dem
Zweck entwickelt worden, diese Wahrheit zu erkennen und dann alles
loszulassen. Die Erkenntnis ist der Pfad, das Loslassen ist Verlöschen –
Verlöschen ohne Verlangen.
Die vier überweltlichen Pfade werden unterschieden nach ihrer Kapazität zur
Vernichtung von Eintrübungen:
1.Der Pfad des Stromeintritts (sotapatti-magga) durchtrennt die
Fesseln der falschen Ansicht des Selbst, des Zweifels über die Natur
der Wirklichkeit, und des Glaubens an die Wirksamkeit von Ritualen als
Mittel zum Erreichen von Reinheit, Weisheit und Befreiung. Begierde
und Aversion, die zu schlechten Wiedergeburten führen können,
werden von diesem Pfad auch vernichtet.
2.Der Pfad der Einmalwiederkehr (sakadagamimagga) schwächt die
beiden Fesseln der Sinnesbegierde und der Aversion weiter ab.
3.Der Pfad der Niewiederkehr (anagami-magga) vernichtet die
Fesseln der Sinnesbegierde und der Aversion vollständig.
Danach ist Wiedergeburt im sinnlichen Universum (kamaloka)
ausgeschlossen.
4.Der Pfad der Heiligkeit (arahatta-magga) vernichtet die fünf übrigen,
‘höheren,’ oder subtilen Fesseln: das Verlangen nach feinkörperlicher
Existenz, das Verlangen nach unkörperlicher Existenz, Dünkel, Unruhe
und Unwissenheit.
Der einzelne Bewußtseinsmoment des Pfades im überweltlichen
Bewußtseinsprozeß der siebten Reinheitsstufe ist der Moment der Befreiung.
Jeder einzelne der vier Pfade ist unwiederholbar. Sie werden nur einmal
erlebt; die vernichteten Fesseln können nie mehr neu entstehen und den
Geist binden.
15.) Fruchtwissen
Das ‘Fruchtwissen’ (phala-nana) folgt unmittelbar auf das Pfadbewußtsein
und dauert zwei oder drei Bewußtseinsmomente, je nach der Kraft der
Meditation. Das Fruchtbewußtsein (phala-citta) hat Nibbana als Objekt und
wird von Vertiefungskonzentration getragen. Während das Pfadbewußtsein
die höchste Willenshandlung (kamma) des Geistes ist, entsteht das
‘Fruchtwissen’ als Ergebnis (vipaka) dieser Tat: Es erlebt das Verlöschen
nach der Zerstörung der Fesseln. Obwohl die vier Pfade nicht
wiederholbar sind, können die dazugehörigen Zustände des
Fruchtbewußtseins erneut auftreten, wenn die Klarblickübung fortgesetzt
wird. Die vier Pfade und vier ‘Fruchtwissen ’ sind alle überweltliche
Geisteszustände (lokuttara-citta).
16.) Wissen des Rückblicks
Das ‘Wissen des Rückblicks’ (paccavekkhana-nana) blickt zurück auf den
Pfad und die Frucht, die gerade erlebt wurden. Es betrachtet auch die
Eintrübungen, die vernichtet wurden und diejenigen, die noch im Geist
geblieben sind. Als letzte Funktion betrachtet das ‘Wissen des Rückblicks’ die
überweltliche Realität, Nibbana, und stellt für den Übenden die Erinnerung an
das Erleuchtungserlebnis sicher.
Da dieses Wissen wieder Geist und Körper als Objekt hat, wird es als
weltlicher Geisteszustand klassifiziert. Der Meditierende beschließt, die
Übung weiter fortzusetzen, um die höheren Pfade zu verwirklichen, und kehrt
dann zu dem ursprünglichen Objekt zurück: dem Entstehen und Vergehen
von Geist und Körper.
In der Praxis dauert der gesamte Bewußtseinsprozeß des Pfades,
vom ‘ Wissen der Anpassung’ bis zum ‘Wissen des Rückblicks,’ nicht einmal
so lang wie ein Fingerschnipsen, ein Augenzwinkern oder ein Blitzlicht. Für
den Übenden ist es nur ein einziger Akt bewußten Bemerkens. Er wird
sich an den ‘Klarblick, der zum Entrinnen führt’ erinnern, und daran, daß
danach für einen Moment alle Gefühle unterbochen waren. Die Vernichtung
der Eintrübungen ist jedoch bleibend und legt die weitere Entwicklung durch
die höheren Pfade bis zur vollständigen Überwindung des Leidens neuer
Wiedergeburt mit absoluter Gewißheit fest.
Die Wiederkehr des Fruchtbewußtseins (phala-samapatti)
Zum Abschluß dieses Handbuchs sei der Übende noch einmal daran erinnert,
die Übung immer mit der richtigen geistigen Einstellung zu unternehmen. Als
Voraussetzung für die korrekte Entwicklung von Klarblick, darf man sich
keinen Wunschvorstellungen hingeben oder Erwartungen bezüglich
des edlen Pfades hegen. Erwartung entspringt aus Begierde. Wenn man mit
Begierde oder dem Verlangen, Nibbana rasch zu erleben, meditiert, vereitelt
man die eigene Bemühung. Selbst wenn man ein Verlöschen erlebt, wird es
mit großer Sicherheit eine der vier falschen Arten von Selbstvergessenheit
sein. Manche entwickeln in der Übung starke Konzentration und haben
eigenartige Erlebnisse. Sie dürfen dann nicht darüber spekulieren, was das
wohl war, sondern müssen sich weiter bemühen, die Achtsamkeit in der
Gegenwart zu halten und an nichts anzuhaften. Wer den edlen Pfad in
Wahrheit durchlaufen hat, wird sich dieser Tatsache im Lauf der Zeit bewußt
werden.
Ob das echte Verlöschen durch den edlen Pfad eingetreten ist, kann der
Übende anhand folgender Anweisungen für die Übung selber prüfen: Wenn
man mit großer Sorgfalt und gewissenhafter Anwendung der in diesem
Handbuch beschriebenen Methode die Abfolge der Klarblickschritte vom
dritten bis zum elften Wissen durchläuft, werden die fünf geistigen
Fähigkeiten (Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration, Weisheit)
ausgeglichen und nehmen dann an Kraft zu, bis mit deutlicher
Beschleunigung der ‘Klarblick, der zum Entrinnen führt’ auftaucht – Wissen,
welches nur eines der drei Merkmale als Objekt betrachtet. Dann folgt
momentanes Verlöschen und das ‘Wissen des Rückblicks.’
Danach sind die Erlebnisse in der Meditation wieder von gröberer Art. Der
Meditierende ist plötzlich vom ‘Wissen des Gleichmuts,’ das hochkonzentriert
ist und weder Gedanken noch Abschweifungen der Konzentration zu äußeren
Objekten kennt, zurückgefallen auf das vierte Wissen. Mit dem
starken ‘ Wissen vom Entstehen und Vergehen’ beginnt dann erneut die
Entwicklung durch die Schritte des Klarblickpfades, die aber jetzt schneller
durchlaufen werden als beim ersten Mal, und erreicht bald wieder den
‘Klarblick, der zum Entrinnen führt, ’ gefolgt von erneutem Verlöschen.
Dieser Fortschritt durch die Abfolge der starken Klarblickwissen muß oft
geübt werden, bis der Meditierende die typischen Erlebnisse der
verschiedenen Schritte gut kennt und wie Meilensteine am Wegesrand nur
registriert, ohne daran anzuhaften und sie als persönliche Erlebnisse zu
begreifen. Sollten einzelne der Wissensschritte undeutlich sein, so möge man
in der Meditation den Entschluß fassen, daß dieses Wissen für zwanzig
Minuten andauern soll. Der Klarblick wird dann bei diesem Wissen bleiben,
bis die bestimmte Zeit um ist, dann taucht das nächste Wissen von alleine
auf. In dieser Weise wird der Meditierende völlige Klarheit über den Inhalt der
einzelnen Wissensschritte bekommen, und seine Konzentration wird
zunehmen, bis er in einer Sitzung vom vierten Wissen bis zum Eintritt des
Verlöschens gehen kann. Danach kann man zu Beginn der Sitzung den
Entschluß fassen, daß das Verlöschen innerhalb von zwanzig Minuten
eintreten soll, und wenn es geschieht, wiederholt man den Entschluß und
verkürzt allmählich die Zeit, bis man schließlich in einer Sitzung immer wieder
den Aufstieg durch die Klarblickschritte bis zum Verlöschen beherrscht.
Später kann man die Dauer des Verlöschens verlängern, von fünf Minuten
auf zehn, bis zu einer Stunde und länger. Wenn der Übende das Verlöschen
auf diese Weise kennt, wird er absolute Gewißheit haben – aber er darf nicht
anhaften, das gefährdet das Verlöschen.
Die Vorzüge des Klarblicks
Die Übung von Klarblickmeditation hat so viele Vorzüge, daß man sie nicht
alle aufzählen kann. Es seien hier nur die wertvollsten erwähnt1.Die Übung löst Zweifel auf und gibt rechtes Verständnis der wahren
Natur des Lebens. Die Methode hilft uns, die höchste Stufe
menschlicher Entwicklung zu verwirklichen und im ‘Hier und
Jetzt’ glücklich zu leben.
2.Sie hilft uns, den Geist zu kontrollieren, wenn er den falschen Weg
geht. Sie gibt uns das Wissen des rechten Wegs und der Methode, den
inneren Frieden zu finden. Wahres Glück stellt sich ein. Dann brauchen
wir das Glück nicht mehr durch Geldausgaben zu suchen, was nur
Vergnügen gemischt mit Frustration bringt.
3.Sie macht uns uneigennützig, sodaß wir das Glück auch anderen
Menschen nahebringen können. Freundlichkeit, Mitgefühl, und die
Betrachtung aller Wesen als Leidensgefährten, die wie wir Geburt, Alter,
Krankheit und Tod erleiden, wird für uns selbstverständlich sein.
4.Im nächsten Leben werden wir die menschliche Geburt nicht
verlieren, denn Achtsamkeit und klare Bewußtheit (sati, Sampajanna)
sind unser Schutzschild. Wenn wir sterben, werden wir achtsam sein
und ein heilsames Bewußtsein haben, das zu guter Wiedergeburt führt.
Wir werden vor dem Tode nicht verwirrt sein, denn für unsere Zukunft ist
schon gesorgt.
5.Wer studiert, wird Weisheit und ein gutes Gedächtnis haben und kann
sich leicht konzentrieren. Achtsamkeit wird ihn auch in
Prüfungssituationen begleiten, sodaß sein Gedächtnis nicht versagt,
wie es bei Streß sonst leicht vorkommen kann. Wenn er eine Prüfung
ablegt, wird er alles wissen und gut abschneiden.
6.Klarblickmeditation beeinflußt die geistige und körperliche Gesundheit
günstig, Krankheiten und chronische Beschwerden bessern sich, und
solche, deren Ursache kamma ist, können spontan heilen, weil der
Übende seinen Geist stark und frei von Hindernissen und unproduktiver
Sorge hält, und seine Zuversicht auf gegenwärtigem
gutem kamma beruht, wenn er neutrale Achtsamkeit übt, die nicht
anhaftet an den Erlebnissen. Dies ist die Bedingung, daß der Körper
sich ändern kann und den Einfluß des kamma überwindet.
7.Wenn die geistigen Voraussetzungen des Übenden für die
Verwirklichung der siebten Reinheitsstufe in diesem Leben noch nicht
ausgereift sind, wird er durch die Übung die Voraussetzung schaffen für
das Erreichen von Pfad, Frucht und Nibbana in der nächsten Existenz.
8.Wer die Lehre Buddhas in der Meditationspraxis zur Richtlinie macht,
von dem kann man zurecht sagen, daß er Vertrauen in den Buddha hat,
und es ist Ausdruck für die Art von Verehrung, die dem Status Buddhas
als höchstem Lehrer gebührt. Es gibt in dieser Welt nichts und
niemanden, der unseren Respekt und unsere Verehrung mehr verdient
als Buddha. Buddha selber lobte die Verehrung durch praktische
Nachfolge. Er sagte: “Wer die Lehre übt, der verehrt mich. Wer die
Wirklichkeit erkennt, der erkennt mich, den Tathagata.”
9.Der Meditierende wird mit Sicherheit den Vorzug der Klarblickübung
erleben können, den Buddha in der Lehrrede über die Grundlagen der
Achtsamkeit in Aussicht gestellt hat: “Hört mich an, Bhikkhus! Wer die
vier Grundlagen der Achtsamkeit sieben Jahre lang entwickelt, der kann
eine dieser beiden Früchte erwarten: Die Frucht der Arahatschaft in
diesem Leben, oder er wird, wenn noch Fesseln bleiben,
Niewiederkehrer sein.“
“Hört mich an, Bhikkhus! Vergeßt die sieben Jahre! Wer die vier
Grundlagen der Achtsamkeit sechs… fünf, vier, drei, zwei, ein Jahr…
sieben Monate… sechs, fünf, vier, drei, zwei, einen Monat… sieben
Tage lang ununterbrochen entwickelt, der kann eine dieser beiden
Früchte erwarten: Die Frucht der Arahatschaft in diesem Leben, oder er
wird, wenn noch Fesseln bleiben, Niewiederkehrer sein.“
“Hört mich an, Bhikkhus! Es gibt diesen einzigen Weg zur vollständigen
Läuterung der Wesen, zur Überwindung von Kummer und
Verzweiflung, zum vollständigen Verlöschen von Schmerz und
Niedergeschlagenheit, für die Entwicklung des höheren Wissens und
die Verwirklichung von Nibbana. Dieser Weg sind die vier Grundlagen
der Achtsamkeit.”
Über den Autor
Geboren 1914 in Samut Prakaan, in eine kinderreiche Familie, die von
Hochseefischerei lebte, entwickelte Acharn Thawie schon in seiner
Jugend Interesse an Meditation. Er fühlte sich zwar nicht zum Tempel
und zu den Mönchen hingezogen, zog sich aber schon in der Schulzeit
oft in die Natur zurück, um die Natur des Lebens zu betrachten. Auf
einer dieser Exkursionen erlebte er im Alter von achtzehn Jahren in
meditativer Versenkung spontan die Wahrheit des Buddha, wurde aber
auch dadurch nicht religiös im Sinne eines eifrigen Tempelbesuchers.
Nachdem er im zweiten Weltkrieg in der Marine gedient hatte,
übernahm er den väterlichen Fischereibetrieb, da seine Geschwister,
die im Ausland studiert hatten, schon in anderen Berufen gebunden
waren. Bis zum Alter von fünfundvierzig Jahren kümmerte er sich um
die Führung des Geschäfts und ermöglichte seinen Neffen und Nichten
Studien im Ausland. Er selbst hatte nie den Wunsch, eine Familie zu
gründen. Stattdessen nutzte er jede Gelegenheit, tagelang im Wald zu
verschwinden, um zu meditieren.
Schließlich wurde ihm die Führung des Geschäfts eine zu große
Belastung. Er übergab den Betrieb an Verwandte und lebte von da an
nur im Wald. Wie es in Thailand üblich ist, werden auch Laien, die sich
dem asketischen Ideal widmen, von der ländlichen Bevölkerung gern
unterstützt und mit Essen versorgt. Aber Acharn Thawie suchte die
Natur und so blieb er oft wochenlang im Wald, übte Versenkung und
ernährte sich von Früchten, Blättern und Wurzeln. Als er dann einmal
krank wurde und hohes Fieber hatte, konnte er zwar den Schmerz und
das Fieber durch Eintritt in Versenkungsstufen unterdrücken, wurde
aber körperlich allmählich schwächer. Leute, die ihn manchmal
aufsuchten, brachten ihn zum Arzt, der ihm nahelegte, er solle doch
Mönch werden, damit für die materiellen Bedürfnisse des Körpers
besser gesorgt wäre, um sein spirituelles Leben zu unterstützen.
So wurde Acharn Thawie im Alter von neunundvierzig Jahren Bhikkhu
im Dhammayut Sangha. Da er keinen Lehrer hatte und bisher keine
Verbindung mit Mönchen, lebte er nach seiner Ordination weiterhin
unabhängig, besuchte aber einige in Thailand berühmte Lehrer, um
innerhalb des Sangha seinen Platz zu finden. Acharn Maha Bua bot ihm
an, als Assistant bei ihm zu bleiben, aber Acharn Thawie wollte sich
nicht auf Samatha Meditation beschränken. Als er 1965 in Chonburi das
neu entstandene Vipassana Zentrum im Wat Vivekasom aufsuchte,
lernte er dort die burmesische Vipassana Methode von Mahasi
Sayadow. Er praktizierte unter Anleitung wenige Wochen, und man
erkannte seine hohe Entwicklung und bot ihm sofort eine Stelle als
Lehrer an.
Die Methode überzeugte Acharn Thawie, und er nahm die Aufforderung
gern an. Später sagte er, die Methode, das gegenwärtige Objekt zu
benennen, sei ein äußerst wirksames Mittel, um Achtsamkeit auf die
Wirklichkeit aufmerksam zu machen und rasch Klarblick zu entwickeln.
Die Nutzung der Bewegung der Bauchdecke als Hauptobjekt für
momentane Konzentration – damals eine neue Methode – schien ihm
ebenfalls für die Entwicklung von Klarblick besser geeignet
als anapana-sati, Achtsamkeit auf den Atem an der Nasenspitze. Seine
Schüler lehrte er nur die vier Grundlagen der Achtsamkeit mithilfe der
Mahasi Methode. Anapana-sati und Versenkung, die er selbst
beherrschte, seien in der heutigen Zeit schwer zu entwickeln. Das
moderne Leben sei so unruhig geworden, daß man kaum noch die
äußeren Bedingungen für diese Meditation finde. Und dann müsse man
ja von da aus noch Klarblick entwickeln, um die vier edlen Wahrheiten
zu durchdringen. Da sei es erfolgversprechender, direkt Klarblick zu
üben.
Bis 1981 lebte Acharn Thawie im Wat Vivekasom, Chonburi, und
erwarb sich in dieser Zeit den Ruf eines milden, verständnisvollen und
zuverlässigen Klarblicklehrers. Da er gut Englisch sprach, kümmerte er
sich vorwiegend um westliche Schüler, wurde aber auch von Thais,
Mönchen wie Laien, hochgeschätzt und hatte zahlreiche Unterstützer.
Einer davon Nai Sorn, bot ihm ein Stück Land in der Nähe von
Bangkhla, in der Nachbarprovinz Chachengsao, an, und so wurde im
August 1982 das Sorn-Thawie Meditationszentrum gegründet.
Die folgenden Jahre sahen das rapide Heranwachsen eines der
modernsten Zentren Thailands. Die Gemeinschaft, die sich um Acharn
Thawie sammelte, wuchs im Laufe der Jahre auf neunzig bis hundert
Personen an, gemischt aus Ordensmitgliedern und Laien beiderlei
Geschlechts. Es kamen mehr und mehr westliche Suchende, und
einige davon wurden Mönche und Nonnen und blieben jahrelang im
Sorn-Thawie Zentrum.
1994 wurde bei Acharn Thawie eine Krebsgeschwulst diagnostiziert,
und er mußte im Laufe eines Jahres dreimal operiert werden. Danach
konnte er die Gemeinschaft noch zwei Jahre lang leiten, bevor er an
den Folgen der Erkrankung am 5. Juni 1996 starb.
Wer stirbt? Niemand stirbt.
Andere Leute sagen: Oh, das ist Acharn Thawie. Ein guter Mann! Aber
ich weiß, daß es keinen Acharn Thawie gibt. …
Durchschaue Dich Selbst
Wer Klarblick übt, macht sein Bewußtsein hell und klar,
Und kennt des Lebens höchsten Schatz, den Reinen Geist.
Er folgt dem Pfad, erkennt das Leid und läßt die Gier:
So wird die Glut des Leidens grenzenlos gelöscht.
Betrachte achtsam die fünf Bündel in Aktion und sei
Bewußt so gut Du kannst, was Geist und Körper tun.
Pein und Schmerz, Empfindungen, machen unglücklich –
Schau dem Auf und Ab nur zu: plötzlich siehst Du klar.
Erlebe hier im Körper viele Phänomene:
Nichts davon ist wirklich – überzeuge Dich!
Glück und Unglück streift Dich wie Hauch,
Geist und Körper sind spontan wie die Natur.
Note mit Entschlossenheit, laß nicht davon ab!
Lösche das Verlangen, veredle Deinen Geist.
Gehe nur den Mittelweg, verwirkliche den Dhamma,
Gewinne so das höchste Glück, Amata, Nibbana.
Baladhammo Bhikkhu
(Acharn Thawie Baladhammo, März 1984)