SELBER KLARBLICK ÜBEN – EIN LEITFADEN FÜR ACHTSAMKEIT VON PHRA ACHARN THAWIE BALADHAMMO

SELBER KLARBLICK ÜBEN
Ein Leitfaden für Achtsamkeit
von Phra Acharn Thawie Baladhammo
(übersetzt von Christoph Bank)
Inhalt
VORWORT
EINFÜHRUNG
TEIL I
DIE ÜBUNG
Die vier Grundlagen der Achtsamkeit
Die fünf Anhäufungen
Sitzmeditation
Gehen und Stehen
Die weiteren Schritte
MEDITATIVE PHÄNOMENE (SABHAVA)
HINDERNISSE IN DER KLARBLICKÜBUNG
Hindernisse der Ungeübten
Die fünf geistigen Hindernisse
Hindernisse der mittleren Stufe
Hindernisse der entwickelten Stufe
AUSGLEICH DER FÄHIGKEITEN
Die fünf geistigen Fähigkeiten
JENSEITS VON EINTRÜBUNG UND HANDELN
Eintrübung, Handeln und Ergebnis
Der Achtfache Pfad im Klarblick
Für das Verlöschen des Verlangens üben
TEIL II
DIE ERGEBNISSE DER ÜBUNG
Die Reinheitsstufen und Klarblickschritte
DER VOBEREITENDE PFAD
Wissen von Geist und Körper
Wissen der Bedingtheit
Wissen des Begreifens
Wissen vom Entstehen und Vergehen
Verzerrungen des Klarblicks
Vier Arten der Selbstvergessenheit
DER KLARBLICKPFAD
Wissen der Auflösung
Wissen der Furcht
Wissen des Elends
Wissen des Überdrusses
Wissen des Verlangens nach Befreiung
Wissen der Großen Bemühung
Wissen des Gleichmuts vor Gebilden
Sechs Eigenschaften des Gleichmuts
DER ÜBERWELTLICHE PFAD
Klarblick, der zum Entrinnen führt
Wissen der Anpassung
Wechsel der Zugehörigkeit
Pfad, Frucht und Rückblick
Wiederkehr des Fruchtbewußtseins
Die Vorzüge des Klarblicks
Über den Autor
Durchschaue Dich Selbst
VORWORT
Die Gesellschaft ist heute ganz materialistisch geworden. Das Bedürfnis nach
materiellen Gütern wächst und wächst. Und nie hört man das Wort “Genug!”
Mächtige Begierden zwingen die Menschen, unablässig für die Befriedigung
ihrer Wünsche zu arbeiten. So steht es in der heutigen Zeit um die
Gesellschaft und den Einzelnen. Aufgrund dieser Entwicklung interessieren
sich die Leute nicht mehr für ihr eigenes geistiges Wohl. Sie halten sich fern
von den Lehren, die sie aus ihrer Hetze herausführen könnten.
Die Menschen sind heutzutage wie Vögel. Morgens verlassen sie ihr Nest,
um Futter für den Tag zu suchen. Wenn der Abend naht, kehren sie müde
und erschöpft nach Hause zurück. Morgens raus, abends zurück, so ist das
Leben im Alltag – besonders für Leute, die in Hochhäusern ihr Nest haben,
da liegt der Vergleich auf der Hand.
Aus solchen Gründen sind die Menschen geistig starr und angespannt. Das
macht sie egoistisch und ihre Handlungen chaotisch. Sie geben jeder Laune
nach, und es fehlt ihnen die Achtsamkeit, die sie davor bewahren würde, sich
in Situationen zu bringen, die ansonsten unmöglich wären. Und es sieht nicht
nach einer Besserung der Lage aus.
Gegenwärtig leiden immer mehr Menschen unter geistigen Störungen und
Neurosen. Ob sie nun Akademiker oder Industrielle sind, Banker,
Geschäftsleute, oder Politiker – egal welchen Beruf sie ausüben, alle sind
mehr oder weniger nervenkrank. Man muß kein Neurologe sein, um zu
ergründen, woran es liegt, daß mehr und mehr Menschen nervenkrank
werden. Vor allem in den Großstädten ist es offenbar: Man ist kaum
aufgewacht, da geht es schon los mit Anspannung und Hetze. Kinder wie
Erwachsene, alle müssen loshetzen, um noch den Bus zu kriegen: Zur
Schule, zur Arbeit, ins Geschäft, Frühstück kaufen, und was es sonst noch
gibt. Wenn man dann unter Druck gerät, fehlt einem die Toleranz und man
regt sich leicht auf. Kommt man schließlich an den Arbeitsplatz, muß man
sich mit unfreundlichen Kollegen oder verheerenden Arbeitsbedingungen
herumärgern. Davon wird man auch nicht ruhiger.
Wenn man dann abends nach Hause kommt, und da erwarten einen nur
Familienprobleme, dann ist die neurotische Spannung schon bedenklich. Wie
soll man in diesem Zustand schlafen? Man liegt wach und wälzt Probleme:
Arbeit, Geld und all die tausend Dinge, die einem auf dem Herzen liegen.
Geist, Nerven und Gehirn wollen sich auf natürliche Weise regenerieren,
müssen aber weiter arbeiten. Genau das sind doch die Probleme, die uns
tagaus, tagein nur neurotischer machen.
Da dürfte ein Handbuch für Vipassana von Nutzen sein für diejenigen, die
keine Gelegenheit haben, in ein Meditationszentrum zu gehen, wo sie bei
einem Lehrer üben könnten. Oder auch für diejenigen, die zu viele
Verpflichtungen haben und nicht von zu Hause weg können.
Sie können dieses Buch als Handbuch für die Übung benutzen, indem Sie mit
zehn, zwanzig oder dreißig Minuten als Übungszeit beginnen. Üben Sie
abwechselnd im Sitzen und im Gehen, und setzen Sie die Übung fort,
solange Sie sich dafür aussehen.
Zwingen Sie sich nicht zu sehr. Tun Sie es vertrauensvoll, mit freudigem
Geist. Entspannen Sie sich, sodaß die geistige Starre und Verkrampfung von
Ihnen abfällt und der Geist friedlich und ruhig wird.
Aus dieser Ruhe entsteht inneres Glück. Dann werden Sie selber verstehen,
wie man die vielfältigen Alltagsprobleme ablegen kann. Sie werden gesund
werden an Leib und Seele und die Kraft finden, die Alltagsprobleme zu
bewältigen, egal ob es sich um geschäftliche Dinge handelt, oder um die
chaotischen globalen Verhältnisse, die aus der Zerstörung der Umwelt
entstehen. Fortschritt im Leben des Einzelnen und gesellschaftlicher
Aufschwung wird das Ergebnis sein.
August 2527 / 1984
Acharn Thawie Baladhammo
SORN
Bangkhla / Chachoengsao/THAILAND
EINFÜHRUNG
F: Meditation heißt in Pali kammatthana. Was bedeutet dieses
Wort kammatthana eigentlich?
A: Das Wort kamma bedeutet Handeln oder Übung, und das
Wort thana bedeutet Basis oder Grundlage. Kammatthana ist also die
Grundlage des Handelns, oder die Ursache der Entwicklung.
F: Was bedeutet samatha kammathana?
A: Das Wort samatha bedeutet Ruhe oder Frieden des Geistes. Samatha
kammatthana bedeutet daher Übung für Geistesruhe oder geistige
Entwicklung, die auf Beruhigung aufbaut.
F: Was bedeutet vipassana kammatthana?
A: Die Silbe vi- bedeutet überaus, klar-, oder vielfältig. Das Wort –
passana bedeutet sehen, direkte Wahrnehmung und rechte Ansicht der
Wirklichkeit.
Vipassana kammatthana ist also die Übung der rechten Ansicht der
Wirklichkeit, oder geistige Entwicklung, um ein klares Wissen zu erreichen
über die allen Wirklichkeiten zugrundeliegende Wahrheit.
F: Warum gibt es in der Buddhalehre nur zwei Aufgaben zu erfüllen, die
Aufgabe, die Lehre zu studieren (ganthadura) und die Aufgabe, Klarblick zu
üben (vipassanadhura), aber samatha wird nicht erwähnt?
A: Buddha hat mit äußerster Geduld, Beharrlichkeit und Anstrengung nach
der Befreiung von den Leiden der Wiedergeburt im Samsara gesucht – dem
Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Er suchte das Mittel, das
weltliche Voreingenommenheit (sava) und geistige Trübung (kilesa)
auslöschen kann, denn die sind dafür verantwortlich, daß wir weiter in diesem
Kreislauf verbleiben.
Zunächst lernte er von zwei namhaften Lehrern, Alara Kalama und Uddaka
Ramaputta, bis er ihnen an Wissen ebenbürtig war und die höchsten
unkörperlichen Vertiefungen beherrschte. Aber dann wurde ihm klar, daß
diese Disziplinen nicht zur vollen Erleuchtung führen, und er suchte weiter auf
eigene Faust, bis er die Vier Edlen Wahrheiten entdeckte, die den Geist völlig
von allen Eintrübungen befreien. Und so wurde er Buddha, der Erwachte.
Dann verkündete er, daß er die volle Erleuchtung aus eigener Kraft erlangt
hatte. In seiner ersten Lehrrede vor den fünf Asketen im Hirschpark von
Isipatana, in der Nähe von Benares – dem Ingangsetzen des Rads der Lehre
(Dhammacakkappavattana-sutta) – erklärte Buddha den Edlen Achfachen
Pfad, den Mittleren Weg, dessen wichtigster Bestandteil rechte Ansicht
(sammaditthi) ist. Damit ist die Weisheit (panna) gemeint, welche die Vier
Edlen Wahrheiten erkennt. Die Übung des Achtfachen Pfades besteht in der
Übung der Klarblickmeditation. Das ist die Aufgabe der praktischen Übung
(vipassanadhura).
Was aber nun ganthadhura betrifft, da geht es darum, die Grundlagen der
Klarblickmeditation zu studieren, um die Übungsmethode zu verstehen. Den
größten Teil seines Lebens verbrachte Buddha damit, den Leuten zu
erklären, daß Körper und Geist vergänglich, leidhaft und kein Selbst sind.
Solche Lehren gab er denjenigen seiner Schüler, die die Übungsmethode
noch nicht verstanden, bis sie selber begriffen hatten. Dann verneigten sich
die Schüler vor dem Buddha, zogen sich in die Waldeinsamkeit zurück und
übten die Lehre mit voller Entschlossenheit, bis sie die höchsten Stufen der
Verwirklichung gewannen. Sie wurden Edle Menschen (ariya puggala) zu
Buddhas Lebzeiten.
Samatha kamatthana gab es allerdings schon lange bevor Buddha in der
Welt erschien. In jeder Religion gab und gibt es diese Art der Meditation,
geübt von den Weisen, Asketen, Einsiedlern und Mönchen dieser Religionen.
Nachdem Buddha diese Dinge gründlich studiert und geübt hatte, erkannte
er, daß er den Weg zur Überwindung weltlicher Voreingenommenheit noch
nicht gefunden hatte.
Vipassana kammatthana ist aber die Übung, die Buddha selbst entdeckt und
praktiziert hat. Sie ist nur in der Lehre des Buddha zu finden. Deshalb gibt es
in der Buddhalehre nur zwei Aufgaben: Klarblickmeditation zu üben und die
Theorie dieser Methode zu studieren.
F: Was ist der Unterschied zwischen samatha kammatthana und vipassana
kammatthana?
A: Sie unterscheiden sich in den Objekten der Betrachtung und haben
verschiedene Methoden und Ziele. Samatha kammatthana beruht auf
vorgestellten Objekten, oder Objekten, die hergestellt werden müssen, wie
die zehn Scheiben (kasina) – Objekte, die kreisförmig vorbereitet werden
müssen und zum Beispiel die vier Elemente darstellen. Die Übung
von samatha kammatthana hat als Ziel die Geistesruhe. Die Methode hängt
im Wesentlichen von der Entwicklung der Konzentration auf das Objekt – hier
‘Bild’ genannt – ab, vom ursprünglichen Objekt, dem Vorbereitenden Bild
(parikamma nimitta), über das Erworbene Bild (uggaha nimitta) bis zur
Erlangung des Abstrakten Bildes (patibhaga nimitta). Durch die Übung
werden die fünf Vertiefungsglieder entwickelt – anfängliche und fortgesetzte
Auffassung, Freude, Glücksgefühl und Objektausrichtung – und wenn sie die
nötige Stärke erreicht haben, tritt man in die erste Vertiefung (jhana) ein, die
erste der feinkörperlichen Bewußtseinsebenen.
Die Objekte der Klarblickmeditation, andererseits, sind die fünf Anhäufungen
(pancakkhandha ) von Körper (rupa) und Geist (nama). Das Ziel der
Klarblickübung ist die Verinnerlichung der höchsten Qualitäten der Lehre und
damit der Eintritt in die vier Ebenen der Edlen: Stromeintritt,
Einmalwiederkehr, Niewiederkehr und Heiligkeit. Auf dieser höchsten Ebene
ist die Notwendigkeit beseitigt, immer wieder zurückzukommen, um Geburt
und Tod zu durchlaufen. Die Einzelheiten dieser Übung werden in den
folgenden Kapiteln erklärt werden.
F: Müssen wir die Richtlinien der Klarblickmeditation erst kennen, bevor wir
mit der Übung beginnen können?
A: Wir sollten zumindest die Grundbegriffe oder den Kern der Lehre kennen:
Die Vier Edlen Wahrheiten, oder die zwei Wege der Wahrheit – den Weg des
Leidens und den Weg der Aufhebung des Leidens.
Der Weg, der zum Leiden führt, ist Begierde (tanha), das Verlangen nach
weltlichen Objekten – also Formen und Farben, Geräuschen, Düften,
Geschmäcken, und Berührungen, sowie feinkörperlichen Objekten und
Geisteszuständen. Das Verlangen führt zum Anhaften an weltlichen Objekten,
die Geburt, Alter, Krankheit und Tod mit sich bringen und uns hineinziehen in
den Strudel des unaufhörlichen Wechsels.
Der Weg der Aufhebung des Leidens, das ist der Achtfache Pfad, der Mittlere
Weg, der in der Erkenntnis der Wirklichkeit besteht, zur Gewinnung des
Edlen Pfades und seiner Frucht führt, und in Nibbana mündet. Dies ist der
Weg, die Eintrübungen des Geistes (asava-kilesa) vollständig aufzulösen. Es
ist der Weg derer, die ein religiöses Leben (brahmachariya) führen, der Weg
der Geläuterten. Es ist der Weg des Entkommens aus dem ständigen
Geborenwerden und Sterben im Kreislauf des Samsara, indem man die
Wahrheit selbst erfährt, daß Leiden (dukkha) erkannt werden muß, daß die
Ursache (samudaya) beseitigt werden muß, daß das Verlöschen (nirodha)
verwirklicht und der Pfad (magga) entwickelt werden muß.
F: Besteht für den Meditierenden, der diese Methode übt, irgendeine Gefahr?
A: Die Übung kann gefährlich werden, wenn der Übende die Richtlinien der
Klarblickmeditation noch nicht richtig versteht, oder wenn man anhand von
Büchern meditiert und sich ein eigenes Verständnis zurechtlegt. Wenn man
ohne die Führung eines qualifizierten Lehrers üben muß, der beständig auf
den rechten Weg hinweist, und im Laufe der Übung tauchen meditative
Phänomene (sabhavadhamma) auf, dann glauben manche, sie hätten einen
Durchbruch erreicht und die Erleuchtung erfahren. Einige Übende entwickeln
eine Vorliebe für bestimmte geistige Wahrnehmungen
(nimitta), Lichterscheinungen, Bilder oder plastische Vorstellungen. Das kann
bis zur Besessenheit gehen. So etwas ist allerdings eher in der
Sammlungsübung anzutreffen. Da arbeitet man ja mit vorgestellten Objekten
(kasina), man konzentriert sich auf geistige Bilder mit Verblendung, d. h. man
erkennt nicht die wahre Natur der Sinneserfahrung. Wenn sich das Objekt,
auf dem die Konzentration beruht, plötzlich verändert, oder ein
erschreckendes Bild taucht plötzlich auf, kann es passieren, daß man die
Kontrolle verliert und durchdreht.
Aber die Klarblickmeditation besteht darin, daß man in jedem Moment des
Ausatmens und Einatmens die Achtsamkeit anwendet. Durch die Übung
werden Weisheit (panna) und klare Auffassung (sampajanna), sowie
Anstrengung (viriya) entwickelt. Diese drei Geisteskräfte arbeiten zusammen
in der Bemühung, das gegenwärtige Objekt in jedem Moment zu noten. Wann
immer ein Objekt auftaucht, seien Sie sich nur dieses Objektes bewußt, wie
es wirklich ist. Dann lassen Sie dieses Objekt von Moment zu Moment los,
denn alles, was in unserer Erfahrung auftaucht, muß auch auf natürliche
Weise wieder vergehen. Egal, welche besonderen Eigenschaften oder
Merkmale das Objekt hat, es taucht auf und verschwindet dann wieder. Es ist
die Edle Wahrheit des Leidens (dukkha ariyasacca), die da entsteht und
vergeht. Dieser Vorgang ist schwer zu ertragen, er ist leidhaft. Wenn die
Übenden dies nur verstehen können, dann birgt die Übung der
Klarblickmeditation keine Gefahr. Im Gegenteil, sie wird uns zu Menschen mit
höherer Bewußtheit und Erkenntniskraft machen.
F: Manche Leute sagen, wer meditiert, verliert den Anschluß, macht keinen
Fortschritt mehr in der Welt, wird stur und altmodisch, ist jedenfalls nicht mehr
auf der Höhe der Zeit. Was sagen Sie dazu?
A: Jeder, der in diese Welt geboren ist, muß ein Ziel im Leben haben. Er
sollte wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Um sein Leben zu
entwickeln und ein Mensch von höchster Tugend zu werden, was muß man
da tun? Ob ein Mensch gut oder schlecht ist, hängt von seinem eigenen Geist
ab. Das können wir selber nachprüfen. Dann sind wir immer auf der Höhe der
Zeit.
Wir leben im Zeitalter der Naturwissenschaft. Wir benutzen Technologie,
Computer und Atomenergie zur Untersuchung, Erforschung und Ausbeutung
der materiellen Welt und wir verfolgen damit materielle Zwecke. Wir setzen
unseren Geist ein, um nach solchem Wissen zu suchen, und wir konkurrieren
in der Erzeugung materieller Dinge. Kurz gesagt: Wir sind Materialisten. Das
nennen wir dann Fortschritt. Es ist aber nur weltliches Wissen. Wenn wir es
richtig einsetzen, auf friedliche Weise verwenden, dann wird es der ganzen
Menschheit zugute kommen. Nutzen wir dieses Wissen aber mit Gier, Haß
und Verblendung (lobha, dosa, moha), dann wird das Ergebnis unweigerlich
die Vernichtung der Menschheit sein. Es wird alles in der Welt zerstören. Und
dann wird keine Entschuldigung und keine Ausrede mehr gelten für die, die
sagen: “Ich bin ein Pionier, ich bin Wissenschaftler,” oder: “Ich bin auf der
Höhe der Zeit.” Ist das nun Gewieftheit oder ist das nicht viel mehr Dummheit
in den Herzen derjenigen, die vom Materialismus in die Irre geleitet werden,
bis sie vergessen, daß das Wichtigste im Leben Dhamma ist. Dhamma, das
ist die Natur, die ist immer auf der Höhe der Zeit!
Wer Dhamma studiert und praktiziert, Dhamma selbst erforscht und sich von
der Wahrheit überzeugt, Dhamma analysiert und für das praktische Leben
nutzt, der benutzt Dhamma, um Verlangen und übersteigerte Begierden,
Ärger, Neid und Verblendung zu kontrollieren, die ihn dem Alkohol und dem
Rauschgift in die Arme treiben. Wenn unser Geist nicht mehr getrübt ist von
den Eintrübungen des Herzens, dann ist dieser Geist klar und ruhig, und er
kennt die Wirklichkeit der Natur wie sie wirklich ist.
Dann wird das Leben erfüllt sein von wahrem Glück. So jemand kennt die
Gesetzmäßigkeiten der weltlichen Prozesse wie auch die Prinzipien des
Dhamma, und er wird dieses Wissen beim Studium und bei der Führung
seines Geschäfts anwenden, um Fortschritt und Wohlstand in der Zukunft zu
gewährleisten, und er wird darin besser sein als jemand, der sich nicht
für Dhamma und für das Funktionieren seines eigenen Geistes interessiert,
der nichts über den Zusammenhang zwischen den geistigen Eintrübungen,
den Taten und deren Wirkungen (kilesa, kamma, vipaka) weiß und nicht
versteht, daß die Vier Edlen Wahrheiten, der Achtfache Pfad, die Vier
Grundlagen der Achtsamkeit – daß dies die Lehren sind, die unsere
Probleme lösen können, die Lehren, die zum Aufhören des geistigen Leidens
im Leben führen, die Lehren, die wir benutzen können, um den Geist von der
niedrigen Stufe eines Weltlings (puthujjana) zu der hohen Gesinnung eines
Edlen (ariya puggala) zu entwickeln.
Auch in unserer modernen Zeit gilt die Herausforderung für jeden von uns,
selber heranzukommen an die Wirklichkeit und sich zu überzeugen, wie sie
ist ohne die Begrenztheit der zeitlichen Endlosigkeit, und jemand, der das in
der Praxis nachprüft: Der weiß es aus eigener Erfahrung! So jemand ist
besser als die, die nichts wissen wollen von der Lehre und sie nicht üben.
Das sind doch in Wahrheit die Zurückgebliebenen, die nicht mit der Zeit
gehen, wie vorgeschichtliche Fossilien.
F: Was sind die vier förderlichen Hilfsmittel (sappaya) für Meditierende?
A: Zur Zeit Buddhas sollten die Meditierenden folgende vier günstige
Bedingungen für die Übung aufsuchen:
1.Geeigneter Wohnplatz, der Ruhe förderlich, ungestört durch Lärm,
zum Beispiel im Wald, im Wurzelbereich eines Baumes, ein leeres Haus
oder Zimmer.
2.Gesundes Essen, das leicht zu bekommen ist. Für Mönche heißt
das: Die Almosenrunde sollte zu Dörfern nicht allzu weit weg führen,
und man sollte dort genug Essen bekommen.
3.Ein guter Mensch, ein spiritueller Freund, ein Meditationslehrer, der
den Übenden immer gemäß dem Mittleren Weg anleitet.
4.Angepaßte Methode, das heißt, eine Meditationsübung
(kammatthana), die der Veranlagung des Meditierenden angepaßt ist,
sodaß weder Anspannung noch Entspannung sich zu stark entwickeln.
Es ist die Methode, die dem Übenden rasch Ergebnisse bringt, wie es
sich gehört.
In der heutigen Zeit sollten wir nach einem Meditationszentrum Ausschau
halten, wo Klarblickmeditation gelehrt wird und die vier förderlichen
Bedingungen, wie beschrieben, vorhanden sind, das heißt angenehme
Unterbringung, Essen ist leicht zu bekommen und angemessen, es gibt
einen Vipassana Lehrer, der auf dem Gebiet der Klarblickmeditation
Erfahrung hat, und die Methode ist auf den Meditierenden abgestimmt.
Gegenwärtig ist das Allerwichtigste nur der Meditationslehrer. Er sollte
sorgfältig analysieren und unterweisen, denn es ist für uns Heutige schwierig,
so gute Lehren zu finden wie es sie in Buddhas Zeit gab.
F: Wie soll einer vorgehen, der noch nie meditiert hat?
A: Der erste Schritt ist, daß man mehr über das Thema Klarblickmeditation
lernt, damit man rechtes Verständnis der Methode hat, bevor man mit der
Übung beginnt. Aber wenn man das aus irgendwelchen Gründen nicht kann,
oder man hat das Thema bereits studiert, versteht es aber doch noch nicht
richtig, dann sollte man zu einem Klarblicklehrer in ein Meditationszentrum
gehen und dort um Aufnahme für die Übung bitten. Selbst wenn jemand
schon viele Bücher gründlich studiert hat, ist es dennoch notwendig, die
Anleitung eines Meditationslehrers zu haben, der einem die korrekte Übung
klarmacht, denn vom Schriftenstudium (pariyatti) kennen wir ja nur die
geschriebenen Worte, während man in der praktischen Übung (patipatti)
persönlich Bekanntschaft mit den natürlichen Phänomenen
(sabhavadhamma) macht, wie sie wirklich sind. Und da gibt es Unterschiede
je nach der individuellen Entwicklung der verschiedenen Menschen, ihre
Fähigkeiten und Veranlagungen, ihre Stimmungen und Gefühle und die
Ansammlung des kamma sind nie gleich. Dann gibt es Phänomene, die erst
im Laufe der Klarblickübung entstehen, zum Beispiel Konzentration,
Begeisterung, Ruhe, Gleichmut (samadhi, piti, passaddhi, upekkha). Manche
dieser Phänomene sind in den Schriften nicht erwähnt. Deshalb ist das
Wichtigste, einen Meditationslehrer zu haben, der theoretisches Wissen
sowie praktische Erfahrung hat.
TEIL 1
DIE ÜBUNG
Die Übung der Klarblickmeditation (vipassana kammatthana) besteht in der
Entwicklung der Vier Grundlagen der Achtsamkeit (satipatthana) –
1.Betrachtung des Körpers (kayanupassana) Achtsamkeit (sati)
betrachtet den Körper(kaya) im Körper, wie er wirklich ist.
2.Betrachtung der Empfindungen (vedananupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Empfindungen (vedana) in den Empfindungen, wie sie
wirklich sind.
3.Betrachtung der Geisteszustände (cittanupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Geisteszustände (citta) in den Geisteszuständen, wie sie
wirklich sind.
4.Betrachtung der Geistesdinge (dhammanupassana) – Achtsamkeit
betrachtet die Geistesdinge (dhamma) in den Geistesdingen, wie sie
wirklich sind.
Die vier Grundlagen der Achtsamkeit umfassen alle Objekte, die in unserer
Erfahrung auftauchen. Das bedeutet: der Körper, die Empfindungen, die
Geisteszustände und die Geistesdinge – also die vier Grundlagen der
Achtsamkeit – sind unmittelbar hier in unserer Erfahrung, und um ihre wahre
Natur zu entdecken, müssen wir die Achtsamkeit anwenden. Lassen Sie mich
die Bereiche dieser vier Grundlagen noch deutlicher machen, damit sie
leichter zu üben sind. Buddha hat erklärt, daß die Ebene, auf der
menschliche Wesen – ja, fühlende Wesen ganz allgemein – wirklich
existieren, die fünf Anhäufungen des Anhaftens (upadanakkhandha) sind.
Mit anderen Worten: Wir bestehen aus fünf verschiedenen Arten natürlicher
Phänomene, die sich mischen und verbinden zu komplexen Formen und
Erscheinungen, für die wir Namen erfinden und sagen: “Dies ist ein
menschliches Wesen, eine Frau, ein Mann, dies ist ein Tier, ein Baum, usw.”
Die fünf Anhäufungen (khandha) sind im Einzelnen –
1.Die Anhäufung des Körperlichen (rupakkhandha).Die Anhäufung
des Körperlichen umfaßt zunächst die vier Grundelemente der Materie
(mahabhutarupa):
1.das Element der Raumverdrängung (pathavi – Erde).
2.das Element des Zusammenhalts (apo – Wasser).
3.das Element der Temperatur (tejo – Feuer).
4.das Element der Bewegung (vajo – Wind).
Außerdem gehören zur Anhäufung des Körperlichen feinstoffliche Elemente,
oder sekundäre materielle Phänomene, wie Farbe, Geruch, Geschmack,
Nährfähigkeit, organisches Leben, die Sensitivität der Sinne für ihre
jeweiligen Objekte und andere materielle Phänomene, die auf den vier
Grundelementen aufbauen.

  1. Die Anhäufung der Empfindungen (vedanakkhandha). Die
    Sinnesempfindungen, oder Gefühle, haben die Aufgabe, die Objekte als
    angenehm, unangenehm oder neutral zu erleben.
  2. Die Anhäufung der Wahrnehmungen (sannakkhandha).
    Wahrnehmung hat die Funktion, die Objekte der vier Grundlagen der
    Achtsamkeit – also Formen und Farben, Klänge, Düfte, Geschmäcke,
    Berührungen und geistige Objekte – zu erkennen und diese
    Informationen im Gedächtnis abzulegen. Erinnerung ist eine weitere
    Funktion der Wahrnehmung.
  3. Die Anhäufung der Gebilde (sankharakkhandha). Hierbei handelt
    es sich um die Geisteskräfte (cetasika), die das Bewußtsein begleiten.
    Die heilsamen (kusala) Geisteskräfte machen den Geist verdienstvoll,
    oder gut. Die unheilsamen (akusala) Geisteskräfte machen den Geist
    verdienstlos, oder schlecht. Die erhabenen Geisteskräfte (abhayakata),
    hingegen, machen den Geist gefestigt und losgelöst. Diese drei
    Gruppen von Geisteskräften stehen hinter den Geistestätigkeiten. Je
    nachdem, wie stark sie auftreten, können sie Gedanken, Sprache oder
    körperliche Handlungen verursachen.
  4. Die Anhäufung des Bewußtseins (vinnanakkhandha). Die
    Anhäufung des Bewußtseins hat die Funktion, die Objekte der sechs
    Sinnestore – der Augen und Ohren, der Nase und Zunge, des Tastsinns
    und des Geistes – aufzufassen und ihrer bewußt zu sein. Zu dieser
    Anhäufung gehören auch das Wiedergeburtsbewußtsein
    (patisandhi) und die unbewußte Lebensgrundlage (bhavanga).
    Die Betrachtung des Körpers hat als Objekt die Anhäufung des
    Körperlichen.
    Die Betrachtung der Empfindungen hat als Objekt die Anhäufung der
    Empfindungen.
    Die Betrachtung der Geisteszustände hat als Objekt die Anhäufung
    des Bewußtseins.
    Die Betrachtung der Geistesdinge hat als Objekt die Anhäufungen der
    Wahrnehmung und der Gebilde.
    In der Praktischen Übung werden die fünf Anhäufungen zusammengefaßt zu
    nur zwei Kategorien: Körper (rupa) und Geist (nama). Die Anhäufung des
    Körperlichen nennen wir Körper (rupa), die Anhäufungen der Empfindungen,
    der Wahrnehmung, der Gebilde und des Bewußtseins werden
    zusammengefaßt unter dem Begriff Geist (nama).
    Zum besseren Verständnis sei es noch einmal betont: Die Objekte der
    Klarblickmeditation lassen sich am einfachsten in nur zwei Kategorien
    einteilen – Körper und Geist.
    Was die Natur betrifft, die dieses Spektrum von Objekten bewußt erlebt, das
    ist der Geist, der begleitet wird von Anstrengung (viriya), klarer Auffassung
    (sampajanna), Konzentration (samadhi) und Achtsamkeit (sati).
    Prägnant formuliert könnte man sagen: Alle natürlichen Phänomene gipfeln
    in, und werden zusammengefaßt von der Achtsamkeit. Deshalb soll man
    Achtsamkeit anwenden, um den gegenwärtigen Moment zu betrachten, das
    gegenwärtige Objekt.
    Achtsamkeit ist vergleichbar mit dem Fußabdruck eine Elefanten: Die Spuren
    kleinerer Tiere werden alle vom Fußabdruck eines Elefanten überdeckt.
    Wenn Achtsamkeit in der Gegenwart nicht aktiv ist, können andere heilsame
    Geisteskräfte auch nicht entstehen. Aber wenn Achtsamkeit auftaucht,
    kommen nur die heilsamen Kräfte mit zur Entstehung. Deswegen hat Buddha
    immer zur systematischen Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit
    ermuntert.
    Wenn man versteht, was die Objekte der Klarblickmeditation sind, und wer
    das Subjekt ist, das diese Objekte bewußt erlebt, dann kann man die Übung
    damit beginnen, Achtsamkeit auf die vier primären Körperhaltungen zu
    richten: Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen.
    Sitzmeditation
    Während der Sitzmeditation sitzt man mit gekreuzten Beinen und aufrechtem
    Körper, der rechte Fuß liegt auf dem linken Bein und die rechte Hand über
    der linken, Handflächen weisen nach oben. Augen und Lippen bleiben
    geschlossen, die Zähne berühren sich aber nicht, während die Zunge hinter
    den oberen Zähnen gegen den Gaumen gelegt wird. Rufen Sie nun die
    Achtsamkeit wach, um sich auf das zu betrachtende Objekt zu richten. Dann
    betrachten Sie den Körper im Körper. Das Hauptobjekt, das betrachtet
    werden soll, ist das Heben und Senken der Bauchdecke. Wenn sich die
    Bauchdecke hebt, stellen Sie innerlich fest: ‘heben.’ Wenn sich die
    Bauchdecke senkt, stellen sie innerlich fest: ‘senken.’ Dann machen Sie
    einfach kontinuierlich weiter: ‘heben – senken – heben – senken…’.
    F: Wie soll man die Achtsamkeit wachrufen?
    A: Der Übende soll sich geistig wohlfühlen und unbesorgt sein, nicht zu
    ernsthaft oder erwartungsvoll, denn die Phänomene, die da auftauchen,
    müssen allesamt wieder wegfallen. Es ist ein Merkmal der Natur, daß alles,
    was natürlich entsteht, auch wieder vergeht. Man soll nur die Achtsamkeit fest
    auf das Objekt gerade vor sich richten und es sehen, wie es wirklich ist: es
    entsteht und vergeht. Man sollte an gar nichts anhaften, sondern den Geist
    neutral und ruhig halten. Das nennt man die Übung des Mittleren Weges:
    nicht anzuhaften an guten Objekten oder an schlechten Objekten, nicht
    anzuhaften an Objekten, die ein angenehmes oder ein unangenehmes
    Gefühl hervorrufen. Wenn die Achtsamkeit so wachgerufen wird, daß sie
    bewußt das gegenwärtige Objekt betrachtet, sieht, wie es wirklich ist, und es
    dann losläßt, dann ist die Achtsamkeit richtig wachgerufen.
    F: Wieviel Zeit soll man einsetzen für die Entwicklung der Achtsamkeit?
    A: Das hängt von den Kräften des Übenden ab. Ein Kind im Alter von 7 – 10
    Jahen sollte nur 10 Minuten üben. Heranwachsende von 10 – 15 Jahren
    sollten 20 Minuten üben. Ab 15 Jahren Alter und bei guter Gesundheit sollte
    man mit 30 Minuten beginnen.
    Wenn der Übende Energie, Achtsamkeit und Konzentration (viriya, sati,
    samadhi) entwickelt hat, sollte man langsam die Zeit erhöhen. Man soll sie
    nicht zu schnell erhöhen: von 30 auf 40 Minuten, dann von 40 auf 50
    Minuten, und dann von 50 auf 60 Minuten. Wer neu in der Meditation ist,
    sollte nicht länger als eine Stunde sitzen. Man muß zuerst lernen, die in der
    Meditation zum Einsatz kommenden Geisteskräfte ins Gleichgewicht zu
    bringen und dieses zu bewahren, bevor man länger als eine Stunde sitzt.
    F: Manchmal ist der Geist nicht ruhig, man denkt oder hängt Überlegungen
    nach. Das ist frustrierend. Was soll man dann tun?
    A: Wenn es nur Denken ist, stellen Sie einfach fest: ‘denken, denken.’ Sind
    es Überlegungen, so noten Sie ‘überlegen, überlegen.’ Wenn der Geist vom
    einen zum anderen wandert, noten Sie ‘wandern, wandern,’ und wenn sie
    wegen des wandernden Geistes frustriert werden, bemerken Sie: ‘frustriert,
    frustriert.’ Die Worte sollten nur gedacht werden. Achten Sie darauf, daß die
    Lippen, Zunge, Kiefer oder Kehlkopf sich nicht mitbewegen. Das Benennen
    des Objekts hat den Sinn, sich zu vergewissern, daß man auch wirklich auf
    das gegenwärtige Objekt achtet. Wenn man nicht benennt, kann es leicht
    passieren, daß die Aufmerksamkeit abschweift, ohne daß man es merkt.
    Notet man aber, dann fällt es schneller auf, wenn man abschweift, weil man
    dann aufhört zu noten. Die Worte sind aber nicht die Objekte der
    Betrachtung; die Aufmerksamkeit muß auf die besonderen Merkmale des
    Objektes gerichtet werden, das man gerade notet. Im allgemeinen wiederholt
    man das Wort einmal. Die erste Bemerkung soll die Aufmerksamkeit auf das
    Objekt lenken, und die zweite sorgt dafür, daß man eine neutrale Haltung
    bewahrt. Man kann aber auch öfter noten. Der Geist soll während der
    Meditation kontinuierlich und in einem Tempo das gegenwärtige Objekt noten,
    etwa einmal pro Sekunde.
    F: Manchmal ist der Geist irritiert, besorgt, entmutigt, gelangweilt, lustlos,
    schläfrig oder Ähnliches. Wie soll man damit umgehen, oder wie soll man das
    betrachten?
    A: Noten Sie ganz einfach das geistige Objekt, das da im Geist aufgetaucht
    ist: ‘irritiert, irritiert,’ ‘ besorgt, besorgt,’ ‘entmutigt…’, ‘gelangweilt…’,
    ‘lustlos…’, ‘schläfrig…’, ‘träumen, träumen…’. Sie können natürlich auch
    Substantive nehmen: ‘Sorge, Sorge’, ‘Zweifel, Zweifel,’ und so weiter. Legen
    Sie sich auf ein Wort fest, das für Sie am klarsten das Objekt repräsentiert
    und bleiben Sie dann dabei.
    F: Wie soll man äußere Objekte noten, die auftauchen?
    A: Wenn Objekte durch das Auge auftauchen, noten Sie: ‘sehen,
    sehen.’ Wenn ein Geräusch auftritt, noten Sie ‘hören, hören.’ Taucht ein
    Geruch auf, noten Sie: ‘ riechen, riechen.’ Wenn ein Geschmack auftaucht,
    noten Sie: ‘schmecken, schmecken.’ Hören Sie zum Beispiel einen Hund
    bellen, so noten Sie nicht ‘Hund, Hund,’ sondern: ‘hören, hören,’ während die
    Achtsamkeit auf das Ohr gerichtet ist und dort beobachtet, wie der Kontakt
    des Sinnesorgans mit dem Objekt – dem Geräusch – das Hörbewußtsein
    hervorruft.
    Wenn Sie einen körperlichen Eindruck von Kühle oder Wärme, Weichheit
    oder Härte spüren, so benennen sie das Objekt nach seiner besonderen
    Eigenschaft: ‘kühl, kühl,’ ‘warm, warm,’ ‘weich, weich,’ ‘hart, hart.’ Taucht ein
    Objekt im Geist auf, dann noten Sie je nach der Wahrnehmung als ‘sehen,
    sehen,’ ‘erinnern, erinnern,’ ‘denken, denken,’ ‘vorstellen,’ ‘planen,’ und
    dergleichen, was gerade aufgetaucht ist.
    F: Wenn man lange sitzt, können Schmerzen in den Knien, in den Beinen,
    oder im Rücken auftauchen. Wie soll man diese Empfindungen betrachten?
    A: Gehen Sie mit der Achtsamkeit an die Stelle, wo Sie die Empfindung
    erleben, und seien Sie sich dieses Objekts bewußt. Dann noten Sie es:
    ‘Schmerz, Schmerz.’ Empfinden Sie ein Stechen, dann benennen Sie es:
    ‘stechen, stechen.’ Ist die Empfindung taub, noten Sie: ‘taub, taub. ’ Wenn die
    Empfindung verschwindet, gehen Sie mit der Achtsamkeit wieder zur
    Bauchdecke und noten weiter ‘Heben’ und ‘Senken.’
    F: Wenn die Empfindung aber nicht verschwindet, nachdem man sie genotet
    hat, was soll man dann tun?
    A: Bei der Betrachtung von körperlich unangenehmen Empfindungen
    (dukkhavedana) wie z. B. dumpfem oder stechendem Schmerz, Taubheit,
    Ziehen, Ermüdung, werden Sie, solange die Konzentration gut ist, ohne
    Schwierigkeiten noten können, daß da eine Empfindung von dumpfen oder
    stechenden Schmerz, von Taubheit, Ziehen oder Ermüdung ist, und Sie
    können das Entstehen und Vergehen der unangenehmen Empfindung
    deutlich sehen.
    Oft verschwinden solche Empfindungen von selbst, wenn man sie eine Weile
    beständig und ohne innere Verkrampfung genotet hat. Wenn man die
    Empfindung aber schon eine Weile genotet hat, und sie ist noch nicht
    verschwunden, dann liegt das daran, daß sie besonders stark ist.
    Manchmal halten uns Geist-und-Körper (nama-rupa) auch das Merkmal der
    Leidhaftigkeit (dukkha) deutlich vor Augen, damit Weisheit (panna) die drei
    allgemeinen Merkmale – Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit, Selbstlosigkeit
    (anicca, dukkha, anatta) – besser erkennen kann. In diesem Fall ist das
    schmerzhafte Gefühl außergewöhnlich stark. Wenn man es nicht aushalten
    kann, dann sollte man eine kleine Bewegung machen, oder die Sitzhaltung
    verändern, damit der Schmerz aufhört. Aber vergessen Sie nicht, achtsam
    den Wunsch, sich zu bewegen, zu noten: ‘Absicht, Absicht. ’ Und wenn Sie
    die Hände, die Arme, die Beine bewegen, tun Sie es langsam und mit voller
    Aufmerksamkeit und noten Sie alle einzelnen Bewegungen entsprechend:
    ‘lösen’, ‘bewegen…’, ‘berühren…’, ‘anheben…’, ‘ausstrecken…’, ‘ablegen…’,
    ‘zurückziehen.’ Läßt der Schmerz nach, dann notet man wieder Heben und
    Senken der Bauchdecke.
    F: Wenn man schmerzhafte Gefühle notet, muß man damit weitermachen,
    bis dieses Objekt verschwindet, oder kann man statt dessen andere Objekte
    noten?
    A: Es gibt zwei Arten körperlich unangenehmer Gefühle (dukkha-vedana).
    Eine Art ist starker nötigender Schmerz. Da muß man etwas unternehmen.
    Dann gibt es körperliche Schmerzen, die nicht behoben werden müssen. Wir
    sollten auf die nötigenden Schmerzen achtgeben, zum Beispiel den Drang,
    Urin oder Stuhl auszuscheiden. Das sind Schmerzen die man nur begrenzt
    unterdrücken kann. Sie werden nicht durch das Noten weggehen. Manchmal
    entsteht auch ein heftiger Schmerz im Körper. Der Übende quittiert ihn
    achtsam, aber der Schmerz wächst weiter und weiter an. Wenn der Übende
    schon genug Erfahrung im Anschauen von schmerzhaften Gefühlen hat,
    dann wird er es aushalten können. Anfänger in der Meditation halten das aber
    nicht aus. Sie werden mürbe. Dann sollten sie langsam die Sitzhaltung
    ändern, wobei jedes Detail des Bewegungsablaufs sorgfältig beachtet werden
    muß.
    Die körperlich unangenehmen Empfindungen, die nicht behoben werden
    müssen, sind nur geringfügige Schmerzen, die auftauchen und
    verschwinden. Wenn sie nicht gewaltig sind, ist es nicht nötig, die Haltung zu
    ändern oder sich irgendwie zu bewegen. Richten Sie nur die Achtsamkeit auf
    dieses Objekt und stellen Sie fest, was wirklich da ist: Schmerzhaftes Gefühl,
    das auf natürliche Weise entsteht und vergeht. Sogar das Phänomen des
    Schmerzes ist nicht kompakt, es dauert nicht. Es ist vergänglich, bedrückend,
    und entbehrt einer eigenen Existenz, genauso wie die köperlichen (rupa)
    Phänomene. Das Gleiche gilt auch für alle anderen geistigen (nama)
    Phänomene.
    F: Tauchen Schmerzen in der Meditation auch noch auf, wenn man schon
    lange meditiert hat? Woher kommen diese Schmerzen?
    A: Das hängt von der Praxis ab. Wenn der Meditierende das Objekt eine
    lange Zeit kontinuierlich betrachten kann – als vorübergehendes Hauptobjekt
    – dann entwickelt sich Konzentration sehr stark. Zusammen mit kräftiger
    Konzentration steigen dann Geisteskräfte (sankhara) wie Begeisterung
    (piti) und (geistiges) Glücksgefühl (sukha) im Bewußtsein auf. Man fühlt sich
    zufrieden und glücklich, und das wirkt wieder auf den Körper zurück. Wenn
    man in einer solchen Situation Schmerzen empfindet, erkennt man sie nicht
    als Schmerzen. Sie sind dann nur noch dieses Objekt da, und man fühlt sich
    wohl dabei. Das liegt am Überwiegen des geistigen Wohlgefühls. Unter
    solchen Umständen ist man in der Lage, die vorgenommene Zeit für die
    Sitzung einzuhalten. Erst wenn man die Sitzung beendet und sich bewegt,
    oder wenn man zwischendurch aufhört zu noten, dann merkt man den
    Schmerz. Manche Meditierende erleben eigenartige plötzliche Schmerzen im
    Rücken oder in anderen Körperteilen. Das sind Schmerzen, die man als
    karmische Schuld bezeichnen könnte. Vielleicht hat der Übende auch in
    diesem Leben noch die Angewohnheit, zum Beispiel, Schlangen auf den
    Rücken zu schlagen, oder Hunde, Katzen und andere Kleintiere zu quälen.
    Dann sind die Schmerzen die Frucht (vipaka) solcher Handlungsweise
    (kamma), und wir sollten die Reifung dieses kamma geduldig ertragen.
    Gehen und Stehen
    F: Wie soll man bei der Gehmeditation gehen?
    A: Die Mahasatipatthanasutta sagt dazu, wenn man geht, soll man sich
    bewußt sein, daß man geht. Es wird nicht gesagt, wieviele Teile ein Schritt
    hat. Der Atthakatha Kommentar teilt den einzelnen Schritt aber in bis zu
    sechs Teile:
    1.Rechter Schritt, linker Schritt.
    2.Den Fuß aufheben, den Fuß absetzen.
    3.Den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den Fuß absetzen.
    4.Die Ferse (vom Boden) lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen,
    den Fuß absetzen.
    5.Die Ferse lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den
    Fuß senken, den Fuß absetzen.
    6.Die Ferse lösen, den Fuß aufheben, vorwärts bewegen, den
    Fuß senken, den Boden (mit den Zehen) berühren, den Fuß absetzen.
    Für die Meditation im Stehen stellt man sich aufrecht hin. Halten Sie die linke
    Hand mit der rechten, entweder vor oder hinter dem Körper, wie es Ihnen
    paßt. Dann stellen Sie innerlich das Erlebnis des stehenden Körpers fest:
    ‘Stehen, stehen..’, etwa dreimal. Beginnen Sie dann zu gehen und noten Sie
    gemäß dem ersten Gang: ‘Rechter Schritt, linker Schritt, rechter Schritt, linker
    Schritt…’, und so weiter. Richten Sie Ihre Augen geradeaus, in eine
    Entfernung von etwa drei bis fünf Metern. Rufen Sie die Achtsamkeit wach
    und achten Sie auf die Empfindung des Fußes, der sich bewegt. Das Wort
    ‘rechts’ bedeutet, daß der rechte Fuß sich vorwärts bewegt, also die
    Bewegung des Fußes, während er sich bewegt, oder nach vorne gebracht
    wird. Stellen Sie den Fuß zuerst ab, bevor Sie das Gewicht verlagern. Das
    begünstigt die Achtsamkeit, weil der Bewegungsablauf bis zuende betrachtet
    wird, bevor das Objekt wechselt. Erst wenn der Fuß am Boden ruht,
    höchstens eine Handbreit vor dem anderen, verlagern Sie das Gewicht, und
    der andere Fuß kann sich bewegen.
    Wird die Gehmeditation langsam ausgeführt, sollte man die Schritte innerlich
    begleiten mit drei Silben: ‘Rechts geht so, links geht so, rechts geht so…’.
    Das Wort ‘…so’ sollte zusammentreffen mit dem Moment, wo die Sohle den
    Boden berührt. Geht man etwas schneller, notet man: ‘rechter Schritt, linker
    Schritt….’. Normales Gehen begleitet man innerlich nur als ‘rechts, links,
    rechts, links…’.
    Der Weg, auf dem wir die konzentrierte Gehmeditation machen, sollte etwa
    zwölf Schritte lang sein, oder drei bis vier Meter. Wenn Sie am Ende
    angekommen sind, müßen Sie sich umdrehen. Noten Sie das als ‘drehen,
    drehen…’, während sich der Körper nach rechts oder links herumdreht. Die
    rechte Ferse folgt Stück für Stück einem Bogen; noten Sie das: ‘drehen,
    drehen,…’. Wenn Sie in die Richtung sehen, aus der Sie gekommen sind,
    noten Sie zunächst die stehende Haltung: ‘stehen, stehen…’. Wenn Sie
    wieder losgehen, noten Sie innerlich die Schritte: ‘Rechts geht so, links geht
    so, rechts geht so…’.
    F: Wie lange soll die Gehmeditation geübt werden; wieviele Minuten
    jedesmal?
    A: Wer keine Meditationserfahrung hat, sollte in jeder Übungseinheit die
    gleiche Zeit für das Sitzen wie für das Gehen aufwenden. Wenn man also 30
    Minuten sitzt, soll man auch 30 Minuten gehen. Wer nur 20 Minuten sitzt, soll
    auch 20 Minuten gehen, und wer 10 Minuten sitzt, sollte auch nur 10 Minuten
    im Gehen üben. Wie lang die Übungseinheit sein soll, hängt von den
    Fähigkeiten des Übenden ab, ob es ein Kind, ein Erwachsener, oder ein alter
    Mensch ist.
    Im allgemeinen gilt: Je länger Sie gehen können, desto besser. Dadurch
    entwickelt sich geistige Energie (viriya), sodaß man anschließend im Sitzen
    leichter achtsam noten kann. Manche Übende haben einen besonders
    zerstreuten, diskursiven Geist. Sie sollten die Übungszeiten im Sitzen und
    Gehen gleich halten; allenfalls etwas weniger gehen, damit sich mehr
    Konzentration (samadhi) entwickelt und der Geist ruhig wird.
    F: Was sind die methodischen Richtlinien für die aufbauenden Stufen der
    Meditation?
    A: Für den Übungsfortschritt ist es nötig, einen Klarblicklehrer zu haben, der
    einen in der korrekten Übungsweise berät. Er muß in täglichen Gesprächen
    prüfen, wie sich die Geisteskräfte des Meditierenden entwickeln und welche
    spezifischen Phänomene er erlebt. Wenn Probleme auftauchen, muß der
    Lehrer dem Übenden helfen, sie zu lösen. Er soll den Schüler zu rechtem
    Verständnis führen, sodaß die Übung in Fortschritt mündet und Hindernisse
    überwunden werden. Der Klarblicklehrer sollte die Intensität der Übung
    allmählich anheben, indem der die Schritteinteilung der Gehmeditation
    entsprechend dem Übungsfortschritt differenziert.
    Die weiteren Schritte
    Wenn beim Sitzen die Atmung sich beruhigt hat und das ‘Heben ” und
    ‘Senken” langsam wird, sollte man gegen Ende des Atemzugs die Sitzhaltung
    als drittes Objekt regelmäßig noten: ‘Heben, senken, sitzen,’ – ‘heben,
    senken, sitzen…’, und so weiter.
    F: Wie soll man die Sitzhaltung noten?
    A: Wenn man sitzt, soll man sich bewußt sein, daß man sitzt. Das heißt, im
    Moment des Sitzens ist da die sitzende Form. Noten Sie diese Form: ‘Sitzen,
    sitzen’.
    F: Und wie geht es in der Gehmeditation weiter?
    A: Bei der Übung im zweiten Gang wird jeder Schritt in zwei Phasen
    unterteilt: ‘den Fuß aufheben’ und ‘den Fuß absetzen,’ oder: ‘aufheben,
    absetzen, aufheben, absetzen…’. ‘Aufheben’ heißt hier, den Fuß etwa 10 –
    15 cm vom Boden zu heben, ‘absetzen ’ ist der Moment, wenn die Sohle den
    Boden berührt. Der bewegende Fuß soll den ruhenden Fuß nur eben um
    seine eigene Länge überragen. Wenn Sie, zum Beispiel, den rechten Fuß
    zuerst bewegen, dann soll die rechte Ferse etwa auf Höhe der linken Zehen
    abgesetzt werden, während der linke Fuß unverändert am Boden bleibt.
    Bewegt sich der linke Fuß, begleitet von der Bemerkung ‘aufheben,
    absetzen,’ dann wird die linke Ferse kurz vor den Zehen des rechten Fußes
    abgesetzt.
    F: Wenn das Benennen gemäß dem zweiten Schritt mit Leichtigkeit
    ausgeführt wird, was soll man dann noten?
    A: Gehen Sie über zum dritten Schritt. Als weiteres Hauptobjekt kommt im
    Sitzen die Berührung des Körpers mit dem Boden dazu. Wenn Sie
    ‘berühren” noten, dann achten Sie auf die Druckempfindung, wo der rechte
    Sitzknochen auf den Boden drückt. Der Punkt, der genotet werden soll, hat
    etwa die Größe einer Münze. Noten Sie bei jedem Atemzug: ‘Heben, senken,
    sitzen, berühren…’.
    Diese Übung soll nur gemacht werden, wenn der Atem sich beruhigt hat und
    so langsam ist, daß genug Zeit bleibt, sich auf die
    Objekte Sitzen und Berühren zu konzentrieren. Versuchen Sie also nicht, den
    Atem zu kontrollieren oder künstlich zu verlängern. Das Hauptobjekt der
    Betrachtung ist das Heben und Senken der Bauchdecke. Wenn der Atem
    wieder schneller wird, sodaß Sie keine vier Objekte hintereinander noten
    können, dann noten Sie nur ‘heben, senken, sitzen’. Geht der Atem auch
    dafür zu schnell, lassen Sie auch ‘sitzen’ weg und noten nur ‘heben’ und
    ‘senken’. Das Heben und Senken der Bauchdecke ist das primäre
    Hauptobjekt, das immer beachtet und genotet werden muß. Falls das Heben
    und Senken zu fein, zu undeutlich oder zu schnell wird, dann noten Sie
    ‘wissen, wissen ,’ bis Heben und Senken wieder klar sind. Dann noten Sie
    weiter ‘heben, senken’.
    Für das Gehen im dritten Gang wird jeder Schritt in drei Phasen
    unterteilt: ‘ den Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß absetzen.’ Beim
    Gehen heben Sie den Fuß 10 – 15 cm vom Boden. ‘Vorwärts
    bewegen’ bedeutet, daß der Fuß sich etwa 30 cm nach vorn bewegt. Wenn
    Sie ‘den Fuß absetzen,’ soll die ganze Sohle den Boden berühren.
    F: Erklären Sie bitte den vierten, fünften und sechsten Gang, damit man
    weiß, wie sie geübt werden.
    A: Die höheren Stufen der Gehmeditation setzen voraus, daß der Übende in
    der Meditation ein kontunierliches Energiepotential entwickelt hat. Bis hierher
    werden die unteren Stufen gebraucht, um die Konzentration, die sich im
    Sitzen entwickelt, durch neue Energie auszugleichen.
    Der vierte Gang teilt die Schritte in vier Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den Fuß
    aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß absetzen’. Das Wort ‘lösen’ bedeutet,
    daß nur die Ferse sich vom Boden abhebt. Der Fußballen bleibt weiter
    stehen.
    Der fünfte Gang teilt die Schritte in fünf Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den
    Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß senken, den Fuß absetzen.’ Die
    ersten drei Phasen sind die gleichen wie beim vierten Gang. ‘Senken’ wird
    genotet, während man den Fuß bis auf 5 cm über dem Boden absenkt. Dann
    notet man die Berührung mit dem Boden: ‘absetzen’.
    Der sechste Gang teilt die Schritte in sechs Phasen ein: ‘die Ferse lösen, den
    Fuß aufheben, vorwärtsbewegen, den Fuß senken, den Boden berühren, den
    Fuß absetzen.’ Wenn man diesen Schritt notet, sind die Phasen ‘lösen,
    aufheben, bewegen, senken,’ dieselben wie beim fünften Gang. Die
    Bemerkung ‘berühren’ heißt, daß Zehen und Ballen des Fußes den Boden
    berühren, aber die Ferse noch oben ist. ‘Absetzen’ bedeutet, daß die Ferse
    auf den Boden gesetzt wird.
    F: Wird die Betrachtung der stehenden, der gehenden und der sitzenden
    Körperhaltung immer so geübt, wie Sie es erklärt haben, oder gibt es noch
    andere Unterschiede?
    A: Die Meditation im Stehen hat nur eine Phase; man notet ‘stehen,
    stehen…’. Man kann aber auch längere Zeit stehend meditieren und dabei
    das Gefühl von Wärme und Härte, daß in den Fußsohlen entsteht oder/und
    die Bewegung der Bauchdecke als Hauptobjekt betrachten. Die
    Gehmeditation wird, wie beschrieben, in sechs Stufen eingeteilt.
    Für die Sitzmeditation gibt es noch weitere Tastobjekte oder
    Berührungspunkte, die man noten kann. Sie sollten eingesetzt werden, wenn
    der Geist träge und schläfrig ist. Wenn Sie die Druckempfindung betrachten,
    dann noten sie beide Sitzknochen, zuerst rechts, dann links: ‘Heben, senken,
    sitzen, berühren, berühren’. Wenn Trägheit und Müdigkeit dadurch nicht
    aufgelöst werden, sollten auch die Knöchel einbezogen werden. Nehmen Sie
    zunächst den rechten dazu, und wenn das nicht ausreicht, auch noch den
    linken.
    Die Gelenkpunkte soll man nur noten, wenn zwischen dem Senken der
    Bauchdecke und dem nächsten Heben eine Pause auftritt. Sobald der
    nächste Atemzug beginnt, muß man wieder ‘heben, senken, sitzen,’
    betrachten. Sollte es aber unmöglich sein, die Bewegung zu noten, weil sie
    unklar ist, kann man auch nur ‘sitzen, berühren, sitzen, berühren…’ noten,
    wobei die Achtsamkeit abwechselnd auf die verschiedenen Gelenkpunkte
    gerichtet wird. Dabei sollen, außer den Sitzknochen, mindestens sechs
    Punkte einbezogen werden: die Knöchel, die Knie, die Ellenbogen und
    Handgelenke. Wenn die Bewußtheit auf diese Weise viele Wege machen
    muß, kann es sein, daß dadurch Schläfrigkeit oder Benommenheit aufgelöst
    werden und der Übende neue Energie verspürt.
    F: Wenn es Zeit zum Schlafen ist, wie soll man dann den liegenden Körper
    betrachten?
    A: Bevor man sich hinlegt, soll man zunächst andere Haltungen achtsam
    noten, zum Beispiel ‘stehen, stehen.’ Wenn Sie den Körper herunterbeugen,
    noten Sie: ‘beugen, beugen,’ Wenn die Sitzknochen das Bett oder den Boden
    berühren: ‘berühren, berühren .’ Wenn Sie den Körper lehnen, um sich
    hinzulegen: ‘lehnen, lehnen.’ Wenn der Rücken die Unterlage berührt:
    ‘berühren, berühren ,’ Wenn Sie die Beine ausstrecken: ‘ausstrecken,
    ausstrecken.’ Wenn Sie die Knie anziehen: ‘beugen, beugen.’ Wenn Sie sich
    bewegen oder herumdrehen: ‘bewegen, bewegen,’ ‘drehen, drehen.’ Wenn
    Sie sich in einer Position einrichten: ‘einrichten, einrichten.’ Wenn Sie eine
    Hand aufstützen: ‘aufstützen, aufstützen.’ Wenn Sie eine bequeme
    Schlafhaltung erreicht haben, noten Sie ‘liegen, liegen ,’ bis Sie einschlafen –
    oder falls die Bewegung der Bauchdecke deutlich ist, dann betrachten Sie
    achtsam ‘heben, senken…’. In dieser Haltung soll man ganz entspannt
    betrachten. Notet man zu angestrengt, kann das verhindern, daß man
    einschläft.
    In der Anfangsphase der Achtsamkeitsübung muß man unausgesetzt die vier
    primären Haltungen Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen betrachten und jeden
    Moment achtsam noten. Nur wer nicht geistesabwesend ist und klarbewußt
    die gegenwärtig erlebte Geist-Körper-Verbindung von einem Moment zum
    anderen betrachtet, wird schon bald die Entwicklung von Klarblickwissen in
    sich feststellen.
    Dies sind die Richtlinien für Klarblickmeditation in der Anfangsphase, die hier
    beschrieben wurden, damit sie in der praktischen Übung angewendet werden
    können.
    MEDITATIVE PHÄNOMENE (SAVHAVA)
    und wie man damit umgeht
    F: Wenn man eine Weile meditiert hat, entsteht bisweilen ein kribbelndes
    Gefühl im Körper, z. B. im Gesicht, am Rücken, oder in irgendeinem anderen
    Körperteil. Manchmal fühlt es sich an, als würde man von Ameisen gebissen
    oder von Mücken gestochen, als krabbelten Insekten über den Körper, oder
    als würde man mit Nadeln gepiekst, was teilweise durchdringende
    Schmerzen verursacht. Es kommt auch vor, daß sich die Körperhaare
    sträuben, man bekommt Gänsehaut, oder ein prickelndes Schauern erfaßt für
    einen Moment die Schultern oder den Rücken. Manchmal fließen Tränen
    ohne erkennbaren Grund, oder man beginnt zu schwitzen; Hitze wallt durch
    den Körper, oder Kühle überzieht die Haut. Was sind das für Phänomene?
    Wie entstehen sie? Wie soll man sie betrachten? Können sie für die
    Meditierenden gefährlich sein?
    A: Alle diese Phänomene, die auftauchen, wenn man in die Kontemplation
    vertieft ist, werden sabhava genannt. Sie entstehen, wenn der Geist ruhig ist,
    ein Zeichen von Konzentration. Wenn Achtsamkeit intensiv geübt wird,
    intensiviert sich das Erleben; es entsteht Begeisterung (piti), die zur gleichen
    Gruppe von Geisteskräften gehört wie Konzentration. Diese beiden werden
    gemeinsam stärker und verursachen eine Vielzahl unterschiedlicher sabhava.
    Wenn solche Phänomene auftauchen, muß man sie mit Achtsamkeit noten.
    Wenn Sie zum Beispiel einen Juckreiz empfinden, noten Sie ‘jucken, jucken;’
    wenn Sie glauben, von Ameisen gezwickt zu werden, noten Sie ‘zwicken,
    zwicken;’ wenn Sie einen Stich spüren, noten Sie ‘stechen, stechen;’ fühlt es
    sich an, als krabbelten Insekten im Gesicht oder auf dem Körper, noten Sie
    ‘krabbeln, krabblen.’ Wenn Sie spüren, wie Tränen oder Schweiß über die
    Haut rinnen, noten Sie ‘rinnen…’ oder ‘fließen, fließen;’ wenn sich die
    Körperhaare sträuben, noten Sie ‘sträuben, sträuben;’ wenn Sie einen
    Schauer empfinden, noten Sie ‘schauern, schauern ;’ fühlen Sie sich heiß,
    noten Sie ‘heiß, heiß;’ fühlen sie sich kalt, noten Sie ‘kalt, kalt.’ Wählen Sie
    passende Begriffe, um die Phänomene zu benennen, die sie erleben. Wenn
    Sie nicht wissen, wie Sie sie benennen sollen, noten Sie ‘wissen, wissen.’
    Die meisten dieser sabhava sind Anzeichen von Intensität oder Begeisterung
    (piti). Wenn sie auftauchen, müssen Sie sie jedesmal noten. Sollten Sie das
    Noten vergessen, zeigt das die Verblendung (moha), die sozusagen im
    Objekt liegt, die mit dem Objekt auftaucht und den Geist verwirrt. Wenn
    solche sabhava häufig auftauchen, nennt man das “Hängen
    an sabhava.” Das muß unter Kontrolle gebracht werden, indem Achtsamkeit
    (sati) und Energie (viriya) stärker entwickelt werden. Noten Sie die
    Phänomene mit der Absicht, sie loszulassen; haften Sie an nichts an.
    F: Manchmal fühlt es sich im Sitzen so an, als wären die Hände größer als
    gewöhnlich, oder die Füße, der Bauch oder der ganze Körper kommen einem
    größer vor. Zeitweise fühlt sich der Körper leichter an, als schwebte er über
    dem Boden. Manchmal scheinen auch die Füße, der Kopf oder der Körper
    gänzlich zu verschwinden. Wie soll man das betrachten?
    A: Seien sie nur achtsam und noten Sie die Phänomene so wie Sie sie
    empfinden: fühlen sich Hände, Füsse oder Körper größer an, noten Sie ‘groß,
    groß;’ wenn der Körper leicht wird, noten Sie ‘leicht, leicht;’ scheint er zu
    schweben, noten Sie ‘schweben, schweben.’ Verschwinden Hände oder
    Füße, oder Sie können plötzlich den Körper nicht mehr wahrnehmen, noten
    Sie ‘verschwunden, verschwunden’.
    F: Manchmal taucht in einer Sitzung die Wahrnehmung von Helligkeit oder
    Licht auf; man sieht Bilder, Häuser, Menschen, religiöse Objekte oder
    Personen. Manchmal sind diese Objekte sehr klar und hell, manchmal trüb
    und schwach; das hängt von der Konzentration ab. Wenn samadhi sehr stark
    ist, sieht man die Objekte sehr deutlich. Taucht ein nimitta auf, dann noten
    Sie ‘sehen, sehen,’ bis die Lichterscheinung, die Farbe oder das Bild wieder
    verschwindet. Danach gehen Sie wieder zurück zur Bauchdecke und noten
    weiter ‘heben, senken’. Sollte die geistige Wahnehmung nicht verschwinden,
    wenn man sie ein paarmal genotet hat, dann kommt das vom Anhaften
    (upadana ), das eine Vorliebe für diese Dinge entwickelt. Die Farben, das
    Licht und vielerlei nimitta tauchen dann immer wieder neu auf. Man muß
    dann Achtsamkeit entwickeln, indem man die nimitta sofort erkennt und mit
    der Absicht notet, sie loszulassen. Üben Sie eine desinteressierte Haltung.
    Sollte das Noten aber gar keinen Einfluß auf die Bilder haben, dann kümmern
    Sie sich nicht weiter darum. Gehen Sie zur Bauchdecke zurück oder noten
    Sie andere Objekte – Empfindungen, Gedanken und so weiter. Die Bilder
    werden dann nach und nach von selbst weggehen.
    F: Manchmal schwankt der Körper; es kommt einem vor, als ob er sich dreht,
    der Körper bebt, zittert, zuckt oder scheint zu rutschen. Manchmal spürt man
    einen plötzlichen Stoß. Was ist das? Wie soll man damit umgehen?
    A: Die Objekte, sabhava oder Erlebnisse können mitunter sehr heftig sein.
    Das liegt an der Persönlichkeit des Übenden – alle Menschen haben ihre
    individuelle Geschichte. Manche haben nur wenig mit diesen Phänomenen zu
    tun. Andere wieder werden von der Stärke der Erlebnisse überwältigt;
    wenn piti und samadhi zusammenwirken, erleben sie mächtige sabhava, die
    vom Bewußtsein nicht kontrolliert werden können. Dann äußern sie sich über
    den Körper und veranlassen ihn zu schwanken, zu wackeln, zu zittern. Wenn
    der Körper schwankt, noten Sie ‘schwanken, schwanken;’ wenn er sich dreht,
    noten Sie ‘drehen, drehen;’ rutscht er weg, noten Sie ‘rutschen, rutschen;’
    zittert er, noten Sie ‘zittern, zittern;’ zuckt er, noten Sie ‘zucken, zucken.’
    Wenn Sie einen Stoß spüren, noten Sie ‘stoßen, stoßen.’
    Manche Leute haben sehr intensive Erlebnisse dieser Art. Für sie scheint das
    ganze Haus sich zu drehen, das Haus selber schwankt, wackelt oder zittert.
    Das kann so weit gehen, daß man sich übergeben muß. Wenn Ihnen so
    etwas passiert, machen Sie sich keine Sorgen und haben Sie kein Angst.
    Seien sie nur achtsam und noten Sie die Objekte, die Sie erleben, immer
    wieder. Wenn Achtsamkeit ein hohes Niveau erreicht, werden sie von selbst
    aufhören.
    In seltenen Fällen kann es vorkommen, daß die sabhava trotz aller
    Bemühung um Achtsamkeit nicht weggehen und auch bei langem,
    anhaltendem Noten nicht schwächer werden. Diese Leute müssen zu einem
    Klarblicklehrer gehen, der viel Erfahrung im Umgang mit diesen
    starken sabhava hat und ihnen hilft, sie in den Griff zu bekommen, indem er
    sorgfältig Anweisungen gibt, wie man richtig notet. Die hinderlichen
    Phänomene werden dann allmählich schwächer werden, und schließlich
    völlig verschwinden.
    HINDERNISSE IN DER KLARBLICKÜBUNG
    F: Was sind die hauptsächlichen Hindernisse in der Übung von
    Klarblickmeditation?
    A: Es gibt drei Stufen von Hindernissen in der Klarblickmeditation –
    1.Die Hindernisse der Ungeübten
    Normalerweise ist unser Geist daran gewöhnt, ständig von weltlichen
    Objekten umgeben zu sein, also optischen und akustischen Reizen, Geruchsund Geschmacksempfindungen, körperlichen Reizempfindungen und
    geistigen Objekten – Vorstellungen, Gedanken, Emotionen. Wir sind mit
    diesen Objekten durch Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist
    verbunden. Diese Sinne sind die ganze Zeit in Betrieb und verursachen
    Wohlbefinden und Unwohlsein, Vorliebe und Abneigung, Freude und Trauer,
    Glück und Kummer. Auf diese Weise entstehen Gier, Haß und Verblendung.
    Das erleben wir andauernd jeden Tag. Die Gewöhnung führt zu Anhaften
    (upadana) an materiellen Dingen, die sich von Natur aus aber immer
    verändern. Das nennt man maya, Illusion; sie lockt uns, täuscht uns und hält
    uns trügerisch zum Narren, bis wir anhaften und die wahre Natur unserer
    eigenen Geistesverfassung nicht mehr erkennen.
    Wenn wir mit der Übung des Dhamma beginnen und die vier Grundlagen der
    Achtsamkeit entwickeln, dann lernen wir allmählich die fünf Gruppen des
    Anhaftens kennen, die in Wirklichkeit unser eigener Körper und Geist sind.
    Wenn wir den Geist kontrollieren und ihn auf das gegenwärtige Objekt
    einstellen, das ja immer nur jeweils ein einzelnes Objekt ist, dann sträubt sich
    der Geist dagegen und wehrt sich. Solange Achtsamkeit noch schwach ist,
    entstehen dauernd Gedanken und der Geist wandert ziellos auf der Suche
    nach interessanten Objekten. Immer wieder bleibt er an Vergangenheit und
    Zukunft hängen. Wenn der Geist viel wandert, fühlen wir uns irritiert, und das
    führt zu Entmutigung und Dumpfheit und noch mehr Gedanken. Manche
    Leute glauben sogar, sie hätten nicht genug gutes kamma angesammelt, um
    meditieren zu können. Manche schieben es aufs kamma, andere sagen, der
    Lehrer wäre nicht gut. Oder sie behaupten gleich, Klarblickmeditation wäre zu
    nichts nutze.
    In Wirklichkeit ist der Geist des Meditierenden arg bedrängt von den
    Hindernissen oder Unreinheiten (nivarana, kilesa). Wenn Achtsamkeit wenig
    entwickelt ist, wird der Geist noch nicht wirklich ruhig, weil Konzentration
    (samadhi) fehlt. Man hat kein Selbstvertrauen. Viele Zweifel kommen einem
    in den Sinn. Das ist der Grund, warum die Übung keine rechten Fortschritte
    macht. Manche Leute geben dann den Versuch, zu meditieren, auf und
    kehren nach Hause zurück. Als Grund geben sie an, sie hätten zu Hause
    Arbeit zu erledigen, oder sie müßten sich um ihre Kinder oder Enkel
    kümmern. Oder sie sagen, sie hätten kein geistiges Potential. Manche Leute
    gestehen auch bereitwillig ein, daß sie es einfach nicht schaffen, ihre
    geistigen Unreinheiten zu bekämpfen, und daß sie es vielleicht später noch
    einmal versuchen wollen.
    Die hauptsächlichen Hindernisse, die der Meditierende in der Anfangsphase
    der Meditation überwinden muß, sind nichts weiter als die fünf geistigen
    Hindernisse (nivarana) –
    Die fünf geistigen Hindernisse (nivarana) –
    1.Sinnesbegierde (kamacchanda). Das Ergötzen, die Freude, der
    Genuß von angenehmen Objekten, wie schöne Anblicke, harmonische
    Klänge, wohlriechende Düfte, köstliche Geschmäcke, sanfte
    Berührungen und gefällige, befriedigende Geistesobjekte.
    2.Ärger (byapada). Mißgunst und Böswilligkeit gegenüber anderen.
    3.Trägheit und Starre (thina-middha). Dumpfheit und Unbeweglichkeit
    des Geistes.
    4.Unruhe und Aufregung (uddhacca-kukkucca). Rastloses Denken,
    begleitet von innerer Aufregung, Kummer oder Sorge.
    5.Zweifel (vicikiccha). Unsicherheit, Skepsis, Entschlußunfähigkeit.
    Der Anfänger wird feststellen, daß die fünf Hindernisse den Geist
    ununterbrochen stören. Wer da kein Selbstvertrauen hat, dem fehlt das
    Vermögen, weiter zu üben, und im allgemeinen werden diese dann die Übung
    aufgeben müssen.
    Aber diejenigen Übenden, die festentschlossen sind und an die Weisheit
    Buddhas glauben, werden die Achtsamkeit einrichten, um das Objekt zu
    noten, das gegenwärtig entsteht. Mit anderen Worten, sie werden weiterhin
    unabläßig das Heben und Senken der Bauchdecke betrachten, und wenn die
    Hindernisse im Geist auftauchen, werden sie dies achtsam bemerken: –
    Wenn Verlangen entsteht, dann noten Sie ‘Verlangen, Verlangen;’ wenn Ärger
    entsteht, noten Sie ‘Ärger, Ärger;’ wenn Schläfrigkeit entsteht, noten Sie
    ‘schläfrig, schläfrig;’ wenn ein wandernder Geisteszustand entsteht, noten Sie
    ‘wandern, wandern.’ Denken entsteht: Noten Sie ‘denken, denken;’ Sorge
    entsteht: Noten Sie ‘sorgen, sorgen;’ Zweifel entsteht: Noten Sie ‘unsicher,
    unsicher.’
    Wenn die Übenden nur immer die geistigen Hemmnisse noten, wann immer
    sie entstehen, dann werden sie gute Ergebnisse in der Praxis erzielen. Das
    bedeutet, Achtsamkeit wird stärker und stärker werden. Man wird die
    Gedanken, die entstehen, schneller erkennen. Dann kommen die Gedanken
    allmählich zur Ruhe. Aber bevor es soweit ist, fühlen sich die Übenden oft
    deprimiert und ärgern sich häufig. Dieser Ärger wird sich von selbst
    erschöpfen, bis man ganz überrascht feststellt, wie sehr man sich verändert
    hat. Zuvor gab es Gedanken und Wünsche bezüglich vieler Dinge; aber dann
    läßt dieses Denken nach und nach nach. Wenn man besser sehen kann, daß
    diese Objekte nicht stabil sind, nicht so bleiben, wie sie sind und sich
    pausenlos verändern, dann wird das Noten mit Achtsamkeit eine
    kontinuierliche Haltung und die Verblendung wird langsam gelüftet.
    2.Die Hindernisse der mittleren Stufe
    Sie entstehen, wenn der Meditierende die Übung des Klarblicks fleißig
    vorangetrieben hat. Gute Konzentration (samadhi) hat sich nach und nach
    aufgebaut. Das führt zu Manifestationen der Konzentration. Verschiedene
    natürliche Phänomene (sabhava) von Begeisterung und Ruhe (piti,
    passaddhi) tauchen ebenfalls häufiger auf. Einige Meditierende haften an
    solchen Phänomenen aufgrund eines Mißverständnisses an; manche
    glauben sogar, sie hätten schon eine hohe Stufe in der Meditation erreicht.
    Einige gewinnen eine Vorliebe für Bilder, Farben oder Licht (nimitta), weil sie
    diese Erscheinungen für ernstzunehmende Dinge halten. Das kann auf lange
    Sicht in eine Sackgasse führen.
    Ist der Meditierende froh und glücklich mit diesen Objekten, wenn er in
    diesem Stadium der Entwicklung ist, so entsteht daraus Anhaften (upadana),
    und er wird weiterhin Ausschau halten, was sonst noch alles passiert. Das
    nennt man ‘an sabhava hängenbleiben.’ Der klassische Kommentarausdruck
    ist “Verderben des Klarblicks” (vipassanupakkilesa). Das bedeutet, diese
    Erlebnisse werden dem Klarblick zum Verderben: Die Übung macht keine
    weiteren Fortschritte mehr. Man sagt dazu auch “ den falschen Weg gehen,”
    denn es ist nicht die Übung des Mittleren Weges, welcher der einzige zur
    Überwindung des Leidens ist, der Weg des Nicht-Anhaftens an den fünf
    Bündeln der Geist-Körperlichkeit (nama-rupa), der Weg geistiger Reinheit,
    frei von den Eintrübungen weltlicher Voreingenommenheit (asavakilesa),
    dieser Maschinerie des Kummers. Es ist der Weg zum restlosen Verlöschen
    allen Leidens!
    Jeder Übende wird den Hindernissen dieser zweiten Stufe mehr oder weniger
    intensiv begegnen müssen. Man braucht dann einen Klarblicklehrer, der
    bereit ist, einem zu helfen, damit man einsieht, daß diese Phänomene, die da
    vor der Achtsamkeit auftauchen, nichts weiter als Manifestationen des Geistund-Körper-Komplexes (nama-rupa) sind, sie sind nichts Besonderes. Das
    Ziel der Klarblickübung besteht darin, den Geist auf ein Objekt zu richten, das
    höher steht als Geist-und-Körper, nämlich das Verlöschen (nibbana) dieser
    beiden. Wenn wir damit anfangen, uns an diese Geist-und-Körper-Objekte zu
    hängen, dann werden wir Nibbana nie erreichen. Also müssen wir die
    Objekte, die zu Geist-und-Körper gehören allesamt aufgeben. Solange man
    froh und glücklich über diese Geist-Körper-Objekte ist, wird man sich
    außerstande sehen, die Hindernisse der zweiten Stufe zu überwinden. Der
    Meditierende mit rechtem Verständis anerkennt die entstehenden Objekte,
    indem er sie notet, und dann läßt er sie los und haftet an nichts.
    Die überwiegende Mehrzahl der Übenden wird keine großen Probleme darin
    finden, die Hindernisse der zweiten Stufe zu meistern. Mit einem qualifizierten
    Lehrer und intensiver Übung lernen sie eine persönliche Auswahl
    von sabhava kennen und entwickeln dann die empfohlene Haltung ruhiger,
    desinteressierter Aufmerksamkeit. Dann werden die Phänomene in Häufigkeit
    und Intensität stark reduziert.
    3.Hindernisse der entwickelten Stufe
    Die dritte Stufe von Hindernissen erreicht der Übende erst in der
    fortgeschrittenen Entwicklung des Klarblicks. Da arbeitet man daran,
    unerschütterlichen Gleichmut zu üben, um ein stabiles geistiges Gefüge für
    Vertiefungskonzentration zu entwickeln. Das ist keine reine Willenssache,
    denn wir sind organische Wesen, deren Lebenserfahrung natürlichen
    Schwankungen unterworfen ist.
    Das gilt auch für die Klarblickübung. Selbst wenn ein Meditierender sich in
    gleichförmiger Weise beständig bemüht, tauchen nach drei bis vier Stunden
    intensiver Meditation wieder mehr Gedanken auf. Man erlebt Vorfreude,
    wünscht sich, das Ziel zu erreichen, oder man malt sich aus, welche
    Schwierigkeiten noch vor einem liegen und betrachtet die eigene Entwicklung
    kritisch. Solche Objekte hängen eng mit unserem Selbstverständnis als
    handelnde Personen zusammen, und die Tendenz, sich zu identifizieren, ist
    so stark, daß man die Objekte nicht gleichmütig notet. Das führt immer
    wieder zu einem Verlust an Konzentration. Bemüht man sich daraufhin,
    wieder ruhiger zu werden, verursacht man Geistesaktivitäten, die zu Sorgen,
    Anspannung, Aufregung, und Sprunghaftigkeit führen.
    In der fortgeschrittenen Stufe der Meditation arbeitet man an der
    Überwindung von diffusen Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen.
    Man lernt da, die subjektivsten Gedanken und Erlebnisse nur als geistige
    Objekte zu betrachten und gleichmütig zur Kenntnis zu nehmen. Dieser
    Gleichmut ist hier kein Objekt für Identifikation, so wie im Zusammenhang mit
    der zweiten Stufe von Hindernissen. Hier führt die Besinnung auf Gleichmut
    zur direkten Wahrnehmung der drei Merkmale an diesen geistigen Objekten.
    Die Identifikation ist dadurch aufgehoben, und die Konzentration wird sofort
    wieder aufbauend. Wenn die Identifikation wegfällt, erlebt man geistige
    Räume, die losgelöst sind von jeder Aneignung als persönliches Erlebnis.
    Manchmal werden Konzentration und innere Ruhe sehr rasch sehr tief. Keine
    Gedanken sind in Sicht und man erlebt einen völlig veränderten
    Bewußtseinszustand. Die Konzentration ist reduziert auf den nächsten
    Bereich, der dafür umso intensiver wahrgenommen wird. Dann empfindet
    man den Körper nur als eine Sphäre von Achtsamkeit, die durchquert wird
    von Gefühlen und Emotionen, als ob es Sternschnuppen wären. Oder man
    hat das Gefühl, sich körperlich in einem engen Behälter zu befinden, auch
    das Bewußtsein scheint eingezwängt. Man verliert zeitweise jede Idee von
    einem Selbst, wird sich dessen aber nicht bewußt, solange es dauert. Nach
    einer Weile hört diese Art der Geistestätigkeit auf, und zurückblickend stellt
    man fest, daß Achtsamkeit äußerst aktiv gewesen ist, das Noten ging
    unabläßig parallel mit dem gegenwärtigen Objekt, aber die Identifikation mit
    dem Noten fehlte. Solche Erfahrungen sind typisch für die letzte Phase des
    Klarblickfortschritts, wenn der Meditierende die drei Merkmale äußerst
    deutlich wahrnimmt, aber die Objekte sind manchmal nicht klar. Man soll hier
    besonders aufmerksam beobachten, wie die Geisteszustände und die
    Objekte sich von Moment zu Moment verändern. Wenn man so immer den
    ersten Eindruck notet, wird die Betrachtung sehr klar und ausgeglichen.
    Manchmal gibt es Zeiten, wo das geistige Benennen ohne Anstrengung sehr
    rasch wird, viel schneller, als man alles aussprechen könnte. Dann sollte man
    die Achtsamkeit so einrichten, daß die Hauptobjekte eingereiht sind in die
    Vielzahl von Eindrücken, die die Sinne produzieren. Tauchen in diesem
    Prozeß wieder mehr Gedanken auf und man wird häufiger unsicher, ob und
    wie man bestimmte Objekte noten soll, dann wird es Zeit, die Achtsamkeit
    bewußt für eine Weile auf die geläufigen vier Hauptobjekte zu beschränken,
    um den Zuwachs an Achtsamkeit wieder in Konzentration umzusetzen. So
    ergänzen sich Achtsamkeit und Konzentration bei der Arbeit während der
    Vertiefungsphase der Klarblickmeditation.
    Die Entwicklung von Konzentration kann man mit der Aufgabe vergleichen,
    einen schwerbeladenen Lastwagen auf einen steilen Berg hinaufzufahren.
    Um den Gipfel erreichen zu können, braucht der Lastwagen einen starken
    Motor.
    Zu Beginn der Übung ist die Konzentration noch ungeübte momentane
    Konzentration (khanika samadhi); wenn man das Heben/Senken notet, wird
    man schnell von diesem Objekt abgelenkt. Wird die Konzentration stärker,
    dann wandelt sich ihre Funktion zu angrenzender Sammlung (upacara
    samadhi) und sie kann länger bei dem Objekt bleiben. Aber man muß ja noch
    die Stufe erreichen, wo die angrenzende Sammlung in Vertiefung (appana
    samadhi) übergeht, die noch stärker und tiefer ist. Diese volle Konzentration
    ist Voraussetzung für den ‘edlen Pfad’. Wer dies verwirklichen möchte, darf
    sich nicht auf ein absehbares Ende einstellen, sonst erreicht er nichts. Nur
    wer mit ganzer Kraft unablässig weiterübt, ohne seinen Fortschritt zu
    berurteilen und abzuschätzen – nach dem Motto: “Wer neunzig Prozent
    geschafft hat, vor dem liegt noch die Hälfte” – der bringt die Konzentration
    auch zur Vollendung.
    Buddha hat die Menschen allgemein in vier Klassen von Individuen eingeteilt
    und verglichen mit vier Entwicklungsstadien von Lotusblumen: solche, die
    sich in voller Blüte über dem Wasser erheben; solche, deren Knospen über
    dem Wasserspiegel und kurz vor dem Aufbrechen sind; solche, deren
    Knospen kurz davor sind, aus dem Wasser zu kommen; und solche, die nicht
    aus dem Wasser kommen werden. Zu den vier Arten von Indviduen erklärte
    Buddha:
    die Plötzlich Erleuchteten (ugghatitannu) sind so wie der Lotus in
    voller Blüte. In Buddhas Zeit lebten viele dieser Menschen. Sie hatten in
    der Vergangenheit schon lange ein religiöses Leben geführt und ihren
    Geist in Konzentration geübt, bis hin zur Beherrschung psychischer
    Wunderkräfte. Als sie aufgrund ihres guten kamma dem Buddha
    persönlich begegneten, konnten sie die Lehre sofort verstehen und in
    praktische Geistesaktivität umsetzen, ohne noch durch einen
    Lernprozeß zu gehen. Sie wurden durch wenige Worte erleuchtet.
    die Schnellmerker (vipacitannu) sind so wie die Lotusknospen über
    dem Wasser. Auch solche Menschen gab es viel in Buddhas Zeit.
    Aufgrund ihres hohen moralischen Status und meditativer Entwicklung
    in früheren Leben konnten auch sie die Buddhalehre durch
    aufmerksames Zuhören in sich verwirklichen, wenn sie vom Buddha
    eine detaillierte Erklärung bekamen.
    die Lehrlinge (neyya) sind wie Lotusknospen, die sich gerade
    bemühen, aus dem Wasser zu kommen. In der heutigen Zeit sind es
    hauptsächlich solche Individuen, die an Meditation interessiert sind.
    Das bedeutet, daß man sich in unserer Zeit mächtig anstrengen muß,
    um sich Theorie und Praxis der Buddhalehre zu eigen zu machen. Die
    Verwirklichung des Ziels erfordert ein starkes Potential an Gierlosigkeit,
    Haßlosigkeit und Unverblendung, das von diesen Menschen im
    Wesentlichen hier in diesem Leben durch intensive Meditation erworben
    wird. Alle Anstrengungen in der Übung des Klarblicks tragen dazu bei,
    sie dem Ziel näher zu bringen. Selbst wenn sie es in diesem Leben
    noch nicht erreichen, entwickeln sie durch die Übung die heilsamen
    Wurzeln und stellen die Weichen für die Verwirklichung des Ziels in
    einer kommenden Wiedergeburt. So können wir uns selbst
    vergewissern, daß wir nicht zu der vierten Art von Personen gehören.
    Die Unerreichbaren (padaparama) sind wie die Lotusse, die zu
    schwach sind, aus dem Wasser zu kommen. Diese Leute wollen von
    der echten Buddhalehre nichts wissen. Wenn sie davon hören, regen
    sie sich auf oder protestieren; es ist ihnen so unangenehm, daß sie
    nicht zuhören wollen. Solche Menschen findet man auch unter
    buddhistischen Schriftgelehrten, die sich nur an Worten und
    Definitionen festklammern und nicht begreifen, daß die wirkliche Lehre
    Buddhas in den Geistesaktivitäten zu suchen ist, die der Übende durch
    praktische Klarblickmeditation entwickelt, und die rechtes Verständnis
    erzeugen. Denn wenn man sie nicht in sich verwirklicht und erlebt, dann
    kennt man die Buddhalehre gar nicht wirklich.
    AUSGLEICH DER FÄHIGKEITEN
    Wenn der Meditierende allmählich die Achtsamkeit im Bemerken von Geist
    und Körper eingerichtet hat, dann gewinnen auch die fünf geistigen
    Fähigkeiten (indriya) mehr und mehr an Einfluß.
    Die fünf geistigen Fähigkeiten:
    1.Vertrauen (saddha) – und zwar in die Weisheit Buddhas und in die
    eigene Kraft.
    2.Energie (viriya) – Anstrengung, eifrige Bemühung:
    bei der Vorbeugung vor den geistigen Hindernissen;
    bei der Auflösung von entstandenen Hindernissen;
    bei der Entwicklung von Achtsamkeit, die das gegenwärtige Objekt
    betrachtet.
    Bei der Bewahrung und Stärkung von Achtsamkeit (sati),
    Konzentration (samadhi) und Weisheit (panna).
    3.Achtsamkeit (sati) – sich beständig und dauerhaft in der Betrachtung
    des gegenwärtigen Augenblicks der Objekte bewußt zu sein, die zu den
    vier Grundlagen der Achtsamkeit gehören, nämlich Körper, Gefühl,
    Geisteszustände und Geistesdinge.
    4.Konzentration (samadhi) – Den Geist auf das Objekt zu richten, das
    gegenübersteht, sich entgegenstellt.
    5.Weisheit (panna) – Gründliches Wissen; Verständnis, was
    Gestaltungen oder Gebilde (sankhara) betrifft.
    Um herauszufinden, ob diese fünf Geisteskräfte (cetasika) schon die Stärke
    von geistigen Fähigkeiten (indriya) haben, muß man prüfen, ob die
    Hindernisse der zweiten Stufe schon überwunden sind. Wenn sie immer noch
    in der Meditation auftauchen, dann hat man noch nicht die Stufe
    der indriya erreicht. Erst wenn die Hindernisse der zweiten Stufe völlig
    überwunden sind, kann man von diesen Geisteskräften in der Funktion
    von indriya(kontrollierender Kraft) sprechen.
    Zu Beginn der Übung kann, zum Beispiel, die Achtsamkeit noch nicht die
    unmittelbare Gegenwart noten. Aber im Laufe der Übung wird sie schneller,
    bis sie das Entstehen und Vergehen von Geist und Körper (nama-rupa)
    anhand gegenwärtiger Sinneserlebnisse beobachten kann, und gewinnt so
    den Anschluß an die Wirklichkeit. Klarblick und Weisheit (nana, panna)
    steigen von da an von Stufe zu Stufe bis zum höchsten Gipfel des Klarblicks
    hinauf.
    Das Erleuchtungserlebnis, also den überweltlichen edlen Pfad (lokuttara
    magga) und seine Frucht (phala) wirklich zu durchlaufen, ist nicht so einfach,
    wie manche Leute es gerne hinstellen möchten – diejenigen nämlich, die nur
    glauben, sie hätten bereits transzendentes Wissen. In den allermeisten Fällen
    handelt es sich da um falsches Wissen, und das führt nur zu Angeberei und
    falschem Stolz und lockt andere auf die falsche Fährte.
    F: Manche Leute sagen, wenn die fünf geistigen Fähigkeiten (indriya) nicht im
    Gleichgewicht sind, macht man in der Übung keine rechten Fortschritte. Wie
    kommt das?
    A: Wenn man die vier Grundlagen der Achtsamkeit übt, werden die
    Geisteskräfte, die zu den Fähigkeiten zählen – Vertrauen, Energie,
    Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit – immer gemeinsam aktiv, weil sie
    Bestandteile des Achtfachen Pfades sind. Sie sind aber nicht immer in einem
    ausgeglichenen Verhältnis, wenn sie auftauchen. Diese fünf Fähigkeiten
    setzen sich zusammen aus zwei Paaren miteinander kommunizierender
    Kräfte: Vertrauen und Weisheit sind das eine Paar, Energie und
    Konzentration das andere. Achtsamkeit, die verbleibende, fünfte Kraft, hat die
    Funktion, die Arbeit dieser beiden Paare zu beaufsichtigen, zu regulieren und
    ihre Qualitäten zu harmonisieren.
    Man kann das mit einem Vierspänner vergleichen, wo der Kutscher die
    Aufgabe hat, die Pferde zu dirigieren, sodaß sie alle gleichmäßig laufen.
    Wenn eines zu schnell wird, muß er die Zügel benutzen, um dieses Pferd mit
    den anderen zu koordinieren. Wenn eines an Tempo verliert, werden die
    Zügel schlaffer. Dann nimmt der Kutscher die Peitsche, um dieses Pferd auf
    die gleiche Leistung wie die anderen zu bringen. Der Kutscher muß die
    Pferde unabläßig beobachten und dirigieren, damit sie in einem
    gleichmäßigen Tempo gemeinsam den Wagen ziehen. Wenn seine Kontrolle
    nicht gut ist, behindern sich die Pferde gegenseitig und der Wagen bleibt
    nicht in der Spur. Kommt er nicht ganz vom Weg ab, so wird der Wagen doch
    langsam und ist schwer zu steuern.
    Ähnlich verhält es sich mit den fünf geistigen Fähigkeiten: Wenn sie nicht im
    Gleichgewicht sind, muß Achtsamkeit hart arbeiten, um sie durch Noten
    miteinander zu harmonisieren und auszugleichen –
    Eine Ungleichheit von Vertrauen (saddha) und Weisheit (panna) macht sich
    auf folgende Weise bemerkbar: Wenn der Geist ruhig wird in der Übung,
    können Manifestationen von Konzentration (samadhi) im Geist auftauchen.
    Übende, die nicht mit Achtsamkeit noten, schauen mit Zufriedenheit auf diese
    Objekte – oder sie noten zwar, aber nicht mit dem Wunsch, sie vorübergehen
    zu lassen, nicht an den Objekten anzuhaften. Je mehr man sie notet, desto
    klarer und deutlicher werden die Bilder; das Noten kann sie dann nicht zum
    Verschwinden bringen. In einem solchen Fall ist Vertrauen stärker als
    Weisheit. An irgendwelchen Objekten anzuhaften oder Dinge für real zu
    halten, die wirklich irreal sind, dazu sagt man: Vertrauen überwiegt die
    Weisheit.
    Wenn der Übende von seinem Klarblicklehrer den Rat erhält, daß jedwedes
    Objekt, das im Geist auftaucht, sofort genotet werden muß, daß er an diesen
    Objekten keinen Gefallen finden soll, und der Übende versteht das, dann wird
    er einfach die Achtsamkeit anwenden und diese nimitta – Licht, Farben,
    Bilder – als ‘sehen, sehen’ noten, bis sie verschwunden sind. Und wenn sie
    erneut auftauchen, kann man das Entstehen und Vergehen dieser Objekte
    erkennen. So wird Weisheit ins Gleichgewicht mit Vertrauen gebracht.
    Bei manchen Übenden liegt der Fall genau umgekehrt: Bei ihnen überwiegt
    Weisheit das Vertrauen, weil sie viel studiert haben und viel wissen. Sie
    haben Vorlesungen von Fachleuten gehört oder auf eigene Faust studiert.
    Wenn sie anfangen zu meditieren, dann erleben sie schon mal das eine oder
    andere Objekt oder sabhava. Und dann müssen sie immer denken und
    überlegen: “Das ist ein sabhava Phänomen und heißt so und so.”
    Wenn sie immer denken und überlegen, wird ihr Geist noch unruhiger. Das
    geht bei einigen soweit, daß sie nicht mehr schlafen können. Dadurch wird
    man körperlich erschöpft und nervlich überbelastet. Dieses intensive
    Nachdenken über die Wirklichkeit ist ja nur Verstandesweisheit
    (cintamayapanna) – Weisheit, die durch Denken entsteht, wenn der Verstand
    versucht, eine Vorstellung der Wirklichkeit auf dem Gebiet des Denkens zu
    bilden.
    Bei manchen Leuten wird dieses selbe Übergewicht der Weisheit über
    Vertrauen von Selbstüberschätzung oder Einbildung (mana) verursacht. Sie
    denken, sie wären was Besonderes; schließlich werden sie zu Leuten, die
    niemandem mehr glauben, nicht einmal dem eigenen Klarblicklehrer, und so
    kommt es, daß Weisheit das Vertrauen überwiegt.
    Die Methode für diese Meditierenden besteht darin, daß sie das Denken oft
    noten müssen: ‘denken, denken ’. Wenn sie überzeugt sind, richtig zu
    denken, sollen sie ‘richtig denken, richtig denken’ noten, bis das unruhige,
    aufgeregte Denken allmählich verebbt. In dieser Phase muß der
    Klarblicklehrer den Übenden ermahnen und trösten, und darauf hinweisen,
    daß diese sabhava, oder was immer, nur Manifestationen von Geist-undKörper sind, und daß sie bloß in der Anfangsphase der Meditation
    auftauchen. Man soll sich gar nicht weiter damit befassen. Der Lehrer sollte
    dazu Beispiele wie dieses geben: –
    Ein Mann ist auf der Suche nach einem lupenreinen Diamanten. Er weiß, daß
    der Diamant auf einem Berggipfel ist. Als er den Fuß des Berges erreicht,
    findet er da im Schatten glitzernde Steine in allen Farben. Er hält sie für echte
    Diamanten, ist ganz gebannt und entzückt und beginnt, sie einzusammeln.
    Der echte Diamant wird ihm entgehen, wenn er so weitermacht. Schuld daran
    ist sein eigenes Mißverständnis.
    So richtet auch der Meditierende seinen Geist auf ein hohes
    Ziel, Nibbana, aber ihm begegnen nur Geist-und-Körper. Dazu kommt
    falsches Verständnis, und dann haftet er am eigenen Denken an. Wenn der
    Lehrer ihm erklärt, daß dieser Geist-Körper-Komplex vergänglich,
    bedrückend und kein Selbst ist, daß nicht einmal die eigenen Gedanken
    dauerhaft sind, dann muß er die Achtsamkeit anwenden und nur dieses
    gegenwärtige Objekt noten: ‘denken, denken’. Wer in der Meditation denkt,
    meditiert nicht, sondern denkt. Wer aber mit Achtsamkeit das gegenwärtige
    Objekt notet, der übt Klarblickmeditation. Wenn der Übende die Achtsamkeit
    anwendet und das Denken aufhört, dann ist Weisheit im Gleichgewicht mit
    Vertrauen.
    Das zweite Paar von Fähigkeiten, besteht aus Energie (viriya) und
    Konzentration (samadhi), ist während des gesamten Übungsverlaufs der
    Motor der Entwicklung. Sind diese Kräfte nicht im Gleichgewicht, dann
    stagniert der Fortschritt. Wenn Energie die Konzentration überwiegt, fängt der
    Übende an, viel unsinniges Zeug zu denken und erwägt irrlichternd
    Vergangenes und Zukünftiges. Oder er denkt erwartungsvoll an die
    Ergebnisse, auf die er hofft, kann kaum erwarten, daß etwas passiert, und
    möchte dieses oder jenes Phänomen erleben. Ein Geist, der
    solche sabhava produziert, ist kein ruhiger Geist; es mangelt an
    Konzentration. Oder anders gesagt, Energie überwiegt die Konzentration.
    Die Methode für den Ausgleich der Fähigkeiten besteht darin, die
    Konzentration zu vermehren. Man muß die Methode zur Vertiefung der
    Konzentration gewissenhaft anwenden. Konzentration wird intensiviert, indem
    man während der Gehmeditation sehr langsam geht. Von den sechs Stufen
    der Gehmeditation werden der vierte, fünfte und sechste Gang eingesetzt,
    um die Konzentration zu vermehren. Dadurch wird der Geist beruhigt und
    bleibt stärker mit dem Hauptobjekt verbunden. Man soll sehr langsam gehen
    und die einzelnen Phasen der Schritte genau mit Achtsamkeit verfolgen, vom
    ‘aufheben’ der Ferse bis zum ‘absetzen’ des Fußes. Momentane
    Konzentration, die von Moment zu Moment neu entsteht, wird dann kräftiger
    werden und länger anhalten. Obwohl das Gehen normalerweise die Energie
    vermehrt, kann man doch so gehen, daß die Konzentration ansteigt bis
    sie gleichauf mit der Energie ist.
    Wenn es in der Sitzübung an Konzentration mangelt, kann das verschiedene
    Gründe haben. Nehmen wir den Fall an, daß der Übende rastlos denkt und
    sinnt. Er kann das gegenwärtige Objekt nicht noten, weil es zu unklar ist.
    Starke Schmerzen in Knien, Beinen, Hüfte, Schultern oder Rücken
    zermürben ihn. Er ist verkrampft und der Geist fängt an zu irrlichtern. Die
    Eintrübungen (kilesa) stören ihn häufig. Um nun die Konzentration zu
    verbessern, muß man zuerst mit Nachdruck auf das Hauptobjekt achten
    – ‘heben/senken’ – und sicherstellen, daß es sorgfältig genotet wird. Dreißig
    Minuten lang soll man die Achtsamkeit an das Hauptobjekt binden und beim
    Noten genau aufpassen. Man soll sich dabei entspannen, nicht durch Zwang
    verkrampfen. Wenn ein Gedanke auftaucht, muß er sofort genotet werden.
    Man muß den Gedanken als Hinderniss erkennen, das den Geist nicht zur
    Ruhe kommen läßt. Wenn der Geist ruhiger wird, werden die Objekte klarer
    und das Noten leichter. Dann ist die Betrachtung wieder in der Gegenwart.
    Wenn der Geist in der Übung ruhiger wird, dann werden auch die Schmerzen
    weniger. Gewinnt die Konzentration an Kraft, wächst die innere Ruhe
    (passaddhi) und Konzentration (samadhi) ist im Gleichgewicht mit Energie
    (viriya).
    Wenn Konzentration stärker ist als Energie, dann wird dieser ruhige Geist an
    Intensität verlieren und allmählich träge zu schweben beginnen. Achtsamkeit
    wird schwächer, man wird vergeßlich und kann nicht mehr das gegenwärtige
    Objekt noten. Allmählich verändert sich dann der Geist von bloßer Trägheit zu
    Benommenheit und geistiger Starre. Da kann es bei der Gehübung sogar
    vorkommen, daß man halb schläft. Dann beginnt man, während des Gehens
    zu torkeln, zu stolpern, oder sogar hintüber zu kippen. Solche Anzeichen
    treten auf, wenn Konzentration die Energie überwiegt.
    Um die Fähigkeiten auszugleichen muß man die Energie vermehren, indem
    man mehr geht als sitzt. Wenn man, zum Beispiel, für gewöhnlich dreißig
    Minuten sitzt und dreißig Minuten geht, sollte man die Gehmeditation jetzt
    ausdehnen auf vierzig oder fünfzig Minuten. Manche können ruhig eine
    Stunde gehen und dreißig Minuten sitzen. Beim Gehen soll man die niederen
    Schritteinteilungen nehmen, den ersten, zweiten und dritten Gang. Dazu
    sollte man etwas schneller gehen als gewöhnlich. Um den Körper wieder zu
    aktivieren, und so dem Geist Energie zuzuführen, sollten einige, die schon
    die detailliertere Gehmeditation vom vierten Gang aufwärts übten, wieder zu
    den früheren Schritten zurückgehen. Je mehr man im ersten Gang gehen
    kann, desto besser.
    Wenn in der Sitzmeditation ein Übergewicht von Konzentration entsteht, muß
    man die Methode genau auf die Situation abstimmen. Wird der Geist
    allmählich träge und treibt selbstvergessen dahin, dann soll man auf jeden
    Fall vier Hauptobjekte noten: ‘heben, senken, sitzen, berühren.’ Oder je nach
    Bedarf mehrere Gelenkpunkte einsetzen. Vom rechten Sitzknochen geht man
    zum linken; wenn nötig, fügt man noch einen Knöchel hinzu und notet drei
    Punkte; und dann nimmt man den anderen Knöchel auch noch dazu. Das
    hängt aber von der natürlichen Geschwindigkeit des Atems
    ab. Heben/senken und diese Berührungspunkte sollten kontinuierlich in
    gleichbleibender Abfolge mit Achtsamkeit angesteuert werden. Diese Art zu
    noten kann den Geist wieder wachsam und beweglich machen. Allmählich
    wird Energie in der Sitzhaltung zunehmen, bis sie gleich stark ist wie
    Konzentration. Benommenheit und Trägheit werden sich allmählich bessern
    und schließlich ganz auflösen.
    Was nun die Achtsamkeit als geistige Fähigkeit betrifft: je mehr man davon
    hat, je besser. Denn Achtsamkeit (sati) ist die Fähigkeit (indriya), die die
    anderen im Schlepptau hat. Achtsamkeit ist das Regulativ, das die
    Fähigkeiten der beiden Paare miteinander ausgleicht, wenn man Geist-undKörper in der Gegenwart notet. Ist Achtsamkeit so stark entwickelt, daß sie
    jeden Moment des Erlebens automatisch mit dem Bewußtsein auftaucht,
    dann erlebt der Meditierende Achtsamkeit als vollentfaltete Fähigkeit, die das
    unmittelbare Entstehen und Vergehen eines jeden Objekts mit eindringlicher
    Klarheit realisiert.
    Wenn Vertrauen die Weisheit überwiegt und der Geist anfängt, nach
    verschiedenen nimitta und Bildern zu greifen, die von Konzentration
    herrühren, dann notet Achtsamkeit diese Objekte im ersten Moment, ohne
    abzuwarten: ‘sehen, sehen,’ und die Objekte verlöschen sofort. Tauchen sie
    noch einmal auf, werden sie wieder genotet und verlöschen wieder.
    So gleicht Achtsamkeit Vertrauen mit Weisheit aus.
    Wenn umgekehrt die Weisheit das Vertrauen überwiegt, dann denkt man
    über die Lehre nach, erwägt und beurteilt sabhava oder sonderbare
    Phänomene. Danach verfängt man sich in den Gedanken und haftet daran.
    Das führt wieder zu Aufregung und man denkt noch mehr. In diesem Fall muß
    die Achtsamkeit besonders rigoros das Denken noten, bis sie so schnell wird
    wie das Denken. Dann wird das Denken aufhören. Weisheit (panna) und
    Vertrauen (saddha) sind wieder im Ausgleich und werden durch die Übersicht
    von Achtsamkeit im Gleichgewicht gehalten.
    Mit dem Paar Energie (viriya) und Konzentration (samadhi) ist es genau
    dasselbe: Wenn Energie die Konzentration übertrifft und der Geist wird von
    Gedanken und Reflektionen überschwemmt, dann muß Achtsamkeit fleißig
    noten, bis das Denken aufhört. Das wird die Kraft der Energie bändigen und
    an die Konzentration anpassen.
    Wenn andererseits Konzentration übermäßig wird, gibt es Probleme mit
    Schläfrigkeit und Niedergeschlagenheit. Dann muß Achtsamkeit beim Noten
    hart am Ball bleiben, um die Entstehung der aufeinanderfolgenden
    Schläfrigkeitsmomente genau zu erkennen, dann ist die Schläfrigkeit plötzlich
    wie weggeblasen. Das zeigt den Ausgleichspunkt von Energie und
    Konzentration an und ist sehr günstig für die Übung.
    Beim Ausgleichen der fünf Fähigkeiten muß der Übende einfallsreich sein,
    was die Auswahl der Methoden angeht, die man benutzt, um ein akutes
    Problem in der Meditation zu lösen. Und dann muß man prüfen, ob die
    veränderte Übung zum richtigen Ergebnis führt, und ob sie sich mit der
    Persönlichkeit verträgt. Da nicht alle Leute denselben Geist haben,
    unterscheiden sich auch ihre Veranlagungen und ihr Charakter. Deshalb soll
    man immer nach dem Motto verfahren: Sich selber eine Zuflucht sein! Es
    sollte jeder Experte für seine eigene Erfahrung werden.
    Das bedeutet aber auch Verantwortung. Um die eigene Situation korrekt
    einschätzen zu können, brauchen wir die Achtsamkeit. Deshalb muß jeder
    Achtsamkeit entwickeln, damit sie allmählich kräftiger wird. Jeder Zuwachs
    an Achtsamkeit wird ungeschmälert in Fortschritt verwandelt. Wenn
    Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit nicht
    ausgeglichen sind, wenn die eine Seite die andere überwiegt, wenn sie sich
    gegenseitig behindern, dann ergibt sich ein geistiges Ungleichgewicht. Aber
    gut entwickelte Achtsamkeit hat die Fähigkeit, die Kräfte in beiden Paaren zu
    kontrollieren und wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen.
    Die widerstreitenden Fähigkeiten werden sich vereinen, die ungleich
    gewichteten werden ausgeglichen, bis die fünf Fähigkeiten sich zu einer Kraft
    bündeln. Dann wird man ein Experte in der Betrachtung des gegenwärtigen
    Objekts.
    Und dadurch wird jene Weisheit geweckt, die die fünf Anhäufungen als
    vergänglich, bedrückend und kein Selbst durchschaut.
    Materielle und geistige Phänomene entstehen und vergehen auf natürliche
    Weise. Die Geist-und-Körper-Objekte schreien uns die Wahrheit ins Gesicht.
    Es gibt wahrhaftig nichts, woran sich lohnte anzuhaften. Man muß unbeirrt
    weiterüben, entschlossen, die Zuflucht zu erreichen, wo alles Leid
    verlöscht, Nibbana.
    JENSEITS VON EINTRÜBUNG UND HANDELN
    Eintrübung, Handeln und Ergebnis
    F: Wieviele Arten von Eintrübung (kilesa) gibt es? Wie kommt es dazu, daß
    die Eintrübungen im Geist entstehen?
    A: Eintrübungen (kilesa) fallen in drei Kategorien1.Grobe Eintrübungen. Sie machen sich durch Körper und Sprache
    bemerkbar. Die Lebensspanne eines Wesens vernichten; stehlen;
    sexuelles Fehlverhalten; lügen, verleumden, beschimpfen und
    schwatzhaft sein; und alkoholische Getränke, die unachtsam machen,
    zu sich nehmen: das sind Beispiele für grobe Eintrübungen. Sich
    solcher Handlungen zu enthalten, ist Sittlichkeit (sila) und eine
    Voraussetzung für die erfolgreiche Klarblickübung.
    2.Mittlere Eintrübungen. Das sind die fünf geistigen Hindernisse,
    Eintrübungen, die sich im Geist bemerkbar machen. Sie tyrannisieren
    den Geist, sodaß er Verlangen produziert, Unzufriedenheit, Ärger,
    Verzagtheit, Schläfrigkeit, Aufregung, Sorge, Gereiztheit,
    Unentschlossenheit, Skepsis und Verwirrung. Wenn die mittleren
    Eintrübungen im Geist auftauchen, machen sie den Geist zunehmend
    heißer, stickiger, ungeschickter, bedrängter, besorgter, gereizter,
    ängstlicher, unsicherer und skeptischer. Achtsamkeit muß die mittleren
    Eintrübungen sofort noten, wenn sie im Geist entstehen, denn wenn sie
    nicht kontrolliert werden, dann können sie die groben Eintrübungen
    auslösen.
    3.Feine Eintrübungen. Man nennt sie auch latente Eintrübungen
    (anusaya). Es ist die ursprüngliche Natur der fünf Anhäufungen, die da
    im Geist schlummert. Normalerweise verhalten diese Eintrübungen sich
    unauffällig, sie machen sich in keiner Weise bemerkbar. Aber wenn ein
    hinreichender Grund vorliegt, dann entstehen sie mit Notwendigkeit.
    Wenn Sinnesobjekte in Berührung mit den Sinnesorganen und dem
    Geist kommen, dann treten die feinen Eintrübungen aus ihrem latenten
    Zustand zunächst auf die Ebene, wo sie sich in Rede und Tat Bahn
    brechen.
    Den Unterschied zwischen diesen drei Arten von Eintrübungen kann man
    verdeutlichen mit einem Streichholz. Die mittleren Eintrübungen sind wie das
    Feuer, das im Streichholzkopf schlummert. Die mittleren Eintrübungen sind
    schon aktiv, wie wenn man mit dem Streichholz über die Streichfläche
    streicht; dann wird das Feuer sichtbar. Grobe Eintrübungen handeln in die
    Umwelt hinein: Man nimmt das Streichholz und zündet damit brennbares
    Material an. Das Objekt wird vom Feuer verzehrt und kann einen großen
    Brand auslösen.
    F: In welchem Zusammenhang stehen die Eintrübungen, die Handlungen und
    deren Ergebnisse miteinander?
    A: Die Menschen werden in die Welt geboren mit unterschiedlichen
    Existenzen, sie sind gut oder schlecht, dumm oder weise, glücklich, reich,
    schön, oder unglücklich, arm und häßlich. Das sind Ergebnisse
    (vipaka)früherer Taten (kamma). Im Kreislauf abhängiger Entstehung ist dies
    die Runde der Ergebnisse. Es sind die Ergebnisse unserer eigenen Taten in
    früheren und in diesem Leben. Körperlich handeln heißt in Pali kayakamma,
    sprechen heißt vacikamma. Diese beiden Arten von kamma sind die Aktivität
    der groben Eintrübungen (vitikkama kilesa). Töten, stehlen, lügen, sexuelles
    Fehlverhalten und Alkoholkonsum sind Beispiele dafür. Die groben
    Eintrübungen werden verursacht von der dritten Art des kamma: der
    Geistestätigkeit (manokamma). Dieses geistige kamma ist die Aktivität der
    mittleren Eintrübungen (pariyutthana kilesa). Wenn wir die Geistestätigkeiten,
    also die Eintrübungen, die im Geist auftauchen, nicht kontrollieren können,
    finden sie körperlich und verbal ihren Ausdruck, und das ist wieder
    körperliches und verbales kamma. Die Geistestätigkeiten (manokamma),
    ihrerseits, werden verursacht von den feinen Eintrübungen (anusaya kilesa),
    die im Strom unseres unbewußten Lebenskontinuums schlummern.
    Eintrübungen (kilesa) sind Ursachen für das Entstehen von Taten (kamma)
    auf drei Ebenen von Intensität: Gedanken, Worten und Handlungen. Diese
    Taten werden selbst wieder zu Ursachen für die Entstehung von Ergebnissen
    (vipaka). Das gemeinsame Wirken und die gegenseitige Beeinflußung von
    Handeln (kamma) und seinem Ergebnis (vipaka) ist jedoch nichts anderes als
    die fünf Bündel von Geist-und-Körper. Konventionell gesprochen: Dieses
    Ineinandergreifen von Ursache und Wirkung sind wir, oder genauer gesagt,
    der jeweilige Geist, der den Eintrübungen (kilesa) Unterschlupf bietet. Die
    Eintrübungen (kilesa) verursachen Handlungen (kamma). Das Handeln
    verursacht Ergebnisse (vipaka), und da sind schon wieder wir, aufgebaut von
    der eigenen Geistestätigkeit und unserem Handeln, und bieten erneut
    Eintrübungen (kilesa) Unterschlupf.
    Eintrübungen sind die Ursache für Geistestätigkeit und Handeln, und dieses
    Tun hat die Macht, immer wieder neue Wesen aufzubauen. Diese drei wirbeln
    haltlos umeinander, ohne Ziel und Ende.
    F: Wie muß man sich üben, wenn man die drei Runden von Eintrübung,
    Handeln und Ergebnis überwinden will?
    A: Buddha der Erleuchtete erkannte, daß Geburt, Alter, Krankheit und Tod
    Leiden (dukkha) sind. Er suchte nach der Ursache dieses Leidens und fand
    heraus, daß überall in der Welt der Lebewesen Geburt, Alter, Krankheit und
    Tod durch (Willens-)Tätigkeit (kamma) verursacht werden. Als er die Ursache
    des Handelns erforschte, da stieß er auf die Eintrübungen (kilesa) und vor
    allem das Verlangen (tanha) als der Wurzel aller Trübungen. Demnach sind
    also alle Arten von Leiden (dukkha) verursacht von Verlangen (tanha).
    Mit den vier edlen Wahrheiten hat Buddha aufgezeigt, daß Verlangen die
    Wurzel des Leidens ist. Um das Leiden auszulöschen, muß man seine
    Wurzel vernichten, daß heißt, man muß das Verlangen auslöschen. Wir sind
    entstanden aus dem Verlangen nach Existenz. Wollen wir Geburt und Tod
    überwinden, dann müssen wir dieses Verlangen überwinden. Aber wie soll
    man das bewirken?
    Dazu sagte Buddha: Um das Verlangen auszulöschen, muß man den
    Achtfachen Pfad entwickeln, den mittleren Weg (majjhima patipada). Die
    Übung des Mittleren Weges führt direkt zur völligen Auflösung des
    Verlangens. Wer sich über die drei Runden erheben möchte, muß also den
    Achtfachen Pfad in sich entwickeln und seine Bemühungen immer weiter
    verfeinern, bis nur die Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit
    übrigbleibt.
    F: Wie soll man seine Bemühungen verfeinern, um den Achtfachen Pfad mit
    den vier Grundlagen der Achtsamkeit in Übereinstimmung zu bringen?
    A: Der Achtfache Pfad hat in der Übung des Klarblicks folgende Merkmale:
    1.Rechte Ansicht (samma-ditthi) – die Wahrnehmung des Entstehens
    und Vergehens der fünf Anhäufungen (panca-kkhandha) und Erkenntnis
    der vier Edlen Wahrheiten. Dies ist eine Funktion der Weisheit (panna).
    2.Rechtes Denken (samma-sankappa) – Hinwendung und Erhebung
    des Geistes zum Erkennen des gegenwärtigen Objekts, oder der fünf
    Bündel. Dies ist ebenfalls eine Funktion der Weisheit (panna).
    3.Rechte Rede (samma-vaca) – Die Bestimmung der korrekten
    Begriffe, die mit den gegenwärtig realen Phänomenen verbunden
    sind. Dies ist ein Bestandteil der Sittlichkeit (sila).
    4.Rechtes Handeln (samma-kammanta) – Geistestätigkeit, die in
    völliger Übereinstimmung mit der Wirklichkeit steht, indem sie das
    Auftauchen bedingter Ereignisse (sankharadhamma) vor sich in der
    Gegenwart beobachtet. Auch dies ist Bestandteil der Sittlichkeit (sila).
    5.Rechte Lebensführung (samma-ajiva) – Den Geist stark, gesund
    und losgelöst halten, indem man in der Gegenwart achtsam ist. So wird
    der Geist gefördert und ernährt durch heilsame Geisteskräfte, durch
    den Achtfachen Pfad, den Besitz der Edlen. Auch dies ist Bestandteil
    der Sittlichkeit (sila).
    6.Rechte Anstrengung (samma-vayama) – Vierfältige Anstrengung:
    Den Geist zu schützen vor noch nicht entstandenen Eintrübungen und
    die bereits aufgestiegenen zu überwinden; heilsame Geisteskräfte zu
    entwickeln und die entstandenen heilsamen Kräfte zu
    bewahren. Dies ist ein Bestandteil der Konzentration (samadhi).
    7.Rechte Achtsamkeit (samma-sati) – Die Betrachtung der fünf
    Anhäufungen unmittelbar in der Gegenwart; völlig und umfassend
    bewußt zu sein. Auch dies ist ein Bestandteil der Konzentration
    (samadhi).
    8.Rechte Konzentration (samma-samadhi) – Beruhigung und
    Stabilisierung des Geistes, indem man ihn auf ein einzelnes Objekt
    fixiert: das gegenwärtige. Auch dies ist ein Bestandteil der
    Konzentration (samadhi).
    Der Achtfache Pfad im Klarblick
    Um ein Radiogerät, einen Fernseher oder Ähnliches zu bauen, braucht man
    viele elektrische Schaltungen, die alle mit einem Punkt verbunden sein
    müssen, einem Hauptschalter, einem Hebel oder Druckschalter. Wenn man
    das Gerät einschalten möchte, drückt man einfach den Knopf, und alle
    Teilbereiche nehmen sofort ihre Arbeit auf. In vergleichbarer Weise hat
    Buddha, der Wissenschaftler des Geistes, das korrekte Verfahren gesucht,
    welches einfach und effektiv zu benutzen sein sollte. In seinem Bemühen um
    Vereinfachung und eine Reduktion auf das Wesentliche faßte der Buddha
    den Achtfachen Pfad zu dem zusammen, was er den “einzigen Weg”
    (ekayanomaggo) nannte: die vier Grundlagen der Achtsamkeit. Diese vier
    Grundlagen der Achtsamkeit, die als siebter Bestandteil des Achtfachen
    Pfades Rechte Achtsamkeit heißen, sind dieser einzige Weg.
    F: Was zeichnet rechte Achtsamkeit aus, so daß sie zum einzigen Weg wird?
    A: Die Bedeutung rechter Achtsamkeit (samma-sati) erweist sich in der
    Klarblickübung auf folgende Weise:
    1.Rechte Achtsamkeit hat als wichtigste Funktion, das gegenwärtige
    Objekt zu wissen. Wenn sie mit dem Bewußtsein auftaucht, ist sie
    verpflichtet, die gegenwärtig existierende Geist-Körper-Verbindung
    (nama-rupa) zu betrachten.
    2.Achtsamkeit ist die nächstliegende Ursache für die Entstehung von
    Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit (sila, samadhi, panna). Wenn
    Achtsamkeit fehlt, können die korrekten Ausprägungen von Sittlichkeit,
    Konzentration und Weisheit nicht entstehen.
    3.Achtsamkeit arbeitet an der Überwindung der fünf geistigen
    Hindernisse (kilesa-nivarana), der Gruppe der unheilsamen (akusala)
    Geisteskräfte, die in jedem Falle daran hindern, das Gute zu erreichen.
    4.Achtsamkeit entfaltet eine vereinigende Kraft innerhalb des
    Achtfachen Pfades, sodaß die acht Glieder zu einem einzigen
    verschmelzen, dem ‘einzigen Weg’.
    5.Achtsamkeit ist auf Kontrolle und Harmonisierung der fünf geistigen
    Fähigkeiten (indriya) gerichtet. Solange Achtsamkeit schwach ist,
    können Verzerrungen des Klarblicks (vipassa-nupakilesa) leicht
    auftauchen.
    6.Die vier Grundlagen der Achtsamkeit zu entwickeln, ist der Weg zu
    völliger Reinheit des Geistes, der Weg zum Aufblitzen überweltlicher
    Weisheit. Es ist der einzige Weg, Nibbana zu erreichen.
    Für das Verlöschen des Verlangens üben
    F: Was soll man tun, um das Verlangen auszulöschen, die Ursache des
    Leidens (dukkha)?
    A: Verlangen läßt sich gut mit Feuer vergleichen. Feuer flackert auf, wenn
    dafür ein Anlaß da ist, zum Beispiel ein Streichholz, ein elektrischer Funke,
    oder ein glühender Zigarettenstummel. Ganz am Anfang ist es nur ein Funke
    oder Flämmchen und ist leicht auszulöschen. Man kann es auspusten oder
    mit dem Fuß austreten, dann verlöscht es. Wenn dieses kleine Feuer aber
    genug Nahrung findet und weiterbrennt, dann breitet es sich zu einem
    Flächenbrand aus, der äußerst schwierig zu löschen ist, wenn überhaupt.
    Das Gleiche ist es mit dem Feuer des Verlangens, das in unserem Geist
    entbrennt. Es meldet sich zuerst nur als kleines Flämmchen. Wenn wir es
    rasch bemerken, können wir es leicht auslöschen. Bemerken wir es aber erst
    später, dann kann es schwierig zu löschen sein, weil das im Inneren
    brennende Feuer sich schon in die Außenwelt ausgebreitet hat.
    Um das Feuer zu löschen, braucht man die richtige Ausrüstung, oder ein
    Verfahren, das für das Löschen des Feuers richtig und geeignet ist. Wasser
    kann man benutzen, um Feuer zu löschen. Der Edle Achtfache Pfad oder die
    vier Grundlagen der Achtsamkeit sind die geeignete Ausrüstung, um das
    Feuer des Verlangens auszulöschen.
    Also müssen wir uns selbst prüfen, ob wir Wasser zum Löschen haben, oder
    ob wir keines haben. Falls wir keines haben müssen wir uns beeilen, welches
    zu holen, denn das Feuer des Verlangens verzehrt uns. Es muß sofort
    gelöscht werden, heute noch! Wir können nicht bis morgen
    warten. Entwickeln Sie Achtsamkeit, die noch nicht entstanden ist, sodaß sie
    entsteht! Machen Sie mehr aus der Achtsamkeit, die schon entstanden ist!
    Allgemein gesprochen, behandelt der Geist das Verlangen wie einen guten,
    alten Freund, denn Verlangen ist der Bestand, den wir unwissentlich
    angesammelt haben, unsere alten Gewohnheiten, die sich ständig von selber
    bemerkbar machen als Begehren danach, einen schönen Anblick,
    wohlklingende Geräusche, aromatische Düfte, schmackhaftes Essen und
    sanfte Berührung zu geniessen. Dieses Feuer im ersten Moment
    auszulöschen, ist schwierig, denn es gibt nur wenig Wasser. Man muß mit
    Energie die Achtsamkeit entwickeln, viel davon und schnell, denn
    Achtsamkeit ist das Wasser zum Löschen des Verlangens.
    Sobald Achtsamkeit eingerichtet ist, beginnt sie, die Sittlichkeit (sila) zu
    unterstützen durch die Kontrolle der Sinnesfähigkeiten (indriya-samvarasila), sodaß die Reinheit ungebrochen und makellos bleibt. Kontrolle der
    Sinnesfähigkeiten bedeutet, sorgsam zu wachen über die Augen, die Ohren,
    die Nase, die Zunge und den Geist, indem man Achtsamkeit auf die vier
    Grundlagen der Achtsamkeit richtet, weder erfreut, noch verärgert, wenn die
    Sinnesorgane mit erfreulichen oder unerfreulichen Objekten in Kontakt
    kommen. Wenn die Entwicklung der Achtsamkeit deutlichere Ergebnisse
    zeigt, erkennt man sofort, ob die Hindernisse da sind oder nicht.
    Wenn es im Geist kein Verlangen gibt, weiß man, daß da kein Verlangen ist;
    wenn aber Verlangen da ist, so weiß man, daß es da ist. Wenn das
    Verlangen im Geist bleibt, dann weiß man, daß es bleibt, und wenn das
    Verlangen verlöscht, dann weiß man, daß es verlöscht. Wenn Achtsamkeit
    soviel Stärke gewinnt, daß sie den Geist betrachten kann und sieht, wie das
    Verlangen im Geist entsteht, andauert und vergeht, dann werden die mittleren
    Eintrübungen, die fünf Hindernisse (nivarana-kilesa), schwächer und tauchen
    weniger häufig auf. Sie dominieren den Geist nicht mehr und entwickeln sich
    nicht zu groben Eintrübungen.
    Mit der unerschütterlichen Überzeugung, daß er die Hindernisse, diese
    ‘Maschinerie des Leidens,” endgültig aus dem Geist entfernen kann, muß der
    Übende die Achtsamkeit weiter entwickeln, ohne aufzugeben. Wenn die
    Weisheit des Pfades auftaucht, dann gelangt er zu der Wahrheit, daß alles,
    was von Natur aus entsteht, auch von Natur aus vergeht. Diese Wahrheit der
    Natur – die fünf Anhäufungen von Körper und Geist – zu durchdringen, bringt
    es mit sich, daß man alle körperlichen und geistigen Phänomene entstehen
    sieht, einen Moment dauern sieht, und dann vergehen sieht, ohne eine
    dauernde Substanz, die bleibt.
    Auf der manifesten Ebene wird das deutlich, wenn wir die Menschen
    betrachten. Alle Menschen müssen sterben,ob reich oder arm, gut oder
    schlecht, mächtig oder machtlos, schön oder häßlich. Menschliche wie auch
    alle anderen Wesen entstehen, leben eine Zeitlang und sterben dann. Auch
    alles andere, was entstanden ist, muß aufgrund seiner Natur ohne Ausnahme
    vergehen.
    Wenn diese Wahrheit uns geläufig ist, werden wir die Geduld und
    Beharrlichkeit besitzen, die Achtsamkeit noch weiter zu entwickeln und die
    Eintrübungen zu überwinden. Gemeinsam mit Achtsamkeit werden dann alle
    heilsamen (kusala) Geisteskräfte entstehen und allmählich Kraft gewinnen.
    Wenn sie ausgereift sind, wird sich der Achtfache Pfad vom weltlichen Pfad
    des Klarblicks (lokiya magga) zum überweltlichen Edlen Pfad (lokuttara
    magga) wandeln, der Ursache und Wirkung in sich vereint. Beim Erreichen
    des überweltlichen Pfades wandelt sich der Meditierende vom Weltling
    (puthujjana) zum Edlen (ariya puggala) auf einer der vier Stufen der
    Befreiung.
    Für den neuen Meditierenden bedeutet Entwicklung der Achtsamkeit deshalb,
    schrittweise mit den vier Grundlagen der Achtsamkeit vertraut zu werden –
    1.Achtsam den Körper im Körper betrachten, zum Beispiel das Heben
    und Senken der Bauchdecke noten. Der Körper ist Materie und deshalb
    leicht zu erkennen, also ist auch das Entstehen und Vergehen des
    Körpers leicht zu erkennen.
    2.Achtsam die Gefühle in den Gefühlen betrachten. Die körperlichen
    Gefühle wie Schmerzen und Unwohlsein werden zuerst erkannt. Wenn
    der Übende die Gefühle mit Achtsamkeit begleitet, wird er die
    Veränderung in den schmerzhaften Gefühlen sehen, wie sie entstehen
    und vergehen. Wenn die Unterscheidungskraft des Meditierenden
    stärker wird, kann auch geistiges Gefühl in dieser Weise betrachtet
    werden.
    3.Achtsam die Geisteszustände in den Geisteszuständen betrachten.
    Der Übende hält Wache an der Geistpforte und beobachtet, daß dieser
    Geist nicht dauerhaft ist, sondern sich dauernd ändert. In diesem
    Moment nimmt er ein materielles Objekt vom Auge an, im nächsten vom
    Ohr, von der Nase, von der Zunge, vom Körper. Oder es entstehen
    geistige Objekte im Geist selbst. Überlegung, Aufregung, Schläfrigkeit,
    Begierde, Ärger, verschiedene Zweifel sind dort anzutreffen. Wenn
    Achtsamkeit erstarkt, kann man das Entstehen und Vergehen all dieser
    Geisteszustände sehen.
    4.Achtsam die Geistesdinge in den Geistesdingen betrachten,
    Phänomene direkt in den Phänomenen. Da erkennt man dann das
    Entstehen und Vergehen der heilsamen und der unheilsamen
    Geisteskräfte. Durch die heilsamen Kräfte entsteht Befriedigung, Glück
    und Zufriedenheit. Die unheilsamen Kräfte trüben den Geist und
    erzeugen Unruhe, Sorge, Verdruß, Irritation, Widerwillen, Unsicherheit,
    Mutlosigkeit und Verwirrung: das Spektrum geistigen Leidens tut sich
    auf. Wenn der Meditierende schrittweise Achtsamkeit in Bezug auf
    Körper, Gefühle und Geistzustände entwickelt hat, dann wird die
    Betrachtung der Geistesdinge leichter werden.
    Zu Beginn der Übung ist es noch nicht möglich, die Entstehung des Denkens
    zu noten. Erst wenn die Anstrengung in der Übung kontinuierlich wird, lernt
    man nach und nach, die Gedanken zu noten. Dennoch gelingt es nicht, den
    unmittelbaren Anfang zu erkennen; man merkt oft erst nach einer Minute, daß
    Gedanken im Geist sind. Aber mit weiterer Übung verbessert sich die
    Achtsamkeit und man kann den Fortgang des Denkens mit zunehmender
    Schnelligkeit noten, bis man schließlich das Entstehen und Vergehen der
    Gedanken unmittelbar beobachten kann.
    Manchmal bemerkt man, daß der Geist gerade anfangen will, zu denken.
    Manchmal beobachtet man, wie ein Bild auftaucht, das aus der Erinnerung
    entstanden ist, und dann folgen Gedanken nach. Kann man das
    gegenwärtige Objekt auf diese Weise betrachten, dann wird die Wahrheit
    offensichtlich, daß alle Eintrübungen zusammen mit dem Bewußtsein
    auftauchen und zusammen mit dem Bewußtsein auch verlöschen. Wie es in
    der Lehre über die Grundlagen der Achtsamkeit (satipatthana-sutta) heißt:
    Wenn kein Verlangen im Geist ist, weiß man, daß da keines ist; wenn das
    Verlangen entsteht, weiß man daß es entsteht; wenn es andauert, weiß man,
    daß es andauert; wenn das Verlangen im Geist verlöscht, dann weiß man,
    daß es verlöscht; und wenn es aufgrund einer bestimmten Ursache verlöscht,
    dann kennt man diese Ursache.
    Haben Achtsamkeit und Weisheit (sati-panna) dieses Niveau erreicht, dann
    wird einem klar, wie mächtig Achtsamkeit ist, denn sie kann das Entstehen
    und Vergehen der fünf Hindernisse im gegenwärtigen Geist wirklich
    beobachten. Von einem bestimmten Punkt der Entwicklung an braucht der
    Meditierende nichts Besonderes mehr zu tun. Die Achtsamkeit muß nur fest
    auf den gegenwärtigen Moment eingestellt sein, und alle Eintrübungen, die
    auftauchen, werden von selbst verlöschen, als sähe man Feuer aufflackern,
    das im selben Moment mangels Brennstoff verlöscht. Diese Art der
    Bewußtheit, die man Klarblick nennt, führt zur Aufzehrung der Eintrübungen,
    bis der Geist völlig davon befreit ist.
    Zusammenfassung
    Um dies alles zusammenzufassen; Klarblickmeditation soll man üben, um
    das Verlangen (tanha), die Ursache des Leidens, auszulöschen. Das Ziel der
    Übung ist die völlige und endgültige Überwindung der Eintrübungen. Dazu
    braucht man keine besondere Vorgehensweise und keine speziellen
    Kenntnisse. Wer das behauptet, erzeugt nur zusätzliche Verwirrung und
    unnötiges Zögern und Zweifeln.
    Zur Zeit Buddhas wurde sechzehn jungen Männern, alle Schüler des
    Brahmanen Bavari, von ihrem Lehrer aufgetragen, dem Buddha einige
    Fragen zu stellen. Einer von ihnen, namens Nanda, stellte folgende Frage:
    “Man sagt, es gäbe keine Weisen mehr in der Welt. Wie verhält es sich
    damit? Zeichnet sich ein Wissender durch seine Kenntnisse oder durch seine
    Lebensführung aus?”
    Buddhas Antwort lautete: “Die Weisen in dieser Welt sagen nicht, daß man
    ein Wissender durch Sehen, Hören oder besondere Kenntnisse wird. Ich
    behaupte: Wer sich selbst aus dem Sumpf der Eintrübungen (kilesa) befreit
    und keine neuen Eintrübungen mehr entstehen läßt, wer keine Sorgen und
    keine Begierden mehr hat, der ist ein Wissender, der ist ein Weiser.”
    Nanda fragte weiter: “Es gibt Asketen und Priester, die sprechen von Reinheit
    durch Sehen, durch Hören, durch eine strenge Lebensführung, durch Rituale
    und eine Vielzahl anderer Methoden. Hat irgendeiner der Asketen und
    Priester, die solche Reinheitspraktiken pflegen, jemals Geburt und Alter
    überwunden?”
    Buddha erklärte: “Diese Asketen und Priester, auch wenn sie ihre
    Reinigungspraktiken strikt befolgen, sage ich, können Geburt und Alter nicht
    überwinden.”
    Nanda fragte erneut: “Wenn diese Priester und Asketen nicht frei sind von
    Geburt und Alter, wer in der Welt der Götter und Menschen ist denn frei von
    Geburt und Alter?”
    Buddha sagte: “Ich behaupte nicht, daß alle diese Priester und Asketen
    Geburt und Alter unterliegen. Aber ich sage, daß ein jeder Asket oder
    Priester, der in dieser Welt die Objekte des Sehens, Hörens und Wissens
    zurückweist; der alle vorgeschriebene Lebensführung, alle Rituale und die
    vielerlei Methoden verwirft; der das Verlangen (tanha) als ein Ärgernis
    betrachtet und sich völlig frei davon macht, der wird ein Mensch, dem die
    weltlichen Neigungen des Geistes nicht mehr begegnen. Ein solcher Asket
    oder Priester, sage ich, ist jenseits von Geburt und Alter.”
    Daran sehen wir, daß Buddha, der höchste Lehrer, die Überwindung von
    Eintrübung und Verlangen als unsere dringlichste Aufgabe betonte, die
    keinen Aufschub duldet und als erste unsere Aufmerksamkeit verlangt. Daher
    müssen wir weiter üben, bis wir das Ziel erreichen.
    TEIL II
    DIE ERGEBNISSE DER ÜBUNG
    Die Sieben Reinheitsstufen und Sechzehn Klarblickschritte
    Dieses Handbuch wurde unter besonderer Berücksichtigung der
    Schwierigkeiten von Anfängern in der Meditation geschrieben. Es mag aber
    sein, daß einige bei gewissenhafter Übung im Laufe der Zeit gute Fortschritte
    machen und dann Nutzen daraus ziehen können, wenn sie eine Richtschnur
    haben, um ihre Entwicklung gemäß der Lehre einzuschätzen. Daher sollen im
    folgenden die einzelnen Schritte dargestellt und erklärt werden, aus denen
    der Stufenweg des Fortschritts in der Klarblickmeditation besteht: Die sieben
    Reinheitsstufen und die sechzehn Schritte des Klarblickwissens.
    I.Reinheit des Betragens (sila-visuddhi). Vom Beginn der Übung an
    muß der Meditierende seine Sittlichkeit rein erhalten, indem er den
    Ausdruck in Rede und Tat an den fünf Sittlichkeitsregeln orientiert.
    Reinheit des Betragens verringert die Kraft der fünf geistigen
    Hindernisse, die der Entwicklung von Konzentration entgegenstehen.
    II.Reinheit des Geistes (citta-visuddhi). Der Übende kann die
    momentane Konzentration mit zunehmender Kontinuität bewahren. Die
    Hindernisse werden abgelegt und der Geist wird ruhig und
    gefestigt. Dies istVoraussetzung für die nachfolgende Entwicklung von
    Weisheit.
    III.Reinheit der Ansicht (ditthi-visuddhi)
    1.Analytisches Wissen von Geist und Körper (nama-rupa-pariccheda-nana)
    Die Erkenntnis wird rein, und der Übende kann in der meditativen
    Betrachtung mit Leichtigkeit die geistigen (nama) und die körperlichmateriellen (rupa) Aspekte der gegenwärtigen Erlebnisse unterscheiden.
    IV. Reinheit der Überwindung von Zweifel (kankha-vitarana-visuddhi)
  5. Wissen, das die Bedingtheit durchdringt (paccaya-pariggaha-nana)
    V. Reinheit der Klaren Schau, was Pfad und was nicht Pfad
    ist (maggamagga-nana-dassana-visuddhi)
  6. Wissen des Begreifens (sammasana-nana)
    VI. Reinheit der Klaren Schau des Übungsverlaufs
  7. Wissen vom Entstehen und Vergehen (uddayabbaya-nana)
  8. Wissen der Auflösung (bhanga-nana)
  9. Wissen der Furcht (bhaya-nana)
  10. Wissen des Elends (adinava-nana)
  11. Wissen des Überdrußes (nibbida-nana)
  12. Wissen des Verlangens nach Befreiung (muncitu-kamyata-nana)
  13. Wissen der Großen Bemühung (patisankha-nana)
  14. Wissen des Gleichmuts vor Gebilden (geistigen und körperlich-materiellen
    Ereignissen) (sankharupekkha-nana)
    „Klarblick, der zum Entrinnen führt“ (vutthan-gamini-vipassana)
    · VII. Reinheit der Klaren Schau (nana-dassana-visuddhi)
  15. Wissen der Anpassung (anuloma-nana) (Übereinstimmung mit den vier
    edlen Wahrheiten)
  16. Wissen der Reife (gotrabhu-nana) (Wechsel der Zugehörigkeit)
  17. Pfadwissen (magga-nana) (Der einzelne Bewußtseinsmoment des ‘Edlen
    Pfades’)
  18. Fruchtwissen (phala-nana)
  19. Wissen des Rückblicks (paccavekkhana-nana)
    F: Die sieben Reinheitsstufen und die sechzehn Schritte des Klarblicks
    unterscheiden sich in mancher Hinsicht, zum Beispiel findet man bei den
    Klarblickswissen keinen Hinweis auf Sittlichkeit, wohl aber bei den
    Reinheitsstufen. Was bedeutet das?
    A: Die Reinheitsstufen – wie auch der achtfache Pfad – stellen ein
    umfassendes Schema dar, in dem alle drei Bereiche der geistigen Schulung
    inbegriffen sind: Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit (sila, samadhi,
    panna). Besonders die sieben Reinheitsstufen beschreiben den Ablauf der
    geistigen Entwicklung in aufeinander aufbauenden Stufen. Zunächst muß
    ‘Reinheit des Betragens’ erfüllt sein. Das ist die Schulung in Sittlichkeit. Mit
    dieser Voraussetzung kann man ‘Reinheit des Geistes’ durch Meditation
    anstreben. Das ist die Schulung in Konzentration.
    Wenn ‘Reinheit des Geistes’ erreicht ist, taucht bei fortgesetzter Übung
    schrittweise die für Klarblickmeditation charakterische Erkenntnis der
    Wirklichkleit auf, die mit der Entwicklung von Weisheit zusammenhängt,
    angefangen von ‘Reinheit der Ansicht’ bis hin zur ‘Reinheit der Klaren Schau.’
    Das sind insgesamt fünf Reinheitsstufen, die beschreiben, wie sich
    wirklichkeitsgemäße Erkenntnis, genannt: ‘Weisheit’, entwickelt. Diese fünf
    Reinheitsstufen können nur durch die Übung des Klarblicks erreicht werden.
    Was die sechzehn Klarblickwissen betrifft: Da geht es um die Ausarbeitung
    von rechter Ansicht (samma-ditthi), von korrekter Wahrnehmung in Einklang
    mit der ‚Soheit‘ der Dinge (tathata). Diese Wissensschritte tauchen in der
    Entwicklung der fünf Reinheitsstufen auf, die mit Weisheit zu tun haben.
    Unabhängig, jedoch, von diesen Klassifizierungen und Zuordnungen, werden
    bei der vollentwickelten Übung des ‘Mittleren Weges’ die drei Bereiche der
    Schulung – Sittlichkeit, Konzentration und Weisheit – immer gemeinsam
    eingesetzt und geübt.
    DER VORBEREITENDE PFAD
    Die schwachen Klarblickschritte
    F: Wenn man dieses Buch als Leitfaden für die Praxis benutzt, wie soll man
    dann erkennen, ob das erste Klarblickwissen schon aufgetaucht ist oder noch
    nicht?
    A: Es ist nicht leicht, über das Thema Klarblick etwas zu sagen, da man es
    selbst erleben muß, um darüber etwas zu wissen. Das ist das Merkmal
    ‘paccatam’ – individuell – das Buddha mit Bezug auf seine Lehre immer
    hervorhob: Die Meditierenden sehen die Wirklichkeit jeder für sich selbst.
    Denn das ist der Ort, wo wir in Wirklichkeit ja sind, nicht außerhalb unserer
    selbst.
    Wer schon buddhistische Schriften eingehend studiert hat, die sich mit
    wirklichkeitsgemäßer Erkenntnis der fünf Bündel des Anhaftens oder Theorie
    und Praxis der Klarblickmeditation befassen, mag vielleicht in der Lage sein,
    anhand der eigenen Meditationserfahrung das Einsetzen von
    Klarblickerlebnissen festzustellen, die mit den Schritten des Klarblickwissens
    zusammenhängen.
    Wer das aber nicht mit Zuverläßigkeit kann, muß sich auf einen spirituellen
    Freund (kalyanamitta) oder Klarblicklehrer verlassen, der prüfen kann, ob der
    Übende das erste Wissen erreicht hat. Die folgenden Ausführungen sollen die
    Klarblickerlebnisse der einzelnen Wissensschritte für den persönlichen
    Vergleich ausreichend skizzieren.
    I.) Analytisches Wissen von Körper und Geist
    Am Anfang der Übung ist der Geist noch nicht ruhig, weil man gestört wird
    durch Reflektionen und Aufregung, durch den inneren Monolog. Aber wenn
    das Noten des ‘Heben/Senken’ der Bauchdecke mehr Kontinuität gewinnt,
    dann werden die hebende Körperlichkeit und die senkende Körperlichkeit
    allmählich klar unterscheidbar. Der Geist, der die hebende und senkende
    Körperlichkeit benennt, wird erkennen, daß er die Funktion hat, das Heben
    und Senken zu wissen. Manchmal sieht man auch, daß die hebende und
    senkende Materie zwei verschiedene materielle Dinge sind, mit ihren eigenen
    Merkmalen, an denen man sie erkennen kann: das Heben hat ein Merkmal,
    das Senken ein anderes.
    Später, wenn der Übende stärkere Konzentration entwickelt und sein Geist
    ruhig wird, dann notet er das Heben/Senken ununterbrochen. Dann wird er
    verstehen, daß die hebende Körperlichkeit und das, was sie notet, zwei
    verschieden Dinge sind, und die senkende Körperlichkeit und das was sie
    notet, sind auch zwei verschiedenen Dinge. Die hebende und die senkende
    Körperlichkeit sind Materie (rupa) und das, was sie jeweils notet, ist Geist
    (nama).
    Wenn der Meditierende, während er die Bewegung der Bauchdecke in der
    unmittelbaren Gegenwart notet, dies versteht und sieht, wie es wirklich ist,
    dann hat er den ersten Schritt des Klarblicks erreicht, das ‘Analytische
    Wissen von Geist und Körper’ (namarupa-pariccheda-nana).
    Im täglichen Meditationsbericht wird der Klarblicklehrer fragen, ob das Heben
    und Senken der Bauchdecke dasselbe sind oder ob es zwei verschiedene
    Dinge sind. Wenn der Übende sagt, daß sie dasselbe sind, hat er das erste
    Wissen noch nicht erreicht.
    Vielleicht redet der Übende aber auch von sich aus über seine Erfahrung,
    oder wenn der Lehrer ihn danach fragt, stellt er aufgrund eigener
    Beobachtung fest: Das Heben ist Materie und ‘Was das Heben notet’ ist
    Geist, und die beiden sind verschieden. Oder wenn das Heben entsteht,
    dann rennt der Geist darauf zu. Oder das Heben und Senken sind zwei ganz
    verschiedene Dinge. Solche und ähnliche Aussprüche zeigen, daß der
    Übende den ersten Schritt des Klarblickwissens erreicht hat.
    Dieses Wissen erlebt die gegenwärtige Geist-Körper-Verbindung (nama-rupa)
    klarbewußt, und es hilft bei der Überwindung der ‘falschen Ansicht, die die
    fünf Bündel des Anhaftens als Selbst wahrnimmt’ (sakkaya-ditthi), dem
    Glauben an ein Selbst, an dauerhafte Wesen.
    2.) Wissen, das die Bedingtheit durchdringt
    Dieses Wissen ist klarbewußt über die Ursachen der gegenwärtig erlebten
    Geist-Körperlichkeit. Wenn etwas entsteht, durch welche Ursache entsteht
    es? Der Meditierende, der schon das erste Klarblickwissen entwickelt hat,
    wird erkennen, daß in dem Moment, wo er das gegenwärtige Objekt notet,
    nur Geist und Körper da sind. Außerdem ist da nichts. Manchmal entsteht
    das Heben – welches Materie ist – zuerst, und der Geist (citta) folgt hinterher
    und notet. Oder zuerst entsteht ein Ton, und der Geist folgt hinterher und
    notet: ‘hören, hören.’ Oder Hitze berührt den Körper, und es folgt die
    Benennung: ‘warm, warm.’ Wenn man auf diese Weise eine lange Zeit übt
    versteht man: “Materie entsteht zuerst, Materie ist die Ursache. Da der Geist
    hinterher folgt und notet, ist Geist die Wirkung.”
    Manchmal ist die kausale Bedingtheit aber umgekehrt: Der Meditierende
    möchte aufstehen, und nachdem der diese Absicht genotet hat, erscheint die
    stehende Körperlichkeit. Wenn der Geist gehen möchte, taucht danach die
    gehende Körperlichkeit auf. Wenn der Geist sich setzen möchte, taucht
    nachher die Sitzhaltung auf. Wenn der Geist sich setzen möchte, taucht
    nachher die Sitzhaltung auf. Wenn der Geist sich hinlegen möchte, erscheint
    anschließend der liegende Körper. Der Geist möchte beugen, ausstrecken,
    ergreifen, aufheben, festhalten, loslassen, drehen, wenden oder berühren,
    und danach erscheint die Körperlichkeit, die beugt, ausstreckt, ergreift,
    aufhebt, festhält, losläßt, dreht, wendet oder berührt. In diesen Fällen wird es
    erkennbar, daß Geist zuerst erscheint und die Ursache ist, während die
    nachfolgenden materiellen Erscheinungen Wirkungen sind.
    Wenn der Meditierende auf diese Weise rechte Ansicht erwirbt durch die
    Betrachtung der Bedingungen für die gegenwärtige Geist-Körperlichkeit
    (nama-rupa), dann hat er das zweite Klarblickwissen erreicht: ‘Wissen, das
    die Bedingtheit durchdringt’ (paccaya-pariggaha-nana). Dieses Wissen
    versteht, daß es keinen Schöpfer gibt, der die Dinge so gemacht hat, wie sie
    sind. Man versteht, daß das bewußte Erleben auftaucht durch Geist als
    Ursache und Materie als Ergebnis, oder Materie als Ursache und Geist als
    Ergebnis. Es gibt kein Wesen, keine Person, kein Selbst, kein ‘ich’ oder ‘du’,
    kein ‘wir’ oder ‘sie’. Alles, was es in Wirklichkeit gibt, sind geistige und
    körperliche Ereignisse, die sich wechselseitig bedingen und gemeinsam
    entstehen und vergehen. Dieses Wissen legt die ewigen Menschheitsfragen
    ab, die der unwissende Geist dem Glauben und dem spekulativen Denken
    überläßt: “Was ist das Leben? Wo kommt es her? Wo geht es hin? Wer sind
    wir? Und wozu sind wir hier?”
    Wenn man die Gegenwart versteht, weil man Geist und
    Körper unmittelbar beobachtet und deutlich sieht, wie sie sich gegenseitig
    bedingen, dann ist man auch in der Lage, zu prüfen und zu verstehen, daß
    die eigene Erfahrung auch in der Vergangenheit nur durch Bedingungen
    entstanden ist, und daß auch in Zukunft geistige und körperliche Phänomene
    entstehen werden, wenn die Bedingungen dafür da sind. Dieses
    Wissen ist die vollständige Überwindung von skeptischen, grüblerischen
    Zweifeln (vicikiccha).
    3.) Wissen des Begreifens
    Wenn in der Meditation Achtsamkeit und Konzentration stark werden, wird die
    Bewegung der Bauchdecke deutlicher wahrgenommen. Die Richtlinien zur
    Prüfung des Fortschritts in der Betrachtung sind folgende:
    1.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, wird die
    mittlere Phase des Hebens bemerkt, weil sie deutlicher erscheint.
    2.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, wird er den
    Anfang und die mittlere Phase des Hebens bemerken, weil Achtsamkeit
    angewachsen ist.
    3.Wissen: Wenn der Übende die hebende Materie notet, werden ihm
    alle drei Phasen klar, der Anfang, die Mitte und das Ende des Hebens.
    Das liegt an der stärkeren Kontinuität von Achtsamkeit und
    Konzentration.
    Mit diesem Klarblickwissen tauchen ungewöhnliche Erlebnisse durch die
    Intensität des Interesses am Objekt (piti) auf. Zum Beispiel können sich
    während der Betrachtung die Haare an den Armen oder auf dem Körper
    aufrichten, begleitet von einem Prickeln. Geistige Bilder und visuelle
    Vorstellungen tauchen auf. Der Körper zuckt plötzlich oder er lehnt sich
    allmählich nach hinten. Es juckt hier und da, fühlt sich an, als ob Ameisen
    oder andere Kleintiere über die Haut krabbeln und sie zwicken, oder Moskitos
    sich darauf niederlassen und stechen.
    Man muß diese Phänomene immer noten, jedesmal, wenn man sie erlebt.
    Geistige Bilder und Visualisationen verschwinden entweder sofort wenn sie
    genotet werden, oder allmählich, nach und nach.
    Manchmal, wenn man im Sitzen notet, hat man starke Schmerzen in den
    Knien, den Beinen, dem Rücken, der Leiste, der Hüfte, oder in anderen
    Körperteilen. Diese quälenden, schmerzhaften Empfindungen offenbaren die
    drei allgemeinen Merkmale aller Elemente des Erlebens (sankhara), damit
    die Weisheit darauf aufmerksam werden kann. Sie verdeutlichen für uns die
    Wahrheit, daß dieser Geist und dieser Körper vergänglich, leidhaft und kein
    Selbst sind (anicca, dukkha, anatta). Niemand kann
    bestimmen oder beinflussen, wie sie sind.
    Aufgrund der Vergänglichkeit (aniccata), die man in der Meditation zu spüren
    bekommt, entsteht schmerzhaftes Körpergefühl. Wenn es
    aufgetaucht ist empfindet man es als (dukkha), man kann es nicht ertragen,
    es ist wie ein Fremdkörper (anatta), der einem nicht gehört und von dem man
    sich befreien möchte. Aber man kann es nicht zwingen, irgendwie anders zu
    sein. Es entsteht durch Bedingungen, die aus Ursachen und Wirkungen
    bestehen und nicht einfach entkräftet werden können. Dieses Wissen ist der
    Klarblick, der die drei Merkmale erkennt.
    Manchmal wenn der Meditierende starke Konzentration (samadhi) und
    Begeisterung (piti) entwickelt, dann entstehen viele ungewöhnliche Objekte
    und Phänomene, oder der Geist wird durch die Erlebnisse angeregt, über die
    Wirklichkeit, über buddhistische Erkenntnis, kurz: über Dhamma,
    nachzudenken. Vielleicht sieht man ein Licht oder Helligkeit, einen diffusen
    Schimmer, und empfindet ungewöhnliches Wohlgefühl. Solche Erlebnisse
    können zu dem Mißverständnis verleiten, man habe schon den ‘edlen
    Pfad’ oder Nibbana erreicht.
    Wenn man an diesen Phänomenen anhaftet und sie genießt, das nennt
    man „Verderben des Klarblicks“ (vipassanupakkilesa), oder „den falschen
    Weg gehen,“ weil man weiterhin an den Objekten von Geist und Körper
    anhaftet. Der richtige Weg ist der ‘Mittlere Weg’, also die Grundlagen der
    Achtsamkeit, die der einzige Weg zur Erkenntnis von Nibbana sind. Wenn
    man von diesen Phänomenen, die durch Konzentration und Begeisterung
    entstehen, in die Irre geführt wird, verliert man den Weg
    durch Anhaften an geistigen und körperlichen Objekten.
    Von den sieben Reinheitsstufen ist die fünfte die Reinheit der Erkenntnis, was
    der rechte Weg geistiger Entwicklung ist, und was nicht der rechte Weg ist
    (maggamagganana-dassana-visuddhi). Der Lehrer wird dem Schüler raten,
    sofort alles zu noten, was er erlebt, ohne an irgendetwas anzuhaften. Wenn
    der Meditierende verblendet ist und diesen Rat in den Wind schlägt, wird er
    sich verirren und unter Umständen seine geistige Gesundheit aufs Spiel
    setzen. Aber wenn er rechtes Verständnis hat, wird die Übung weitere
    Fortschritte machen. Wenn der Übende Energie entwickelt im Noten dieser
    geistigen Objekte, dann werden die verschiedenen Bilder und visuellen
    Eindrücke allmählich verschwinden. Dann hat der Meditierende den dritten
    Schritt des Klarblicks erreicht, das ‘Wissen des Begreifens’ (sammasananana) – Wissen, das die drei Merkmale klarbewußt erlebt.
    F: Ist die Übung bis hierhin fortgeschritten, welche zusätzlichen Hauptobjekte
    muß man dann beachten?
    A: Nach der Richtlinie für die allgemeine Übung sollen die Objekte wie folgt
    beachtet werden:
    1.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken,’ während des Gehens note
    ‘rechter Schritt, linker Schritt’ oder ‘rechts geht so, links geht so.’ Die
    Übung jeweils dreißig Minuten lang fortsetzen.
    2.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken/sitzen,’ beim Gehen note
    ‘aufheben, absetzen’ (2. Gang).
    3.Wissen: Im Sitzen note ‘heben/senken/sitzen/berühren,’ beim Gehen
    note ‘aufheben, vorwärts bewegen, absetzen’ (3. Gang)
    4.Wissen: Im Sitzen wird wie beim 3. Wissen genotet, nur manchmal
    notet man beide Sitzknochen, rechts und links abwechselnd bis das
    nächste ‘heben’ anfängt. Beim Gehen note man vier Teile: ‘Ferse
    anheben, Fuß hochheben, vorwärts bewegen, absetzen’ (4. Gang).
    F: Welchen Sinn hat es, Absichten zu noten? Wann soll man darauf achten?
    A: ‘Absicht’ zu noten ist eine Übung für Wachsamkeit. Es bedeutet, daß man
    beim Denken, Reden und Handeln unablässig achtsam sein muß, um die
    Bewegungen des Geistes und des Körpers zu beaufsichtigen: “ Was tust du
    in diesem Moment gerade?” Diese Übung sollte begonnen werden, wenn der
    Meditierende etwa sieben Tage geübt hat. wenn das zweite Klarblickwissen
    auftaucht, wird es Zeit, die Absichten, die unser Handeln
    motivieren, als ‘Absicht, Absicht’ zu noten, wenn sie entstehen. Dann kennt
    man die Ursache, und wenn nachfolgend die Wirkung eintritt, erkennt man
    das auch und kann sich so vergewissern, ob dieser Geist den Körper
    dirigiert oder nicht.
    4.) Wissen vom Entstehen und Vergehen
    Dieses ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ (udayabbayanana) teilt sich
    auf in zwei Phasen, eine schwache, das ‘schwache (taruna) Wissen vom
    Entstehen und Vergehen,’ und eine starke, das ‘starke (balava) Wissen vom
    Entstehen und Vergehen.’ Wenn der Übende das schwache Klarblickwissen
    erreicht hat, treten die ‘zehn Verzerrungen des Klarblicks’ deutlich in
    Erscheinung und können sehr stark werden.
    Die Verzerrungen des Klarblicks
    1.Licht oder Glanz (obhasa) – Es kann ein blaßes, weißes Licht sein,
    oder ein Lichtstrahl, ein strömendes Licht oder Licht, das den ganzen
    Raum erhellt, sodaß man ihn bei geschlossenen Lidern sehen kann.
    2.Begeisterung (piti) – Reges Interesse, intensive Anteilnahme,
    Verzückung. Davon gibt es fünf Grade:
    Geringe Begeisterung (khuddaka piti) – wenn man Jucken oder
    Kribbeln überall am Körper spürt, die Haare richten sich zeitweilig auf,
    oder man fühlt sich benommen und unklar, wie bei Kopfschmerzen.
    Momentane Begeisterung (khanika piti) – wenn ein Kribblen von den
    Füßen über die Brust bis in die Luftröhre wandert und dann
    verschwindet. Wärme oder Kühle; man sieht Lichtblitze oder
    Sternschnuppen und der Körper zuckt manchmal unmotiviert; oder man
    spürt Steifheit überall im Körper und Gänsehaut. Ameisen scheinen auf
    der Haut zu krabbeln, ohne von der Stelle zu kommen; der ganze
    Körper wird unangenehm heiß oder man bekommt Schüttelfrost.
    Überströmende Begeisterung (okkantika piti) – Sie ergreift den
    ganzen Körper, der beginnt zu schwanken, oder ein Zittern läuft durch
    den ganzen Körper. Das Gesicht, Hände oder Füße verkrampfen sich,
    man lehnt nach einer Seite; der Körper wird von Wellen erfaßt und
    ruckelt, oder man fühlt ein Strömen wie ein Stock, der in einem
    fließenden Gewässer festgesteckt ist.
    Erhebende Begeisterung (ubbega piti) – manchmal fühlt sich der
    Körper leicht an und beginnt zu schweben, man spürt den
    Bodenkontakt nicht mehr. Der Körper wird größer und steigt auf. Dann
    wieder macht der Körper eine deutliche Beugung vor und zurück,
    verharrt kurz und richtet sich wieder auf. man bekommt plötzlich einen
    Stoß von der Seite oder von hinten. Manchmal nimmt man den Körper
    verdreht wahr, das Gesicht scheint zur Seite gedreht, aber wenn man
    die Augen öffnet, blickt man nach vorn. Die Hände erheben sich
    manchmal vom Schoß und werden steif in der Luft gehalten. Der Kiefer
    macht Kaubewegungen.
    Durchdringende Begeisterung (pharana piti) – Der Übende kann
    nur staunen über die eigenartigen, nie gekannten Erfahrungen, die er in
    diesem Körper macht. Er genießt angenehme, erfrischende Kühle, für
    die er keinen Vergleich findet. Manchmal möchte er sitzenbleiben und
    nie wieder aufstehen, er hat keinen Wunsch auch nur die Augen zu
    bewegen, zu zwinkern oder zu schlucken. Der ganze Körper juckt
    zeitweise sehr stark, dann wieder schauert eine ekstatische Welle
    prickelnden Gefühls von den Füßen zum Kopf, und umgekehrt.
    Manchmal tritt man in tiefen Frieden ein.
    3.Innere Ruhe (passaddhi) – Ein Gefühl angenehmer Kühle macht sich
    im Körper breit. Man fühlt sich erfrischt, leicht und geschmeidig, geistig
    und körperlich belastbar. Das Noten fällt leicht und man ist zufrieden mit
    der Meditation. Aggressionen werden besänftigt und man fühlt sich
    sediert wie vor dem Einschlafen. Das Körpergefühl bietet keine
    Extreme. Wer zu Ärger neigt, wird durch diese Geisteskraft friedlich und
    freundlich.
    4.Glücksgefühl (sukha) – Man fühlt sich entspannt, behaglich, und
    genießt die Meditation. Manche sagen, sie seien in ihrem ganzen
    Leben noch nie so glücklich gewesen, sie möchten ihren Freunden und
    Verwandten erzählen, wie gut es ihnen geht, oder sie sind dem Lehrer
    dankbar, der ihnen geholfen hat, dies zu erreichen. Manchmal bleibt
    nur reiner, klarer Geist. Dann soll man noten: ‘klar, klar.’
    5.Vertrauen (adhimokkha) – Der Übende hat starke Zuversicht,
    bewundert den Lehrer und möchte ihn oft sehen. Man muß
    noten: ‘vertrauen…,’ ‘hoch achten..’. Manche stellen sich vor, ihre Eltern
    und Freunde zur Meditation zu überreden. Sie müssen noten:
    ‘denken…, reden…’. Man ist entschlossen, umfassend weiter zu üben.
    6.Anstrengung (paggaha) – Selbst wenn es dem Übenden, trotz aller
    Ermutigung durch den Lehrer, anfangs schwerfiel, die Energie für die
    Praxis aufzubringen, ist er jetzt voller Tatendrang und meditiert
    gewissenhaft und fleißig. Man hat unerschöpfliche innerliche Kraft,
    sodaß die Übung nicht mehr ermüdet. Man ist entschlossen, bis zum
    Tode zu üben und steckt zuviel Energie in die Übung, ist aber nicht
    immer klarbewußt und verliert daher oft die Konzentration.
    7.Achtsamkeit (upatthana) – Man hat das Gefühl, alles noten zu
    können, die kleinsten Bewegungen werden beobachtet. Manche
    machen sich einen Sport daraus, die Objekte
    zu jagen, oder abzuschießen, sie möchten noch mehr erleben, um ihre
    Achtsamkeit schärfen zu können. Man genießt die Klarheit der
    Wahrnehmung und das deutliche Erkennen der drei Merkmale. Das
    Exzessive an dieser Achtsamkeit verführt dazu, daß man die
    Gegenwart nicht mehr notet und beginnt über die Vergangenheit
    nachzudenken.
    8.Wissen (nana) – Der Meditierende ist sich bewußt, daß er durch die
    Meditation ganz spezielles Wissen erworben hat. Vor allem die fünf
    Bündel des Anhaftens kennt er gründlich durch und durch. Vorher
    kamen ihm die drei Merkmale abstrakt und schwer faßbar vor, aber jetzt
    erkennt er ganz klar, daß die Anfangs-, die mittlere und die End-Phase
    aller Phänomene, die er notet, die drei Merkmale besitzen. Dieses
    Wissen führt oft zu Gedanken, sodaß man das gegenwärtige Objekt
    verliert, oder man beginnt, die Beobachtungen zu kommentieren statt
    sie zu noten.
    9.Gleichmut (upekkha) – Der Übende fühlt sich völlig losgelöst und
    unbeeinflußt, ohne die geringsten Sorgen und andere Belange.
    Man ist weder froh noch enttäuscht über die Erlebnisse; dieser
    Gleichmut führt aber zu allgemeinen Desinteresse, man notet nicht
    mehr, und der Geist fängt an, äußeren Objekten zu folgen. Oder der
    Geist wird gleichgültig und unachtsam, ohne an etwas zu denken. Dann
    wird das Heben/Senkenunklar.
    10.Anhaften (nikkanti) – Die neun bisher beschriebenen
    Phänomene – Licht, Begeisterung, Ruhe, Glück, Vertrauen, Energie,
    Achtsamkeit, Wissen, Gleichmut – werden zu Verzerrungen des
    Klarblicks wegen dieses zehnten: dem Anhaften, der Befriedigung, dem
    Genuß dieser Nebenerscheinungen der Entwicklung des Geistes. In
    sich selbst sind diese Geisteskräfte natürliche Merkmale des
    gesammelten Geistes und als solche förderlich für die weitere
    Entwicklung, aber aufgrund des Anhaftens mißversteht man die
    Erlebnisse und vergißt sie zu noten. Man glaubt, dies seien
    zuverlässige, dauerhafte Zustände und hält sie für den Gipfel der
    Entwicklung. Das Anhaften verdirbt ihre Art aber und macht sie zu
    Hindernissen.
    Vier Arten der Selbstvergessenheit
    Einige der Verzerrungen des Klarblicks können so stark werden, daß sie die
    Achtsamkeit überwältigen, sodaß man sich verliert. Es gibt vier Ursachen,
    wenn man in der Meditation die klare Bewußtheit verliert und sich selbst
    vergißt, drei davon sind Verzerrungen des Klarblicks.
    Wenn man die Erfahrung gemacht hat, sich in der Meditation zu verlieren,
    sodaß man nicht mehr weiß, wo man war oder was man erlebt hat, dann
    sollte man versuchen herauszufinden, woran das gelegen hat. Es kann zum
    Beispiel so vor sich gehen, daß man ‘heben/ senken’ eine lange Zeit notet,
    aber dann den Faden verliert und schlaftrunken da sitzt, weil Energie und
    Konzentration nicht ausgeglichen sind. Energie ist schwach, und
    Konzentration ist zu stark, bis man schließlich alles vergißt. Das zeigt, wie
    das Hindernis Trägheit (tinha-middha) die Achtsamkeit verdrängt.
    Was fast alle Meditierenden kennenlernen, ist Selbstvergessen durch
    Begeisterung (piti). Man notet ‘heben ’ und ‘ senken’ eine zeitlang
    kontinuierlich, und dann hat man einen plötzlichen Aussetzer, verliert sich
    momentan und zuckt zusammen. Diese Unterbrechung der
    Bewußtseinskontinuität (santati) wird verursacht von Begeisterung.
    Es kann auch sein, daß man sich sehr ruhig fühlt, kühle und reine
    Empfindungen den Körper durchziehen, als säße man auf einem Eisblock.
    Diese angenehme Kühle macht unaufmerksam, bis man sich selbst
    vergißt. Dann kommt man wieder zurück, notet weiter, aber verliert sich
    wieder. Das zeigt Vergessenheit aufgrund von Ruhe.
    Die letzte Art der Selbstvergessenheit geht auch von einem Gefühl der
    Gleichgültigkeit aus: Man ist nicht wirklich aufmerksam und ruhig, sondern
    läßt sich in das Gefühl sinken und wird geistig immer stumpfer, bis man fast
    ohnmächtig ist. Dann verliert man sich. Diese Art, die Bewußtheit zu
    verlieren, ist von Gleichmut (upekkha) verursacht.
    Diese vier Arten der Selbstvergessenheit sind gar nicht gut. Sie sind ein
    falscher, ein künstlicher Weg. Wenn der Meditierende solche Erlebnisse hat
    und stolz darauf ist, oder sie mit Befriedigung annimmt, wird er sich daran
    gewöhnen, solche Zustände immer wieder zu erleben. Er kann dann keine
    weiteren Fortschritte machen, und die wirkliche Überwindung des
    illusorischen Ego durch den edlen Pfad bleibt ihm versperrt.
    Zumindest istdies die Schuld des Lehrers. Der Lehrer ist nämlich verpflichtet,
    den Meditierenden genau aufzuklären, was er da erlebt, und was er tun muß,
    um das geistige Gleichgewicht herbeizuführen.
    Wenn der Lehrer ihm die Anweisung gibt, nicht an diesen Objekten
    anzuhaften, sie nicht festzuhalten, dann muß der Übende die Achtsamkeit auf
    die Gegenwart richten, sodaß er das Entstehen und Vergehen dieser
    Phänomene wahrnimmt. Solange man sich in der schwachen Phase des
    ‘Wissens vom Entstehen und Vergehen’ befindet, werden die Bilder,
    Körperempfindungen und Geisteszustände, die aus der Entfaltung
    meditativer Geisteskräfte resultieren, nur langsam verschwinden, wenn man
    sie notet; sie verblassen allmählich oder werden nach und nach weniger.
    Aber wenn der Klarblick das ‘starke Wissen vom Entstehen und
    Vergehen’ erreicht hat, und notet irgendein Phänomen, dann verschwindet es
    sofort, manchmal zerfallen die Erlebnisse förmlich aufgrund der Anwendung
    von Achtsamkeit, oder sie lösen sich in nichts auf. Dann wird das Entstehen
    und Vergehen sehr deutlich und umfassend erkannt. Es ist echter, reiner
    Klarblick, der in den folgenden Schritten des Klarblickwissens weiter vertieft
    und verfeinert wird.
    DER KLARBLICK-PFAD
    Die starken Klarblickschritte
    Die Entwicklung in den ersten drei Klarblickwissen und dem schwachen
    ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ wird der ‘vorbereitende Pfad’ genannt,
    weil die Objekte der Meditation noch nicht gründlich erforscht und verstanden
    worden sind. Wenn man anfängt, Achtsamkeit zu üben, erkennt man nur, daß
    der Geist undiszipliniert, chaotisch und auf die Wirklichkeit nicht
    vorbereitet ist. Es gibt viele Unterbrechungen der Achtsamkeit, man träumt oft
    und merkt es erst später. Die Objekte, die man betrachten soll, erscheinen
    zumeist unklar, formlos, ungreifbar. Deshalb beginnt der Geist, gewohnte
    Vorstellungen auf die Objekte zu projizieren und konzentriert sich mehr
    darauf als auf die eigentlichen Empfindungen.
    Wenn die Konzentration besser wird, kann man das gegenwärtige Objekt
    manchmal unbefangen so sehen wie es ist; man beachtet nur die erlebten
    Merkmale des Hebens und Senkens der Bauchdecke, oder der Bewegung
    der Füße, ohne eine Vorstellung der anatomischen Form dieser Objekte zu
    visualisieren. Dann taucht das erste Klarblickwissen auf. Es kann die realen
    materiellen Phänomene, die man erlebt, anhand ihrer spezifischen Merkmale
    unterscheiden und stellt auch fest, daß Geisteszustände mit eigenen
    Merkmalen die Abfolge der körperlichen Objekte begleiten. Der Meditierende
    kann in der Betrachtung aber noch nicht erkennen, wie die Erlebnisse
    zustandekommen.
    Das zweite Wissen eröffnet dem Übenden den Einblick in die bedingte
    Entstehung von Geist und Körper. Die Achtsamkeit kann jetzt länger die
    wechselnden Objekte anhand ihrer besonderen Merkmale erkennen. Die drei
    allgemeinen Merkmale aller bedingten Phänomene werden jedoch noch nicht
    sehr klar erfaßt, weil man vorwiegend damit beschäftigt ist, die
    unterschiedlichen Elemente des Erlebens in der Gegenwart korrekt zu
    identifizieren.
    Erst wenn das dritte Wissen sich bemerkbar macht, gewinnt man ein
    Verständnis für die allgemeinen Merkmale von Geist und Körper. Jedesmal,
    wenn die Achtsamkeit das gegenwärtige Objekt an seiner Eigenart erkennt,
    stellt man fest, daß es vergänglich ist, daß es auftaucht, eine Reaktion im
    Geist auslöst und dann sogleich verschwindet, bevor irgendetwas daraus
    werden kann. Das ist nichts, was man sich wünschen würde, es ist
    unbefriedigend. Aber die Elemente von Geist und Körper folgen ihrer Natur
    und entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen, die nicht zu
    kontrollieren sind. Sie haben keine echte Substanz, sind flüchtige
    Erscheinungen, die dem Übenden die Vorstellung von Leere nahebringen.
    Das ist das Merkmal ‘kein Selbst.’
    Die drei Merkmale werden also erst im Laufe der Übung als reale Aspekte
    des Erlebens entdeckt, wenn man das gegenwärtige Objekt mit mehr
    Kontinuität noten kann. Das Verständnis bleibt aber zunächst auf die
    materiellen Objekte beschränkt. Geisteszustände, Emotionen und besonders
    die meditativen Geisteskräfte, die in der Übung entstehen, werden noch nicht
    so distanziert betrachtet, daß man sie als unpersönliche Erzeugnisse der
    Natur sehen kann. Man identifiziert sich mit ihnen, haftet an ihnen in dem
    Glauben, sie seien die eigene Persönlichkeit und man brauche sie deshalb
    nicht zu noten.
    Erst wenn in der Übung die Verzerrungen des Klarblicks durch achtsames
    Noten abgelegt werden, können auch diese subtilen Geisteszustände ganz
    unpersönlich betrachtet werden wie alles andere: als bedingte Phänomene,
    die nur die allgemeinen Merkmale erkennen lassen.
    Beginnend mit dem starken ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen,’ werden
    die allgemeinen Merkmale der bedingten Phänomene kontinuierlich zum
    Objekt der Konzentration. Jedesmal, wenn man etwas notet, macht der Geist
    den Versuch, dieses Phänomen vollständig zu verstehen, und die
    Konzentration entwickelt sich durch vier Stufen:
    Vorbereitung (parikamma). Achtsamkeit identifiziert die spezifischen
    Merkmale (sabhava lakkhana) des Objekts und benennt es.
    Zugang (upacara). Anhand der spezifischen Merkmale beobachtet
    Achtsamkeit die absolute Wirklichkeit des gegenwärtigen Objekts und wird
    dadurch der drei allgemeinen Merkmale (samanna lakkhana) gewahr;
    Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und Substanzlosigkeit.
    Aufstieg (anuloma). Die Wahrnehmung der drei Merkmale wird zum
    Sprungbrett, um eine lebhafte Intuition der vier edlen Wahrheiten zu
    erreichen. Um diese Funktion zu erfüllen, wird aber volle Konzentration
    gebraucht.
    Abstieg (patiloma). Solange die Konzentration des Meditierenden noch keine
    Vertiefungsstärke erreicht hat, bleibt es bei dem Versuch der Durchdringung
    der Wahrheiten, und der Geist fällt zurück auf das unbewußte Kontinuum.
    Nachdem die Verzerrungen des Klarblicks überwunden sind, kommen die
    geistigen Kräfte (indriya) ins Gleichgewicht. Der weitere Fortschritt durch die
    starken Klarblickwissen beruht ausschließlich auf der kontinuierlichen
    Arbeit an der Vervollkommnung der Erkenntnis, die mit dem vierten Wissen
    einsetzt. Während der ‘vorbereitende Pfad’ noch Schwankungen im
    Verständnis der Objekte zeigt, und der Meditierende manchmal unsicher wird,
    was das Ziel der Meditation betrifft, so geht es auf dem ‘Pfad des
    Klarblicks’ darum, durch die unabläßige Bewahrung des gegenwärtigen
    Objekts die latenten Neigungen des Geistes und die damit verbundenen
    konditionierten Verhaltensmuster zu schwächen, bis sie endgültig ihre Macht
    verlieren und den Weg freigeben für die Verwirklichung von Nibbana. Wenn
    die Konzentration volle Stärke erreicht, entwickelt sie sich im Moment des
    Notens nach Vorbereitung, Zugang und Aufstieg weiter zur Vertiefung mit den
    Phasen Reifung, Pfad und Frucht (gotrabhu, magga, phala).
    5.) Wissen der Auflösung
    Wenn der Meditierende das Gleichgewicht der Geisteskräfte gefunden hat,
    kann Achtsamkeit das gegenwärtige Objekt mit größerer Genauigkeit
    erfassen und nimmt das ‘Entstehen und Vergehen’ von Geist und Körper
    wahr, wie es wirklich ist. Die drei Merkmale zeigen sich in allen Phänomenen.
    Die Meditation schreitet ungehindert fort, ohne daß der Übende irgendeiner
    Schwierigkeit begegnet.
    Danach beschleunigt sich das noten auf einmal. Sogar das Heben und
    Senken der Bauchdecke entsteht und vergeht schneller als zuvor. Später
    realisiert man nur noch das Verschwinden aller Objekte, und die
    Geschwindigkeit mit der die einzelnen Eindrücke sich auflösen. Manchmal
    muß man ‘wissen, wissen’ noten, um sich nicht zu verheddern. Manche Leute
    finden, daß die Objekte nicht mehr klar sind, oder daß sie in dem Moment
    verschwinden, wo sie erlebt werden: die Objekte verschwinden zusammen
    mit dem notenden Geist. Während der Gehmeditation nimmt diese Erfahrung
    die Form jäher, ruckartiger Erkenntnis an: Kaum hat man genotet, da
    verschwinden Geist und Körper, als wären sie von jemandem weggenommen
    worden. Im Sitzen fühlt man sich bisweilen leer; man weiß nicht recht, was
    man überhaupt noten soll. Man fühlt sich entmutigt, weildie Objekte nicht
    mehr so klar sind wie früher. Kaum hat man etwas genotet, da löst es sich in
    nichts auf. Es kommt einem schwierig vor, diese undeutlichen Eindrücke zu
    noten, die mit halsbrecherischem Tempo im Nichts verschwinden, oder man
    kann sie nicht mit der gewohnten Sicherheit noten, weil das, was man notet,
    nur noch anhand des Verschwindens bemerkt wird. Dann hat der Übende
    das ‘Wissen der Auflösung’ (bhanga-nana)erreicht.
    6.) Wissen der Furcht
    Wenn man den sechsten Klarblickschritt, ‘Wissen der Furcht’ (bhayanana) erreicht hat, hängen die Objekte und die notenden Geisteszustände
    noch enger zusammen und verlöschen immer gemeinsam. Weil die Objekte
    und auch der Geist immer wieder verschwinden, bekommt man Angst. Diese
    Furcht ist anders als die Furcht vor gewalttätigen Menschen, wilden Tieren
    oder schrecklichen Waffen. Man fürchtet sich und kann nicht
    sagen, wovor man sich eigentlich fürchtet. Manche Leute noten die GeistKörper-Verbindung und sehen sie jedesmal verschwinden, und die Angst wird
    von Mal zu Mal stärker. Bei anderen wird die Konzentration sehr stark;
    plötzlich ist der Körper weg und sie haben Angst. Die Eigenart dieses
    Klarblickwissens entsteht aus der Wahrnehmung der Auflösung, die mit dem
    fünften Wissen einsetzt.
    7.) Wissen des Elends
    Wenn dieses Wissen auftaucht, hat der Übende den Eindruck, daß alles, was
    er notet, elend, erbärmlich und ungenügend ist. Auch das Heben und Senken
    der Bauchdecke werden als völlig unzureichend und elend gesehen, als eine
    bedrückende Last, als krank oder zwanghaft. Man hat das Gefühl, es wäre
    besser, es gäbe nichts mehr zu noten. Die Objekte der sechs Sinne und alles
    Gestaltete kommen einem miserabel und wertlos vor. Dies istdas ‘Wissen
    des Elends’ (adinava-nana).
    8.) Wissen des Überdrußes
    Manche Übende sagen, sie könnten gut noten, aber sie fühlen sich
    verzweifelt, erschöpft, als wären sie lustlos bei der Sache. Obwohl sie weiter
    meditieren, fühlen sie sich gar nicht wohl. Manche betrachten alles, was sie
    sehen, als abstoßend, bei anderen entsteht beim Meditieren ein Gefühl von
    Trostlosigkeit. Aber sie haben nicht einmal den Wunsch, mit jemanden zu
    sprechen. Sie bleiben nur in ihrem Zimmer. Einige reflektieren über die
    verschiedenen Ebenen der Wiedergeburt und finden nirgendwo eine Zuflucht.
    Selbst eine Existenz als Deva oder als Brahma finden sie schrecklich
    langweilig und unattraktiv. Der Überdruß in der Betrachtung von Geist-undKörper entwickelt sich ganz allmählich beginnend mit dem vierten Wissen, bis
    man dieses achte Wissen erreicht: ‘Wissen, das Geist und Körper mit
    Überdruß betrachtet’ (nibbida-nana).
    9.) Wissen des Verlangens nach Befreiung
    Wenn der Meditierende die Übung fortsetzt, wird er Moskitostiche und
    Ameisenbisse spüren, oder kleine Insekten scheinen auf dem Körper zu
    krabbeln. Man empfindet wieder häufiger Juckreiz an vielen Stellen. Manche
    können nicht mehr ruhig sitzen. Sie werden ganz unruhig. Zuerst wollen sie
    sitzen, aber dann finden sie das Sitzen unerträglich und stehen wieder
    auf, als wollten sie weggehen. Sie finden keine Ruhe. Einige denken, daß es
    in der ganzen Welt keinen guten Ort gibt und nirgends etwas Gutes zu finden
    sei. Der Geist hat nur einen Wunsch: Still werden, zur Ruhe kommen, um das
    Verlöschen (nibbana) zu erreichen.
    Manche Leute haben genug von allem und möchten nicht mehr noten. Sie
    packen ihre Sachen zusammen und wollen aufhören. Die bedingten
    Phänomene zerfallen andauernd zu nichts, jedesmal, wenn man die
    Achtsamkeit auf sie richtet. Also findet man nichts Erfreuliches mehr, nichts,
    was man genießen oder was einen zufrieden stellen könnte, und nichts, was
    sich lohnen würde, daran zu haften. Der Meditierende möchte sich befreien
    von den Gestaltungen von Körper und Geist, er möchte ihnen
    entkommen. Wissen mit diesen Anzeichen heißt ‘Wissen des Verlangens
    nach Befreiung’ (muncitu-kamyata-nana).
    10.) Wissen der großen Bemühung
    Der Meditierende stellt fest, daß die Objekte, die er notet, immer
    verschwinden. Sie lösen sich so rasch auf, daß er nichts Dauerndes,
    Zuverläßiges oder Haltbares finden kann. Er findet nur Phänomene, die mit
    den drei Merkmalen ausgestattet sind: vergänglich, bedrückend und
    wesenlos. Diese drei Merkmale treten immer deutlicher zutage und
    beeindrucken die Achtsamkeit viel mehr als alle spezifischen Merkmale der
    individuellen Erlebnisse. In der Sitzmeditation fühlen manche, daß die
    Hände oder Füße ungewöhnlich schwer sind und gleichzeitig vibrieren, als
    wären sie elektrisch geladen.
    Manche Leute haben juckende Empfindungen. Später dann sind die Hände,
    die Füße oder der Körper verspannt und schwer. Einige hören klagende
    Geräusche im Ohr, als würde der Wind durch eine Öffnung heulen. Das
    Geräusch stört sie; es ist sehr unangenehm und sie wünschen, ihm zu
    entgehen. Heben und Senken sind gut zu noten, und man sieht sie Moment
    für Moment auftauchen und verschwinden. Manchmal hat man ein Gefühl der
    Brustkorbenge. Das kann soweit gehen, daß der Atem behindert wird. Dieses
    Wissen bildet den Ausgangspunkt für die höheren Wissensstufen, die mit
    dem überweltlichen Pfad verbunden sind. Es ist das ‘Wissen der Großen
    Bemühung’ (patisankha-nana), oder der wiederholten Betrachtung, um das
    Ziel des geistigen Weges zu erreichen, Nibbana, das Element der
    Wirklichkeit, das die Flammen des Leidens löschen kann.
    11.) Wissen des Gleichmuts vor Gebilden
    Der Übende wird sagen, daß er nicht weiß, ob seine Meditation gut
    läuft oder nicht. Dabei macht er in Wahrheit täglich Fortschritte. Das ist aber
    kein Wiederspruch, denn auf der Basis eines starken neutralen Gefühls
    (adukkham-asukha-vedana), wie es sich im elften Wissen entwickelt, trifft der
    Meditierende keine Werturteile mehr. Obwohl er nicht sagen würde, daß es
    schlecht läuft, heißt das nicht, daß er die Meditation gut findet. Früher hatte er
    die Meditation immer als gut oder schlecht bezeichnet – und auch empfunden
    – aber jetzt weiß er selbst nicht mehr, ob sie gut oder schlecht ist. Und
    das ist ein sicheres Anzeichen, daß er wirklich das elfte Wissen erreicht hat.
    In der Meditation fühlt man sich leichter und wendiger, man notet zügiger und
    direkter, intelligenter als vorher. Im Sitzen und im Liegen kann man die
    Betrachtung in entspannter Verfassung ausführen, ohne sich anzustrengen;
    wie ein guter Fahrer in einem guten Wagen auf guter Straße.
    Manche sagen, sie können erstaunlich lange sitzen, ohne die geringsten
    Schmerzgefühle oder andere Belastungen. Egal, welche Sitzhaltung sie auch
    einnehmen, sie fühlen sich darin wohl. Das Noten geht auch problemlos –
    synchron mit den aufsteigenden Erlebnissen. Sie brauchen den Geist nicht
    mühsam zu dirigieren, sondern richten einfach die Achtsamkeit auf das
    gegenwärtige Objekt, und alles Weitere kann für sich selbst sorgen.
    In dieser Phase der Entwicklung denkt der Geist nicht mehr. Vielleicht möchte
    der Meditierende über etwas nachdenken, aber der Geist fängt nicht damit
    an, sondern bleibt weiter beim Heben und Senken der Bauchdecke, und geht
    nicht mehr von dort weg. Die auftauchenden Absichten werden mit Gleichmut
    zur Kenntnis genommen und verlöschen wie alles andere ohne Wellen zu
    schlagen, ohne Wirkung zu zeigen. Dann muß der Übende manches Mal mit
    Weisheit entscheiden, was er zu tun hat, und muß die Absicht durch
    bewußten Willensentschluß gültig machen, dann wird er alles Nötige zur
    richtigen Zeit auch tun.
    In früheren Wissensschritten bewegte sich der Geist oft im Körper umher und
    notete Berührungsobjekte, die er dort fand; das ist jetzt vorbei. Der Geist
    bleibt beim Heben/Senken, er vermißt die Vielfalt nicht und ist nicht neugierig
    auf das gegenwärtige Objekt. ‘Heben’ und ‘senken ’ werden unterdessen
    allmählich immer feiner, gleichmäßiger, wie gut gekneteter Teig. Aber egal,
    wie fein die Bewegung auch wird, man kann sie immer gut wahrnehmen und
    noten. Das ist die Praxis des echten ‘Mittleren Weges.’ Man nennt
    sie ‘ Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ (sankharupekkha-nana).
    Sechs Eigenschaften des Gleichmuts vor Gebilden (sankharupekkha)
    1.Abwesenheit von Furcht, Erwartung, Überschwang – in Bezug auf alle
    Objekte von Geist und Körper.
    2.Abwesenheit von Übereifer und Anstrengung.
    3.Abwesenheit von Schwierigkeiten wie Schmerz.
    4.Abwesenheit von Haltungswechseln.
    5.Abwesenheit von spontanen Objektwechseln.
    6.Zunehmende Feinheit – von Objekt und notendem Geist.
    Tauchen diese Eigenschaften auf, wenn der Übende in gerader Folge durch
    die aufsteigenden Schritte des Klarblicks geübt hat – angefangen vom
    ‘Analytischen Wissen von Geist und Körper’ über das starke ‘Wissen vom
    Enstehen und Vergehen’ – dann ist es sicher, daß er jetzt das ‘Wissen des
    Gleichmuts vor Gebilden’ (sankharupekkha-nana) erreicht hat.
    Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ zum ersten Mal
    auftaucht, sind diese Eigenschaften aber noch nicht hervorstechend. Man
    muß es pflegen und entwickeln, bis der Gleichmut (upekkha) stark, fest und
    unerschütterlich wird. Da die Stärke der individuellen meditativen Entwicklung
    hier maßgeblich wird, kann das für manche Leute viel Zeit beanspruchen und
    beharrliche Bemühung bedeuten. Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts’ schnell
    stark wird, dann hat es diese Stärke vom starken vierten Wissen. Da werden
    die drei allgemeinen Merkmale – vergänglich, leidhaft, kein Selbst – zum
    führenden Objekt der Konzentration. Wurden sie klar und stark aufgefaßt,
    dann geht auch der Aufstieg durch die starken Klarblickwissen rasch und
    deutlich, und der Gleichmut festigt sich bald, nachdem er aufgetaucht ist.
    Wenn der Meditierende das vierte Wissen mit weniger Schub – also mit
    weniger ausgeprägter Auffassung der drei Merkmale – erreicht hat, treten
    auch die starken Klarblickwissen weniger deutlicher auf. Einzelne sind für den
    Meditierenden nicht klar auf die Wahrnehmung der drei Merkmale
    zurückzuführen. Wenn man dann den ‘Gleichmut vor Gebilden’ erreicht, wird
    die Konzentration nur wenige Stunden stark bleiben. Man verliert sie immer
    wieder und hat Erlebnisse des neunten und zehnten Wissens. Dann muß
    man mit Beharrlichkeit die Konzentration aufbauen, indem man diese
    Erlebnisse richtig notet. Dadurch wird man Experte in den höheren Stufen
    des Klarblickpfades und im Eintreten in den Gleichmut und entwickelt so
    die Stärke der Konzentration, bis man den Gleichmut nicht mehr verliert. Dies
    kann man verdeutlichen durch den Vergleich mit der Krähe im Ausguck –
    In früherer Zeit nahm der Kapitän eines Schiffs immer eine Krähe im Käfig
    mit, wenn er auf See ging. Damals war der Kompaß nämlich noch nicht
    erfunden. Auf hoher See, außer Sicht des Landes, mußte man sich nach
    Sonne, Mond und Sternen richten.
    Wenn dann ein Sturm aufkam, und der Himmel hing bedeckt mit dräuenden
    Wolken und regenverhangen über dem Schiff, das in der windgepeitschten
    See rollte, dann gab es keine Navigationshilfen mehr. Das Schiff lief Gefahr,
    den Kurs zu verlieren, und die Mannschaft wußte nicht, wie sie den Kurs
    halten sollte. Unter solchen Witterungsbedingungen nahm der Kapitän –
    wollte er herausfinden, in welcher lag – die Krähe aus ihrem Käfig heraus
    und ließ sie fliegen.
    Wenn die Krähe frei war, flog sie zuerst auf den Mast und hockte sich auf den
    Mastkorb, um von da Ausschau nach Land zu halten. Wenn sie kein Land
    sehen konnte, flog sie vom Ausguck hoch in die Luft, um weiter sehen zu
    können. Wenn sie immer noch kein Land sah, ließ sie sich wieder auf dem
    Mastkorb nieder, um zu rasten. Später nahm sie ihre ganze Kraft zusammen,
    stieg noch höher auf und prüfte die Richtungen erneut. Konnte sie auch jetzt
    noch sehen, kehrte sie wieder zum Ausguck zurück. Das wiederholte
    sich, bis sie entdeckte. Dann flog sie sofort und geradewegs darauf zu, und
    der Kapitän konnte ihr mit dem Schiff folgen.
    Das schwache ‘Wissen des Gleichmuts’ ist wie die Krähe im Ausguck. Wenn
    man sich in der Übung angestrengt hat, bis das ‘Wissen des
    Gleichmuts’ auftaucht, aber es ist nicht stark genug, um sich in wenigen
    Stunden bis zur Vertiefungskonzentration zu festigen, dann geht das Wissen
    immer hin und her, vom ‘Wissen des Verlangens nach Befreiung’ zum
    ‘Wissen der großen Bemühung’ und dem schwachen ‘Wissen des
    Gleichmuts.’ Der Grund liegt in der schwächeren Kraft der Intuition, mit der
    die drei Merkmale beim Noten jedesmal von den spezifischen Merkmalen
    abgeleitet werden. Diese Schwäche besteht seit dem vierten Wissen und
    bildet jetzt die letzte Stufe der Hindernisse, weil die Konzentration nicht lange
    genug anhält, um die nötige Stärke zu bekommen für den edlen Pfad.
    Möglicherweise fehlt dem Übenden auch die Fähigkeit zu weiterem
    Fortschritt, oder er mag gehindert sein durch ein besonderes kamma, das
    erst geklärt werden muß.
    Im allgemeinen entstehen die Hindernisse dieser Stufe durch Gedanken und
    Stimmungen, Objekte also, die auf dem Gebiet der ‘Betrachtung des Geistes’
    (cittanupassana) liegen: unvernünftige Sorgen, Aufregung und Vorahnungen
    können den Verlust des Gleichmuts bedeuten. Daher muß der Meditierende
    den folgenden Objekten besondere Aufmerksamkeit zuwenden –
    1.Körperliche Schmerzen – Man wird feststellen, daß auch stechende,
    scherende Schmerzen, die bisweilen auftreten, verschwinden, wenn sie
    entschieden genotet werden.
    2.Geistiges Gefühl – Glück, Wonne, Erwartung, Enttäuschung, und
    Ähnliches. Da diese Gefühle Aufregung erzeugen, wenn sie nicht
    genotet werden, muß man sie kräftig noten, wenn man sie erlebt, um
    die wahre Natur des geistigen Gefühls zu erkennen.
    Manchmal fühlt man sich sehr losgelöst und beginnt dann, sich Sorgen
    zu machen. Das kommt, weil man nicht daran gewöhnt ist, neutrales
    Gefühl so klar und deutlich zu erleben. Jeder Wechsel der Gefühle muß
    sofort anerkannt und genotet werden.
    3.Gedanken – Urteile und Schlußfolgerungen, die in der Betrachtung
    auftreten können. Diese sind nur geistige Objekte, die entstehen und
    vergehen, sie haben keine Substanz und helfen nicht, die Wirklichkeit
    zu sehen. Wenn man sie nicht notet, denkt man: “Das bin ich, der
    denkt.” Dann verfängt man sich in den nachfolgenden Stimmungen.
    Wenn der Übende die Achtsamkeit gewissenhaft auf alle geistigen Objekte
    anwendet, dann schafft er dadurch eine breite Basis für Gleichmut, und er
    wird dann verstehen, daß alle Gedanken durch Bedingungen hervorgerufen
    werden, sie sind nicht wichtig und haben nichts mit ihm zu tun. Dann wird der
    Geist aufhören, auf die verschiedenen Gedanken einzugehen, er bleibt von
    ihnen unberührt und zieht sich darauf zurück, Aufstieg und Zerfall aller
    Objekte in der Gegenwart zu bezeugen, ohne Unterscheidungen zu treffen. In
    dieser Weise werden die sechs Eigenschaften des ‘Gleichmuts vor
    Gebilden’ offenbar.
    DER ÜBERWELTLICHE PFAD
    Klarblick der zum Entrinnen führt
    Wenn das ‘Wissen des Gleichmuts vor Gebilden’ stark und anhaltend wird,
    erreicht der Meditierende den Höhepunkt des Klarblickpfades, den ‘Klarblick,
    der zum Entrinnen führt’ (vutthana-gamini-vipassana). An diesem Punkt der
    Entwicklung wird eines der drei allgemeinen Merkmale – Vergänglichkeit, ,
    nicht-Selbst – zum alleinigen Brennpunkt der Konzentration. Es wird mit
    umfassender, von Mal zu Mal sich verstärkender Klarheit genotet und führt zu
    einem tiefen, unmittelbaren Verstehen der Natur bedingter Phänomene
    (sankharadhamma).
    Erst jetzt sieht man wirklich, wie man den bedingten Phänomenen entgehen
    kann. Man versteht der Wahrheit entsprechend den Weg, den Buddha gelehrt
    hat, und nachdem die Unklarheit sich aufgelöst hat, wird der Geist den als
    richtig erkannten Weg auch unverzüglich gehen. Dies ist der notwendige
    Auslöser für den unmittelbar folgenden Bewußtseinsprozeß des edlen
    Pfades, der die fünf restlichen Wissensschritte in sich vereinigt. Der
    Pfadprozeß wird bezeichnet nach demjenigen der drei Merkmale, das zu
    seinem Auftauchen geführt hat –
    1.Wenn der Geist ‘Vergänglichkeit’ betrachtet, entwickelt er die
    Vorstellung ‘kein Bild’ und erreicht die ‘Bildlose Befreiung.’
    2.Wenn der Geist ‘Leidhaftigkeit’ betrachtet, entwickelt er die
    Vorstellung ‘kein Verlangen’ und erreicht die ‘Wunschlose Befreiung.’
    3.Wenn der Geist ‘Substanzlosigkeit’ betrachtet, entwickelt er die
    Vorstellung ‘kein Selbst’ und erreicht die ‘Leere Befreiung.’
    12.) Wissen der Anpassung
    Das ‘Wissen der Anpassung’ (anuloma-nana) ist der zwölfte Schritt des
    Klarblickwissens. Es ist der letzte Akt des Bemerkens im ‘Klarblick, der zum
    Entrinnen führt’ und zugleich der erste Wissensschritt im Bewußtseinsprozeß
    des edlen überweltlichen Pfades. Dieses Wissen entwickelt die an
    überweltliche Vertiefung angrenzende Sammlung (lokuttara upacarasamadhi) der momentanen Konzentration und hat als Objekt das Entstehen
    und Vergehen der fünf Bündel des Anhaftens.
    Das ‘Wissen der Anpassung’ betrachtet die Wirklichkeit in Übereinstimmung
    mit den vier edlen Wahrheiten. Die fünf Bündel des Anhaftens sind die beiden
    ersten Wahrheiten: Das Leiden und das Verlangen danach, welches den
    Geist darin gefangen hält. Die Wahrheit des Verlöschens steht diesem
    Wissen durch die momentane Auflösung von Körper und Geist deutlich vor
    Augen, ohne aber als Objekt erfasst zu werden. Der Weg zu dieser
    Erfassung des Verlöschens in Abwesenheit der fünf Bündel ist der Weg der
    Entwicklung des Klarblickwissens, der hier kulminiert.
    Das Bewußtsein, das von den sechs Sinnen herrührt, wird durch Kontakt
    zwischen Sinnesorganen und ihren Objekten provoziert, aber unsere
    Bewußtheit entwickelt sich vom Punkt des Kontaktes an in mehreren
    Schritten, bevor der Akt des Wissens vollständig abgeschlossen ist. Dann
    sinkt der Geist auf das unbewußte Lebenskontinuum zurück. Kann dieser
    Prozeß aus irgendwelchen Gründen nicht vollständig ablaufen, dann haben
    wir kein klares Bewußtsein eines Objekts und wissen deshalb gar nichts von
    diesem Kontakt.
    Auch in jedem Bewußtseinsprozeß, der von Achtsamkeit begleitet wird, also
    jedesmal, wenn man das gegenwärtige Objekt notet, entwickelt sich die
    Bewußtheit in mehreren Schritten, bevor der Akt des Wissens abgeschlossen
    ist. Wie man das gegenwärtige Objekt mit Achtsamkeit wahrnimmt, ist davon
    abhängig, wie stark seine charakteristischen Merkmale erfasst werden. Die
    befinden sich auf der Ebene absoluter Realität. Sie wahrzunehmen bedeutet,
    die gewohnten Vorstellungen von ‘Dingen’ und ‘Wesen’ als Objekte der
    Achtsamkeit zu verlieren und sie einzutauschen gegen die formlosen, ständig
    in Veränderung befindlichen Elemente der bloßen Sinneserlebnisse. Die
    unmittelbaren Erlebnisse sind aber das ‘vorbereitende Objekt’ (parikamma
    nimitta) für momentane Konzentration.
    Wenn nach dem Beginn der Meditation die ‘Reinheit des Geistes’ eintritt,
    kann man die beiden Phasen der Bewegung des Hauptobjekts deutlich
    anhand der Körperempfindung unterscheiden. Die festumrissene Begrenzung
    der Objekte fordert die Achtsamkeit heraus, zu erforschen, was an den
    Grenzen geschieht und was zwischen den Grenzen liegt. An diesem Punkt
    der Entwicklung beginnt der ‘vorbereitende Pfad’ mit den ersten drei
    Klarblickwissen, die das jeweils anwesende Objekt in seinen Aspekten
    ‘Entstehen,’ ‘Dauer,’ und ‘Auflösung’ untersuchen.
    Der vierte Schritt des Klarblicks bringt eine Veränderung des Klarblickobjekts
    mit sich, indem man die sich ständig ablösenden Sinneseindrücke nicht mehr
    nur anhand ihrer eigenen Merkmale betrachtet, sondern sie jetzt als
    Repräsentanten der drei allgemeinen Merkmale auffasst. Diese sind das
    ‘aufgefasste Bild’ (uggaha nimitta), das momentane Konzentration sich
    aneignet, wenn sie die Stärke der weltlichen angrenzenden Sammlung
    (upacara samadhi) aus der Konzentrationsübung erreicht hat. Es beginnt hier
    die Reihe der starken Klarblickwissen, die alle anhand der gegenwärtig
    anwesenden Geist-Körper-Verbindung von Moment zu Moment immer nur die
    drei Merkmale als Objekte des Wissens haben. Von diesem Punkt der
    Entwicklung an treten in jedem meditativ geprägten Bewußtseinsprozeß –
    jedesmal, wenn man notet – die vier Funktionen der Konzentration auf:
    ‘Vorbereitung, Zugang, Aufstieg, Abstieg’ (parikamma, upacara, anuloma,
    patiloma). Der anuloma-Moment (Aufstieg, Anpassung) hat die Funktion, die
    drei Merkmale zu erfassen. ‘Abstieg’ findet statt, weil die Anpassung des
    Wissens an die vier edlen Wahrheiten nicht stark genug ist,
    Vertiefungskonzentration (appana samadhi) zu erzeugen.
    Im Verlauf des Fortschritts durch die starken Klarblickwissen wird das
    Verständnis und die Wahrnehmung der drei Merkmale geschärft, und der
    ‘Aufstieg’-Moment wird immer stärker. Wenn der Meditierende das ‘Wissen
    des Gleichmuts’ erreicht hat und sich beständig bemüht, den Gleichmut zu
    vervollkommnen, dann, so heißt es, wird sein Vertrauen furchtlos, seine
    Energie unerschöpflich, seine Achtsamkeit fest eingerichtet, seine
    Konzentration geradlinig und sein Gleichmut unerschütterlich. Dann wird ihm
    bewußt werden, daß das Pfadwissen sich anbahnt, und sein ‘Wissen des
    Gleichmuts’ betrachtet alle Gebilde als vergänglich, leidhaft und nicht Selbst.
    Jetzt geht der Bewußtseinsprozeß weiter bis zur Vertiefung: Nach
    ‘Vorbereitung’ und ‘Zugang’ folgen ‘Anpassung’ und ‘Reife’ (parikamma,
    upacara, anuloma, gotrabhu). Die ersten drei Bewußtseinsmomente heißen
    zusammengenommen ‘Wissen der Anpassung.’
    Der Vorgang, der hier beschrieben wurde, ist die Entwicklung des ‘Aufstieg’ –
    Moments in der Übung des reinen Klarblicks (suddha-vipassana-yana).
    Es ist eine andere Geschichte, wenn der Meditierende zuvor schon weltliche
    Konzentrationsübungen (samatha) betrieben und Versenkungsstufen (lokiyajhana) erreicht hat. Dann ist die Funktion ‘Anpassung’ – die fortlaufend
    geübte Konzentration zu sammeln und umzuformen, bis sie stark genug ist,
    Vertiefung zu erzeugen – schon gut entwickelt und kraftvoll. Die
    Konzentrationsübungen passen die Konzentration an die feinstofflichen und
    unkörperlichen Objekte der weltlichen Versenkungsstufen an. Wenn so
    jemand seine geistige Kraft in der Klarblickübung einsetzt, ist seine
    Entwicklung viel rascher, besonders wenn er die vierte feinkörperliche
    Vertiefung beherrscht. Er übt auf der Basis von Versenkung, die er kurzfristig
    betritt, und wenn er sie wieder verläßt, betrachtet er die Grundlagen der
    Achtsamkeit, um momentane Konzentration auszubilden, denn die Aufgabe in
    der Klarblickübung besteht darin, von Moment zu Moment die wahre Natur
    von Körper und Geist zu betrachten.
    Der Versenkungserfahrene besitzt Reinheit des Geistes vom Beginn der
    Übung an, seine Hindernisse sind völlig unter Kontrolle, und er hat keine
    Schwierigkeiten, das ‘vorbereitende Bild’ und das ‘erworbene Bild’ der
    Klarblickmeditation zu erfassen und das starke ‘Wissen vom Entstehen und
    Vergehen’ zu erreichen. Er wird nicht von den Verzerrungen behindert, denn
    er kennt sich aus mit verschiedenen geistigen Objekten (nimitta) und weiß zu
    verhindern, daß er sich an die falschen hängt. Er hat Kontrolle über seine
    Konzentration und kann sie auf das korrekte ‘Bild’ einstellen – die drei
    Merkmale. So geht er rasch durch die Klarblickwissen, und der ‘Aufstieg’ –
    Moment sammelt schnell die für überweltliche
    Vertiefungskonzentration nötige Stärke an.
    Wie dem auch sei: Unabhängig davon, ob man nun dem Pfad reinen
    Klarblicks folgt, oder Klarblick auf der Basis von Versenkungszuständen übt
    (samatha-vipassana), wird der Pfadprozeß eingeleitet, sobald der ‘Aufstieg’-
    Moment der Konzentration die minimal notwendige Stärke hat, um den
    Wechsel des Objekts zu bewirken, der die Erleuchtung bedeutet: von der
    Betrachtung der drei Merkmale, dem ‘erworbenen Bild,’ zum Erfassen des
    ‘Gegenbildes ’ für Vertiefungskonzentration in der Klarblickübung: Nibbana,
    das Element der Wirklichkeit, das den Phänomenen von Körper und Geist
    keine Grundlage und keinen Halt bietet.
    Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der einzelnen Klarblickwissen, die
    der Übende vom starken ‘Wissen vom Entstehen und Vergehen’ bis zum
    ‘Wissen des Gleichmuts’ auf ganz persönliche Weise erfahren hat, werden
    vom ‘Wissen der Anpassung’ zu einer abschließenden, ganzheitlichen
    Betrachtung der fünf Bündel des Anhaftens zusammengefaßt und integriert.
    Im einzelnen betrachtet dieses Wissen so:
    1.Es sieht das Entstehen und Vergehen aller Phänomene und erkennt,
    daß dies ihre eigene Natur ist.
    2.Es erkennt, daß die Auflösung von Geist und Körper ein natürliches
    Ereignis ist.
    3.Es erkennt, daß die in Erscheinung tretenden Gebilde
    furchteinflößend sind.
    4.Es erkennt, daß die fünf Bündel Leiden bedeuten.
    5.Es ist überdrüßig hinsichtlich der Gebilde.
    6.Es wünscht, den Gebilden zu entkommen.
    7.Es überprüft den Weg der Entwicklung noch einmal, um den Weg des
    Entkommens zu erkennen.
    8.Wenn es die Gebilde klarbewußt erfaßt hat wie sie wirklich sind, dann
    läßt es sie los und haftet an nichts mehr.
    Das ‘Wissen der Anpassung’ ist der Höhepunkt der Klarblickentwicklung und
    bedeutet einen psychologisch bis in die Tiefen des Unbewußten reichenden
    Willensentschluß zum endgültigen und unwiderruflichen Verzicht auf alle
    Gebilde. Es ruft alle die Geisteskräfte wach, die Bestandteile des
    Erleuchtungsbewußtseins sind und in der Meditation entwickelt wurden, und
    bringt sie zum Einsatz. Der Geist ist nun befähigt und bereit für überweltliche
    Vertiefung.
    13.) Wissen und Reife
    Das dreizehnte Wissen, ‘Reifewissen’ (gotrabhu-nana), verändert die
    Zugehörigkeit des individuellen Geistes mit Blick auf die weitere samsarische
    Laufbahn. Es folgt im Bewußtseinsprozeß des edlen Pfades unmittelbar auf
    das ‘Wissen der Anpassung.’ Dieses Wissen bildet den Übergang vom
    weltlichen (lokiya) zum überweltlichen (lokuttara) Geist. Für das Individuum
    bedeutet es den Wechsel vom spirituell unerfahrenen ‘Weltling’ zum
    wissenden ‘Edlen .’ Das ‘Reifewissen’ verstärkt die vom ‘Wissen der
    Anpassung’ übernommene angrenzende Konzentration bis zur Vertiefung.
    Das ‘Wissen der Anpassung’ weiß, daß die fünf Bündel des Anhaftens ein
    Ende finden müssen, aber es weiß nicht, was nach dem Ende kommt,
    denn als Objekt betrachtet es die Gebilde. Das ‘Reifewissen’ hingegen
    hat Nibbana als Objekt und erkennt, daß das Verlöschen der fünf Bündel
    keine Vernichtung von etwas Existierendem und auch kein unerkennbares
    Nichts ist. Es erkennt die überweltliche Realität von Nibbana am Merkmal des
    Friedens (santilakkhana).
    Das ‘Reifewissen’ ist vergleichbar mit dem Überschreiten einer Türschwelle:
    Ein Fuß ist schon darüber hinweg, aber der andere steht noch davor. Mit der
    Tür zu Nibbana ist es ähnlich: Davor sind die Bündel von Geist und Körper
    noch das Objekt, aber in Nibbana sind keine fünf Bündel, Nibbana selbst ist
    das Objekt. Wenn das Wissen der Reife auftaucht, steht der Erleuchtung
    nichts mehr im Weg.
    14.) Pfadwissen
    Nach dem ‘Reifewissen’ ist der unmittelbar folgende Bewußtseinsmoment
    das ‘Pfadwissen.’ Die Konzentration hat Vertiefungsstärke
    und Nibbana ist das Objekt des Geistes. Der Geist, der den Pfad erlebt, hat
    direkte Berührung mit der unwandelbaren, ungeschaffenen Realität, die
    jenseits von Geburt und Tod ist, die nicht entsteht und vergeht, das
    ‘unzerstörbare Element’ (amata-dhatu). Das ‘Pfadwissen ’ vernichtet die
    Eintrübungen, die Maschinerie des Leidens, die als die zehn Fesseln
    (samyojana) aufgelistet werden.
    Wie kommt es zu dieser restlosen Vernichtung? Wenn Achtsamkeit in der
    richtigen Weise entwickelt wurde, entsteht Weisheit. Dann wird man
    verstehen, daß alle Arten von Eintrübung und Verlangen nur in den fünf
    Bündeln des Anhaftens liegen. Außerhalb davon kann es sie nicht
    geben. Aufgrund der mit Klarblick beobachteten Vergänglichkeit sind alle
    Phänomene als erkannt worden. Ihr Verlöschen, das schon Objekt des
    ‘Reifewissens’ war, ist der ersehnte Frieden. Da der Geist dies angesichts
    von Nibbana erkennt, läßt er das Verlangen fahren. Achtsamkeit ist zu dem
    Zweck entwickelt worden, diese Wahrheit zu erkennen und dann alles
    loszulassen. Die Erkenntnis ist der Pfad, das Loslassen ist Verlöschen –
    Verlöschen ohne Verlangen.
    Die vier überweltlichen Pfade werden unterschieden nach ihrer Kapazität zur
    Vernichtung von Eintrübungen:
    1.Der Pfad des Stromeintritts (sotapatti-magga) durchtrennt die
    Fesseln der falschen Ansicht des Selbst, des Zweifels über die Natur
    der Wirklichkeit, und des Glaubens an die Wirksamkeit von Ritualen als
    Mittel zum Erreichen von Reinheit, Weisheit und Befreiung. Begierde
    und Aversion, die zu schlechten Wiedergeburten führen können,
    werden von diesem Pfad auch vernichtet.
    2.Der Pfad der Einmalwiederkehr (sakadagamimagga) schwächt die
    beiden Fesseln der Sinnesbegierde und der Aversion weiter ab.
    3.Der Pfad der Niewiederkehr (anagami-magga) vernichtet die
    Fesseln der Sinnesbegierde und der Aversion vollständig.
    Danach ist Wiedergeburt im sinnlichen Universum (kamaloka)
    ausgeschlossen.
    4.Der Pfad der Heiligkeit (arahatta-magga) vernichtet die fünf übrigen,
    ‘höheren,’ oder subtilen Fesseln: das Verlangen nach feinkörperlicher
    Existenz, das Verlangen nach unkörperlicher Existenz, Dünkel, Unruhe
    und Unwissenheit.
    Der einzelne Bewußtseinsmoment des Pfades im überweltlichen
    Bewußtseinsprozeß der siebten Reinheitsstufe ist der Moment der Befreiung.
    Jeder einzelne der vier Pfade ist unwiederholbar. Sie werden nur einmal
    erlebt; die vernichteten Fesseln können nie mehr neu entstehen und den
    Geist binden.
    15.) Fruchtwissen
    Das ‘Fruchtwissen’ (phala-nana) folgt unmittelbar auf das Pfadbewußtsein
    und dauert zwei oder drei Bewußtseinsmomente, je nach der Kraft der
    Meditation. Das Fruchtbewußtsein (phala-citta) hat Nibbana als Objekt und
    wird von Vertiefungskonzentration getragen. Während das Pfadbewußtsein
    die höchste Willenshandlung (kamma) des Geistes ist, entsteht das
    ‘Fruchtwissen’ als Ergebnis (vipaka) dieser Tat: Es erlebt das Verlöschen
    nach der Zerstörung der Fesseln. Obwohl die vier Pfade nicht
    wiederholbar sind, können die dazugehörigen Zustände des
    Fruchtbewußtseins erneut auftreten, wenn die Klarblickübung fortgesetzt
    wird. Die vier Pfade und vier ‘Fruchtwissen ’ sind alle überweltliche
    Geisteszustände (lokuttara-citta).
    16.) Wissen des Rückblicks
    Das ‘Wissen des Rückblicks’ (paccavekkhana-nana) blickt zurück auf den
    Pfad und die Frucht, die gerade erlebt wurden. Es betrachtet auch die
    Eintrübungen, die vernichtet wurden und diejenigen, die noch im Geist
    geblieben sind. Als letzte Funktion betrachtet das ‘Wissen des Rückblicks’ die
    überweltliche Realität, Nibbana, und stellt für den Übenden die Erinnerung an
    das Erleuchtungserlebnis sicher.
    Da dieses Wissen wieder Geist und Körper als Objekt hat, wird es als
    weltlicher Geisteszustand klassifiziert. Der Meditierende beschließt, die
    Übung weiter fortzusetzen, um die höheren Pfade zu verwirklichen, und kehrt
    dann zu dem ursprünglichen Objekt zurück: dem Entstehen und Vergehen
    von Geist und Körper.
    In der Praxis dauert der gesamte Bewußtseinsprozeß des Pfades,
    vom ‘ Wissen der Anpassung’ bis zum ‘Wissen des Rückblicks,’ nicht einmal
    so lang wie ein Fingerschnipsen, ein Augenzwinkern oder ein Blitzlicht. Für
    den Übenden ist es nur ein einziger Akt bewußten Bemerkens. Er wird
    sich an den ‘Klarblick, der zum Entrinnen führt’ erinnern, und daran, daß
    danach für einen Moment alle Gefühle unterbochen waren. Die Vernichtung
    der Eintrübungen ist jedoch bleibend und legt die weitere Entwicklung durch
    die höheren Pfade bis zur vollständigen Überwindung des Leidens neuer
    Wiedergeburt mit absoluter Gewißheit fest.
    Die Wiederkehr des Fruchtbewußtseins (phala-samapatti)
    Zum Abschluß dieses Handbuchs sei der Übende noch einmal daran erinnert,
    die Übung immer mit der richtigen geistigen Einstellung zu unternehmen. Als
    Voraussetzung für die korrekte Entwicklung von Klarblick, darf man sich
    keinen Wunschvorstellungen hingeben oder Erwartungen bezüglich
    des edlen Pfades hegen. Erwartung entspringt aus Begierde. Wenn man mit
    Begierde oder dem Verlangen, Nibbana rasch zu erleben, meditiert, vereitelt
    man die eigene Bemühung. Selbst wenn man ein Verlöschen erlebt, wird es
    mit großer Sicherheit eine der vier falschen Arten von Selbstvergessenheit
    sein. Manche entwickeln in der Übung starke Konzentration und haben
    eigenartige Erlebnisse. Sie dürfen dann nicht darüber spekulieren, was das
    wohl war, sondern müssen sich weiter bemühen, die Achtsamkeit in der
    Gegenwart zu halten und an nichts anzuhaften. Wer den edlen Pfad in
    Wahrheit durchlaufen hat, wird sich dieser Tatsache im Lauf der Zeit bewußt
    werden.
    Ob das echte Verlöschen durch den edlen Pfad eingetreten ist, kann der
    Übende anhand folgender Anweisungen für die Übung selber prüfen: Wenn
    man mit großer Sorgfalt und gewissenhafter Anwendung der in diesem
    Handbuch beschriebenen Methode die Abfolge der Klarblickschritte vom
    dritten bis zum elften Wissen durchläuft, werden die fünf geistigen
    Fähigkeiten (Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration, Weisheit)
    ausgeglichen und nehmen dann an Kraft zu, bis mit deutlicher
    Beschleunigung der ‘Klarblick, der zum Entrinnen führt’ auftaucht – Wissen,
    welches nur eines der drei Merkmale als Objekt betrachtet. Dann folgt
    momentanes Verlöschen und das ‘Wissen des Rückblicks.’
    Danach sind die Erlebnisse in der Meditation wieder von gröberer Art. Der
    Meditierende ist plötzlich vom ‘Wissen des Gleichmuts,’ das hochkonzentriert
    ist und weder Gedanken noch Abschweifungen der Konzentration zu äußeren
    Objekten kennt, zurückgefallen auf das vierte Wissen. Mit dem
    starken ‘ Wissen vom Entstehen und Vergehen’ beginnt dann erneut die
    Entwicklung durch die Schritte des Klarblickpfades, die aber jetzt schneller
    durchlaufen werden als beim ersten Mal, und erreicht bald wieder den
    ‘Klarblick, der zum Entrinnen führt, ’ gefolgt von erneutem Verlöschen.
    Dieser Fortschritt durch die Abfolge der starken Klarblickwissen muß oft
    geübt werden, bis der Meditierende die typischen Erlebnisse der
    verschiedenen Schritte gut kennt und wie Meilensteine am Wegesrand nur
    registriert, ohne daran anzuhaften und sie als persönliche Erlebnisse zu
    begreifen. Sollten einzelne der Wissensschritte undeutlich sein, so möge man
    in der Meditation den Entschluß fassen, daß dieses Wissen für zwanzig
    Minuten andauern soll. Der Klarblick wird dann bei diesem Wissen bleiben,
    bis die bestimmte Zeit um ist, dann taucht das nächste Wissen von alleine
    auf. In dieser Weise wird der Meditierende völlige Klarheit über den Inhalt der
    einzelnen Wissensschritte bekommen, und seine Konzentration wird
    zunehmen, bis er in einer Sitzung vom vierten Wissen bis zum Eintritt des
    Verlöschens gehen kann. Danach kann man zu Beginn der Sitzung den
    Entschluß fassen, daß das Verlöschen innerhalb von zwanzig Minuten
    eintreten soll, und wenn es geschieht, wiederholt man den Entschluß und
    verkürzt allmählich die Zeit, bis man schließlich in einer Sitzung immer wieder
    den Aufstieg durch die Klarblickschritte bis zum Verlöschen beherrscht.
    Später kann man die Dauer des Verlöschens verlängern, von fünf Minuten
    auf zehn, bis zu einer Stunde und länger. Wenn der Übende das Verlöschen
    auf diese Weise kennt, wird er absolute Gewißheit haben – aber er darf nicht
    anhaften, das gefährdet das Verlöschen.
    Die Vorzüge des Klarblicks
    Die Übung von Klarblickmeditation hat so viele Vorzüge, daß man sie nicht
    alle aufzählen kann. Es seien hier nur die wertvollsten erwähnt1.Die Übung löst Zweifel auf und gibt rechtes Verständnis der wahren
    Natur des Lebens. Die Methode hilft uns, die höchste Stufe
    menschlicher Entwicklung zu verwirklichen und im ‘Hier und
    Jetzt’ glücklich zu leben.
    2.Sie hilft uns, den Geist zu kontrollieren, wenn er den falschen Weg
    geht. Sie gibt uns das Wissen des rechten Wegs und der Methode, den
    inneren Frieden zu finden. Wahres Glück stellt sich ein. Dann brauchen
    wir das Glück nicht mehr durch Geldausgaben zu suchen, was nur
    Vergnügen gemischt mit Frustration bringt.
    3.Sie macht uns uneigennützig, sodaß wir das Glück auch anderen
    Menschen nahebringen können. Freundlichkeit, Mitgefühl, und die
    Betrachtung aller Wesen als Leidensgefährten, die wie wir Geburt, Alter,
    Krankheit und Tod erleiden, wird für uns selbstverständlich sein.
    4.Im nächsten Leben werden wir die menschliche Geburt nicht
    verlieren, denn Achtsamkeit und klare Bewußtheit (sati, Sampajanna)
    sind unser Schutzschild. Wenn wir sterben, werden wir achtsam sein
    und ein heilsames Bewußtsein haben, das zu guter Wiedergeburt führt.
    Wir werden vor dem Tode nicht verwirrt sein, denn für unsere Zukunft ist
    schon gesorgt.
    5.Wer studiert, wird Weisheit und ein gutes Gedächtnis haben und kann
    sich leicht konzentrieren. Achtsamkeit wird ihn auch in
    Prüfungssituationen begleiten, sodaß sein Gedächtnis nicht versagt,
    wie es bei Streß sonst leicht vorkommen kann. Wenn er eine Prüfung
    ablegt, wird er alles wissen und gut abschneiden.
    6.Klarblickmeditation beeinflußt die geistige und körperliche Gesundheit
    günstig, Krankheiten und chronische Beschwerden bessern sich, und
    solche, deren Ursache kamma ist, können spontan heilen, weil der
    Übende seinen Geist stark und frei von Hindernissen und unproduktiver
    Sorge hält, und seine Zuversicht auf gegenwärtigem
    gutem kamma beruht, wenn er neutrale Achtsamkeit übt, die nicht
    anhaftet an den Erlebnissen. Dies ist die Bedingung, daß der Körper
    sich ändern kann und den Einfluß des kamma überwindet.
    7.Wenn die geistigen Voraussetzungen des Übenden für die
    Verwirklichung der siebten Reinheitsstufe in diesem Leben noch nicht
    ausgereift sind, wird er durch die Übung die Voraussetzung schaffen für
    das Erreichen von Pfad, Frucht und Nibbana in der nächsten Existenz.
    8.Wer die Lehre Buddhas in der Meditationspraxis zur Richtlinie macht,
    von dem kann man zurecht sagen, daß er Vertrauen in den Buddha hat,
    und es ist Ausdruck für die Art von Verehrung, die dem Status Buddhas
    als höchstem Lehrer gebührt. Es gibt in dieser Welt nichts und
    niemanden, der unseren Respekt und unsere Verehrung mehr verdient
    als Buddha. Buddha selber lobte die Verehrung durch praktische
    Nachfolge. Er sagte: “Wer die Lehre übt, der verehrt mich. Wer die
    Wirklichkeit erkennt, der erkennt mich, den Tathagata.”
    9.Der Meditierende wird mit Sicherheit den Vorzug der Klarblickübung
    erleben können, den Buddha in der Lehrrede über die Grundlagen der
    Achtsamkeit in Aussicht gestellt hat: “Hört mich an, Bhikkhus! Wer die
    vier Grundlagen der Achtsamkeit sieben Jahre lang entwickelt, der kann
    eine dieser beiden Früchte erwarten: Die Frucht der Arahatschaft in
    diesem Leben, oder er wird, wenn noch Fesseln bleiben,
    Niewiederkehrer sein.“
    “Hört mich an, Bhikkhus! Vergeßt die sieben Jahre! Wer die vier
    Grundlagen der Achtsamkeit sechs… fünf, vier, drei, zwei, ein Jahr…
    sieben Monate… sechs, fünf, vier, drei, zwei, einen Monat… sieben
    Tage lang ununterbrochen entwickelt, der kann eine dieser beiden
    Früchte erwarten: Die Frucht der Arahatschaft in diesem Leben, oder er
    wird, wenn noch Fesseln bleiben, Niewiederkehrer sein.“
    “Hört mich an, Bhikkhus! Es gibt diesen einzigen Weg zur vollständigen
    Läuterung der Wesen, zur Überwindung von Kummer und
    Verzweiflung, zum vollständigen Verlöschen von Schmerz und
    Niedergeschlagenheit, für die Entwicklung des höheren Wissens und
    die Verwirklichung von Nibbana. Dieser Weg sind die vier Grundlagen
    der Achtsamkeit.”
    Über den Autor
    Geboren 1914 in Samut Prakaan, in eine kinderreiche Familie, die von
    Hochseefischerei lebte, entwickelte Acharn Thawie schon in seiner
    Jugend Interesse an Meditation. Er fühlte sich zwar nicht zum Tempel
    und zu den Mönchen hingezogen, zog sich aber schon in der Schulzeit
    oft in die Natur zurück, um die Natur des Lebens zu betrachten. Auf
    einer dieser Exkursionen erlebte er im Alter von achtzehn Jahren in
    meditativer Versenkung spontan die Wahrheit des Buddha, wurde aber
    auch dadurch nicht religiös im Sinne eines eifrigen Tempelbesuchers.
    Nachdem er im zweiten Weltkrieg in der Marine gedient hatte,
    übernahm er den väterlichen Fischereibetrieb, da seine Geschwister,
    die im Ausland studiert hatten, schon in anderen Berufen gebunden
    waren. Bis zum Alter von fünfundvierzig Jahren kümmerte er sich um
    die Führung des Geschäfts und ermöglichte seinen Neffen und Nichten
    Studien im Ausland. Er selbst hatte nie den Wunsch, eine Familie zu
    gründen. Stattdessen nutzte er jede Gelegenheit, tagelang im Wald zu
    verschwinden, um zu meditieren.
    Schließlich wurde ihm die Führung des Geschäfts eine zu große
    Belastung. Er übergab den Betrieb an Verwandte und lebte von da an
    nur im Wald. Wie es in Thailand üblich ist, werden auch Laien, die sich
    dem asketischen Ideal widmen, von der ländlichen Bevölkerung gern
    unterstützt und mit Essen versorgt. Aber Acharn Thawie suchte die
    Natur und so blieb er oft wochenlang im Wald, übte Versenkung und
    ernährte sich von Früchten, Blättern und Wurzeln. Als er dann einmal
    krank wurde und hohes Fieber hatte, konnte er zwar den Schmerz und
    das Fieber durch Eintritt in Versenkungsstufen unterdrücken, wurde
    aber körperlich allmählich schwächer. Leute, die ihn manchmal
    aufsuchten, brachten ihn zum Arzt, der ihm nahelegte, er solle doch
    Mönch werden, damit für die materiellen Bedürfnisse des Körpers
    besser gesorgt wäre, um sein spirituelles Leben zu unterstützen.
    So wurde Acharn Thawie im Alter von neunundvierzig Jahren Bhikkhu
    im Dhammayut Sangha. Da er keinen Lehrer hatte und bisher keine
    Verbindung mit Mönchen, lebte er nach seiner Ordination weiterhin
    unabhängig, besuchte aber einige in Thailand berühmte Lehrer, um
    innerhalb des Sangha seinen Platz zu finden. Acharn Maha Bua bot ihm
    an, als Assistant bei ihm zu bleiben, aber Acharn Thawie wollte sich
    nicht auf Samatha Meditation beschränken. Als er 1965 in Chonburi das
    neu entstandene Vipassana Zentrum im Wat Vivekasom aufsuchte,
    lernte er dort die burmesische Vipassana Methode von Mahasi
    Sayadow. Er praktizierte unter Anleitung wenige Wochen, und man
    erkannte seine hohe Entwicklung und bot ihm sofort eine Stelle als
    Lehrer an.
    Die Methode überzeugte Acharn Thawie, und er nahm die Aufforderung
    gern an. Später sagte er, die Methode, das gegenwärtige Objekt zu
    benennen, sei ein äußerst wirksames Mittel, um Achtsamkeit auf die
    Wirklichkeit aufmerksam zu machen und rasch Klarblick zu entwickeln.
    Die Nutzung der Bewegung der Bauchdecke als Hauptobjekt für
    momentane Konzentration – damals eine neue Methode – schien ihm
    ebenfalls für die Entwicklung von Klarblick besser geeignet
    als anapana-sati, Achtsamkeit auf den Atem an der Nasenspitze. Seine
    Schüler lehrte er nur die vier Grundlagen der Achtsamkeit mithilfe der
    Mahasi Methode. Anapana-sati und Versenkung, die er selbst
    beherrschte, seien in der heutigen Zeit schwer zu entwickeln. Das
    moderne Leben sei so unruhig geworden, daß man kaum noch die
    äußeren Bedingungen für diese Meditation finde. Und dann müsse man
    ja von da aus noch Klarblick entwickeln, um die vier edlen Wahrheiten
    zu durchdringen. Da sei es erfolgversprechender, direkt Klarblick zu
    üben.
    Bis 1981 lebte Acharn Thawie im Wat Vivekasom, Chonburi, und
    erwarb sich in dieser Zeit den Ruf eines milden, verständnisvollen und
    zuverlässigen Klarblicklehrers. Da er gut Englisch sprach, kümmerte er
    sich vorwiegend um westliche Schüler, wurde aber auch von Thais,
    Mönchen wie Laien, hochgeschätzt und hatte zahlreiche Unterstützer.
    Einer davon Nai Sorn, bot ihm ein Stück Land in der Nähe von
    Bangkhla, in der Nachbarprovinz Chachengsao, an, und so wurde im
    August 1982 das Sorn-Thawie Meditationszentrum gegründet.
    Die folgenden Jahre sahen das rapide Heranwachsen eines der
    modernsten Zentren Thailands. Die Gemeinschaft, die sich um Acharn
    Thawie sammelte, wuchs im Laufe der Jahre auf neunzig bis hundert
    Personen an, gemischt aus Ordensmitgliedern und Laien beiderlei
    Geschlechts. Es kamen mehr und mehr westliche Suchende, und
    einige davon wurden Mönche und Nonnen und blieben jahrelang im
    Sorn-Thawie Zentrum.
    1994 wurde bei Acharn Thawie eine Krebsgeschwulst diagnostiziert,
    und er mußte im Laufe eines Jahres dreimal operiert werden. Danach
    konnte er die Gemeinschaft noch zwei Jahre lang leiten, bevor er an
    den Folgen der Erkrankung am 5. Juni 1996 starb.
    Wer stirbt? Niemand stirbt.
    Andere Leute sagen: Oh, das ist Acharn Thawie. Ein guter Mann! Aber
    ich weiß, daß es keinen Acharn Thawie gibt. …
    Durchschaue Dich Selbst
    Wer Klarblick übt, macht sein Bewußtsein hell und klar,
    Und kennt des Lebens höchsten Schatz, den Reinen Geist.
    Er folgt dem Pfad, erkennt das Leid und läßt die Gier:
    So wird die Glut des Leidens grenzenlos gelöscht.
    Betrachte achtsam die fünf Bündel in Aktion und sei
    Bewußt so gut Du kannst, was Geist und Körper tun.
    Pein und Schmerz, Empfindungen, machen unglücklich –
    Schau dem Auf und Ab nur zu: plötzlich siehst Du klar.
    Erlebe hier im Körper viele Phänomene:
    Nichts davon ist wirklich – überzeuge Dich!
    Glück und Unglück streift Dich wie Hauch,
    Geist und Körper sind spontan wie die Natur.
    Note mit Entschlossenheit, laß nicht davon ab!
    Lösche das Verlangen, veredle Deinen Geist.
    Gehe nur den Mittelweg, verwirkliche den Dhamma,
    Gewinne so das höchste Glück, Amata, Nibbana.
    Baladhammo Bhikkhu
    (Acharn Thawie Baladhammo, März 1984)